Gerd Eickhoelter
Kurswechsel
Stationen einer Ausreise
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Gerd Eickhoelter Kurswechsel Stationen einer Ausreise Dieses ebook wurde erstellt bei
Über das Buch
Wer bin Ich
Der Traum
Gedanken zum Landleben
Ausgetreten
Der Besuchsantrag
Die Unterlagenstory
Die Entscheidung ist gefallen
Festlegung
Der Antrag läuft
Aufforderung zum Gespräch
Dran bleiben
Alleinvertretung
Martins Reaktion
Autohandel
Hinterm Brandenburger Tor
Staatsverunglimpfung
Endlich Urlaub
Dringende Familienangelegenheiten
Ab jetzt ohne Job
Beschwerde
Ausbruch der Gefühle
Der Jugend Vertrauen
Fotofans
Arbeit, Recht und Meinungsfreiheit
Entspannung?
Zeichen des Fortschritts
Protest und Solidarität
Verladen
Beobachtungen
Veränderte Taktik
Traum und Wirklichkeit
Illusion
Ideen
Endspurt
Zwischenbetrachtung
Aufbruchsstimmung
Ein neues Kapitel
Wahnsinn
Es kam doch anders - Nachwort
Erläuterungen
Impressum neobooks
Dieses Buch wurde in einer besonders schwierigen Lebenssituation verfasst.
23 Jahre bin ich zur See gefahren und habe die berufliche Entwicklung vom Maschinenwärter über die Seefahrtschule (Abschluss höchstes technisches Seefahrtpatent C6 später. CI) bis zum Chief auf Handelsschiffen (letzteres 7 Jahre auf Großschiffen) im wahrsten Sinne des Wortes durchfahren.
Chief ist der Leitende Schiffsingenieur, er ist verantwortlich für den Zustand des gesamten Schiffes als technisches Objekt (Schiffskörper, Ausbauten und allen technischen Anlagen)
Im Rahmen meiner gehobenen Stellung und Ausbildung versuchte ich damals, wie viele andere auch, mich mit meinem Umfeld so gut wie möglich zu arrangieren. Wir hatten einen bodenständigen Wohnsitz, Kinder, hatten das Geburtshaus meiner Frau 1978 von Grund auf saniert, wollten es nun 1986, drei Jahre nach meinem Berufsverbot als Seemann, verlassen und in den Westen ziehen – volles Risiko, mit dem Bewusstsein, dass wir das, was wir materiell hatten, möglicherweise nicht wieder erreichen werden. Ich war Abteilungsleiter Technologie / Technik der übergeordneten Unternehmensleitung von sechzehn regional eigenständigen Einzelbetrieben und nun stellte ich als staatlicher Leiter den Antrag auf Entlassung aus der Staatsangehörigkeit der DDR und Verlegung des Wohnsitzes nach Berlin (West).
Vorher war ich immer nur im Urlaub zuhause, wieder bei der Familie im eigenen Heim, da war alles rosig.
Der Weg den ich nahm, bis zu der Einsicht, dass wir mit unserer Familie nicht mehr in der DDR leben wollten und einen Antrag auf Ausreise aus der DDR sowie Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR stellten, war auch für mich verwunderlich. Mich selbst versetzte die Wandlung meiner Einstellung in Staunen. Was war da vorgegangen in mir, in uns?
Ich schrieb alles nieder, um mit der Situation fertig zu werden. Die Zeit der Antragstellung wurde von mir fast protokollarisch festgehalten und stellt heute einen Blick auf die Zeit und das Denken in der DDR kurz vor der Wende dar.
Das Buch habe ich in den Jahren 1986 bis 1990 geschrieben, den Hauptteil während unserer Beantragung der Ausreise, noch in der DDR, zur Verarbeitung des Erlebten und als Dokumentation für die Familie, wobei ich die ersten 100 Seiten nach Westberlin schmuggeln ließ, um uns abzusichern. Es war riskant.
Im Jahre 2011/12 überarbeitete ich diese Aufzeichnungen. Ich dachte, dass ich alles stärker bearbeiten müsse, aber an sich bin ich mit dem damaligen Werk zufrieden. Ich habe mir vorgenommen es inhaltlich zu belassen aber für eine Digitalisierung in einigen unklaren Punkten zu konkretisieren und Fehler zu kompensieren. Die ursprünglich aus Sicherheitsbedenken verwendeten Decknamen habe ich der Wirklichkeit angeglichen.
