„Koks!“ erwiderte dieser warnend ohne seine abwehrende Haltung aufzugeben.
„Mein Gott seid ihr misstrauisch, lasst uns was trinken und Weihnachten feiern, feiges Gesindel!“
„Na dann ist es ja gut, ich nehme einen Whiskey. Übrigens ist da noch Post für dich gekommen. Zwei Briefe sind es.“ Mit diesen Worten nahm Stanley seine Arbeit wieder auf, ohne mich aus den Augen zu verlieren. Die kleine Ratte traute dem Frieden einfach nicht, während der Duft eines liebevoll zubereiteten Bratens den Raum erfüllte und eine friedvolle Allianz mit dem Aroma eines sehr alten Whiskeys einging.
Der Abend kam, ohne dass ich wie üblich aus der Rolle gefallen wäre. Das Essen wurde friedlich wie unter Freunden eingenommen, ohne dass es mit sarkastischen Bemerkungen meinerseits boykottiert, oder durch meinen mutwilligen Unwillen torpediert wurde. Kurz vor zehn Uhr waren wir brauchbar angetrunken und machten sogar Späße miteinander.
„Du bist der schlimmste Betrüger von uns dreien“, bemerkte ich und kniff James in die Seite, da ich wusste, dass er das nicht ausstehen konnte. „Du stellst ja Rechnungen aus, für das was wir hier machen.“
„Blödsinn, Arthur du bist doch als Hochstapler der bessere Gauner von uns“, erwiderte James leicht lächelnd.
„Und was ist mit unsrem kleinen Stanley, der ist jedenfalls der beste Tiefstapler den ich kenne. Der hat als einziger Ahnung von Kunst und von dem will keiner was wissen.“
„Ist mir ja auch egal, aber ich glaube auch, dass Arthur der bessere Ganove ist. In der Öffentlichkeit alle zu verarschen ist bestimmt der schwerste Part von uns.“
„Genau, unser ehrenwerter Arthur hat gewiss das größte Potential an krimineller Energie.“ James zwickte mir in die Seite, und er wusste genau, dass ich das auf den Tod nicht leiden konnte.“
„Na ja, so würde ich das nicht formulieren. Ich bin nur sehr liberal in der Auslegung gesetzlicher Kleinigkeiten.“
„Ha, ha, ha, der war gut.“ Stanley kringelte sich vor Lachen.
„Unfug, du bist ein schlichter Verbrecher, ein Anarchist, Arthur, finde dich damit ab“, attackierte James weiter und piekst mich mit seinem knochigen Finger in die Brust.
„Was? Ich bin das personifizierte Wohlverhalten, ich habe nur ein leichtes Autoritätsproblem und eine rebellische, freiheitsliebende Ader“, konterte ich empört, und die Stehlampe warf ein fragendes, gedämpftes Licht auf mein Gesicht.
„Stanley rollte sich bereits am Boden und hielt sich den Bauch, so lustig fand er das.
„Ein mieser kleiner Schurke bist du, nur ein kleiner mieser Schurke.“ James blöde englische Art Witze zu machen mochte ich noch nie, und das Zwicken und antippen mochte ich auch nicht.
„Dafür bin ich aber auch tapfer, mutig und sehr angriffslustig.“ Jawohl, der staksige Brite hatte mal wieder eine Lektion verdient. Und auch wenn ich nicht wirklich redlich war, so war ich jedenfalls in absoluter Topform, und geschickt und drahtig war ich auch. Ich griff nach seinem Arm, mitsamt dem doofen, tippenden Finger und setzte zu einem gekonnten Schulterwurf an, der den guten James locker über meine Schulter in die Couch befördert hätte, wäre ich nicht dummerweise ausgerutscht, und wären wir beide nicht scheppernd seitlich auf dem Tisch gelandet. Der Tisch wiederum schreckte schlagartig hoch, wie gejagtes Huhn, und die Glasschale mit der leckeren Bowle verließ mit einem beherzten Sprung den Tisch, der wie die Titanic zu sinken drohte. Das bedauernswerte Gefäß überlebte leider den Aufschlag nicht, der kostbare Inhalt auch nicht. Irgendwann wurde sich James seiner peinlichen Lage bewusst, also stutzte er, straffte auf dem Hosenboden sitzend die Schultern und rückte seinen Schlips zurecht. Er konnte eben nie richtig aus seiner Haut, er vermochte es nie die geißelnden Ketten seiner guten Erziehung zu sprengen. Er war ein Gefangener seiner eigenen Kontenance. Aber genau diesen Zwang halte ich für den eigentlichen Grund, warum er gerne in meiner Nähe war. Mir machte es nie etwas aus mich zum Trottel, oder zum Clown zu machen. James hingegen musste immer die Kontrolle über sein Handeln bewahren. Also durchlebte er seine verborgene und unterdrückte Spontanität und lustigen Aktionen mit, beziehungsweise durch mich. Indem er seine Unbekümmertheit und seinen Unfug passiv an meiner Seite miterlebte, durchbrach er kurzfristig die starren und verkrusteten Regeln der Etikette, und er lebte, wenn auch nur für Momente, richtig auf.