In der Erstfassung des Buches hatte ich meinen und einige Namen uns nahestehender Personen geändert und Pseudonyme verwendet, da die Übersiedlung nach Westberlin in die Phase des Aufbaus einer neuen Existenz, in einem total veränderten Umfeld erfolgte. Auch waren ja viele Freunde und Bekannte, die in den Aufzeichnungen vorkommen, in der DDR verblieben, die vor Benachteiligungen durch das System geschützt werden sollten. An die Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands war zur Zeit der Entstehung des Buches nicht zu denken. Die wirklichen Namen sind in der vorliegenden Fassung wieder vertreten, es wird kein Pseudonym verwendet.
Gerd Eickhölter
Nun sitze ich hier zuhause und denke über Vergangenes nach.
Hab‘ ich alles so gemacht, wie ich es mir vorgestellt habe? Mein Weg war vorgezeichnet, das Wasser zog mich an.
Wie viele andere auch, reizte mich das Meer, das Abenteuer Seefahrt.
Als Junge baute ich ein Modellboot, es musste immer etwas Besonderes sein.
Mit 15 sagte ich mir, ‘wenn sich Flugzeuge mit ihren Flügeln in der Luft halten können, dann muss gleiches auch für das Medium Wasser gelten, dann kann man auch Schiffe mit Tragflächen bauen‘.
Der Gedanke nahm technische Formen an und ich skizzierte ein Modell, das ich einmal verwirklichen wollte.
Ein Jahr später wurden Versuche mit kleinen Tragflächenbooten, die ähnlich meinen Vorstellungen gestaltet waren, auch ohne mein Zutun, auf der Müritz unternommen.
Ich befand mich mit meinem Denken in der Realität, meine Wünsche und Ideen waren zu verwirklichen.
1957 baute ich das Modell des 10.000 tdw- Motorfrachters ‘MS Berlin‘ aus etwa 5.000 Streichhölzern. Im März 1959 erhielt es einen Glasvitrinenplatz in der Berliner Wassersportausstellung. Die Freitagausgabe der ‘Berliner Zeitung‘ vom 27.03.1959 brachte mein Bild mit dem Schiffsmodell – ich war stolz.
Später wollte ich einmal Schiffsingenieur werden. Dieser Berufswunsch wurde ein fester Bestandteil meiner zielgerichteten Entwicklung.
Chief auf einem großen Handelsschiff, das war mein Traum.
Zielstrebigkeit wird belohnt. Siebzehneinhalb Jahre später erfolgte 1976, nach kontinuierlicher Arbeit, die immer von dem Gedanken geleitet war, auch ohne Karrieresucht fachlich gute Arbeit zu leisten, die erste Reise als Chief auf einem Handelsschiff.
Nach weiteren sieben Jahren Seefahrt musste ich mein Glück an Land suchen Die Verbindung zu meinen Verwandten im Westen sollte ich abbrechen, dazu war ich nicht bereit. Nur ungern musste ich die Konsequenzen ziehen. Kein Sichtvermerk – kein Bordeinsatz mehr – Berufsverbot !
In der Betriebsleitung des VEB Schiffsreparaturwerften Berlin übernahm ich, nach erfolgreicher Bewerbung, eine Stelle als Gruppenleiter für Fertigungsvorbereitung. Meine Hauptaufgabe bestand in der Lösung maschinentechnischer Probleme.
Im nu wurde ich der Spezialist im Betrieb und war wegen meiner detaillierten sowie praxiserprobten Fachkenntnisse überall gut angesehen. Bereits nach neun Monaten bekam ich das Angebot zum Einsatz als Haupttechnologe. Ich sagte zu. Mein Gehalt stieg auf 1650,- Mark, denn ich erhielt fortan die höchste Gehaltsgruppe HF 5, ein Spitzenverdienst in der DDR. Als Chief an Bord und auf See hatte ich zwar 50% mehr, aber das war nun vorbei.
Gute Fach- und Menschenkenntnisse befähigten mich diesen Platz souverän zu behaupten. Beides hatte seine Vervollkommnung im harten Bordleben erlangt.
Genau 18 Monate Tätigkeit in dieser Position zeigten mir meine Grenzen. War ich fast 20 Jahre das territorial freie Bordleben gewöhnt, so wurde ich jetzt auf ein eingezäuntes Terrain beschränkt. Ein Zurück zur Seefahrt verhinderten die ideologisch begründeten, staatlich verordneten, politischen Schranken. Die Differenz meines Inneren ‚Ich‘ zu den Lebensformen des real existierenden Sozialismus prägten zunehmend mein Denken und Handeln.
Читать дальше