Dies geschah zwar nicht oft, aber er genoss es trotzdem, auch wenn er anschließend einen leicht pikierten und peinlich berührten Eindruck machte. Für ihn war es schon das absolute rebellische und wilde Verhalten, mir bei meinen Späßen zuzusehen. Mich stets aus der Scheiße holen zu müssen machte ihn gar zum Anarchisten, und wenn er selbst einmal aktiv in das Geschehen eingriff, so mutierte er seiner Meinung nach gewiss zu einer materialisierten Form des absolut diabolischen Übels.
„Oje, die schöne Bowle, ...genau wie vor drei Jahren, New York glaube ich.“ Stanley konnte nicht fassen was geschehen war, und betrachtete traurig die große Pfütze, die sich neugierig in der Wohnung verteilte und sich überall in den Ecken und Ritzen umsah. James und ich saßen weiterhin auf dem Boden vor der schönen Bescherung und sahen einander verwundert an.
„Arthur, du bist ein Rüpel“, meinte James noch halb benommen.
„Was? Ich bin eher ein bohemien Hells Angel mit ritterlichen Tendenzen und lyrischer Auslegung“, konterte ich sehr geschickt und war selbst von meiner Wortwahl überwältigt.
„Aha, so nennt man heutzutage einen randalierenden Dummschwätzer.“ Diese Frechheit wurde mit einem freundlichen Schubs von mir geahndet, der den im Aufstehen begriffenen James auf der Pfütze ausrutschen und erneut auf seinem Hinterteil landen ließ. Ich erwartete eine boshafte, oder wenigstens eine gewohnt brüskierte Reaktion auf meine vorbildliche, wenn auch hinterhältige Attacke. Aber James fing zu meiner Überraschung laut an zu lachen, und wenn dieser steife Engländer erst einmal zu lachen anfing, dann gab es kein Halten mehr. Ich verfiel ebenfalls dem ansteckenden Gelächter und musste mir bereits die ersten Tränen von den Backen wischen, als der ebenfalls infizierte Stanley zu einer überaus gewagten Aktion ansetzte und sich mittels eines gekonnten Hechtsprunges, über die Pfütze rutschend zu uns gesellte. Wir waren gewiss ein Anblick zum Brüllen gewesen, aber ich erinnere mich gerne an diese skurrile Situation, in der wir drei völlig unterschiedliche Charaktere, mit verschiedenen Stufen des Erwachsenseins, wie die Kinder dort am Boden saßen.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und verspürte seltsamerweise keinerlei Beschwerden, keinen Kater, und den üblichen Schwindel vermisste ich ebenso. Möglicherweise ein himmlisches Geschenk von Oben, eine Art Übelkeitsnachlass zu Weihnachten, dachte ich. Jedenfalls war ich guter Laune, dieses Weihnachtsfest hatte mich durchaus versöhnlich gestimmt, ich war im Einklang mit mir, mit Arthur Daily, und dem Leben das ich führte. Stanley und James waren bereits gegen Mitternacht in ihr Hotel zurückgekehrt, in dem sie üblicherweise residierten, wenn sie bei mir in Berlin lebten. Mein frisch angezogenes Shirt roch sehr gut und war sehr grün. Der Frühstückstisch war sehr schön gedeckt und wie immer sehr wackelig. Ein vereinzelter Sonnenstrahl fiel durch das große Fenster und suchte meine Wohnung nach interessanten Dingen ab, und wurde alsbald auch fündig. Wie ein chirurgischer Laserstahl versuchte er ein Loch in einen der beiden Briefe zu brennen, die auf der Kommode lagen. Es waren ebenjene Briefe die Stanley am Vortag erwähnt, und die er dort abgelegt hatte. Diese Briefe waren natürlich sofort in Vergessenheit geraten, ehe sie von dem morgendlichen Lichtschein wieder aufgestöbert wurden. In aller Ruhe stand ich auf und näherte mich den Umschlägen und wischte mir eine Haferflocke vom Kinn, die sich erfolgreich den beschwerlichen Weg durch meinen Verdauungstrakt entziehen konnte und sich mit ihrem alternativen Schicksal in der Mülltonne durchaus glücklich schätzte.
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