Alles nur wegen dieses Mannes, dessen Aura sie einfach gefangen hielt.
Samantha erhob sich. Sich an ihre Mutter wendend, stand sie bereits an der Tür. „Mama, ich gehe in den Keller und male noch etwas!“ Anna sah alarmiert auf. „Ist gut Schatz, mach aber bitte nicht mehr so lange. Du solltest die freien Tage genießen können.“ Liebevoll lächelte Samantha ihrer Mutter zu. „Es ist schon in Ordnung!“ Das fand Anna keinesfalls und hoffte nur, sich im Hinblick auf den Gesichtsausdruck getäuscht zu haben, den sie eben bei ihrer Tochter gesehen hatte. Dieser Gesichtsausdruck in Verbindung mit dem Malen war kein gutes Zeichen. Sollte es wieder so sein, sollte Samantha wieder in diese seltsame Phase hineinrutschen… Die, in der Karlo angefangen hatte, sie und ihre Tochter zu schlagen. Als ihr Traum von einer glücklichen Ehe, in die Brüche ging? Sie musste mit Jonas reden!
Anna fand ihn in seinem Zimmer, im Schaukelstuhl sitzend ein Buch lesen. Dabei paffte er seine Pfeife. Als Jonas das aufgelöste Verhalten seiner Tochter bemerkte,
stand er sofort auf, um ihr einen Sitzplatz anzubieten. „Was ist passiert, dass du ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter, machst?“
„Ach, Dad ich befürchte, es geht schon wieder los!“
„Was, bitte meinst du? Ich kann dir nicht ganz folgen!“
„Samanthas verrückte Phase. Ich weis nicht, wie ich es anders benennen soll. Damals, es war nach diesem Besuch im Tierpark, da verhielt sie sich auf einmal ganz seltsam.“
Jonas Augen, hatten plötzlich etwas von einem Adler, als er seiner Tochter die Hand auf die Schulter legte. Er vermutete zu wissen, um welchen Tag es sich handelte und worauf Anna hinaus wollte. Sollte es wirklich soweit sein? Sollte Samantha endlich ihrer Natur nachgegeben haben und ihre Gabe zu ihr zurückgekehrt sein? Es wäre mehr, als er zu hoffen wagte. „Was genau ist denn jetzt passiert?“
Anna berichtete ihm alles, was sie beobachtet hatte. Vom ersten Blickkontakt, bis hin zu diesem leeren Blick, den Samantha hatte. „Sie sagte dann, sie ginge noch Malen. Dabei hatte sie einen Blick, der mir Angst machte, dass sie wieder in dieser Phase sein könnte!“
Jonas seufzte. Er saß in der Klemme. Zum einen war da seine Tochter, die gekommen war, um einen Rat von ihm zu bekommen. Zum anderen, war da aber
auch Samantha. Diejenige, die die Gabe besaß! Die Einzige seit drei Generationen, in der sie so stark ausgeprägt war. Und dann war da das Versprechen, das ihm seine
Enkelin damals abgenommen hatte. Das Versprechen, zu schweigen. Solange zu Schweigen, bis sie ihn von diesem Gelöbnis entband!
Oh Sammy, musst du mich wieder einmal da mit hinein ziehen? Wann sagst du es deiner Mutter. Schließlich ist sie meine Tochter und somit Überträgerin dieser Gabe, auch wenn sie bei ihr nicht ausgeprägt ist. Oh ja, bei deinem Onkel; meinem geliebten Sohn Daniel, Gott sei seiner Seele gnädig, wäre das alles kein Problem. Er besaß sie auch, diese Gabe. Doch sollte sich Anna daran erinnern können. Schließlich waren Daniel und sie, bis zu seinem tragischen Tod, unzertrennlich gewesen.
„Nun Anna, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Sammy ist, genau wie dein Bruder es war. Sie ist nicht verrückt und hat schon gar nicht irgendwelche verrückten Phasen! Oh, ich weiß genau, wie Karlo sie genannt hatte. Eine Hexe und geisteskrank. Das war sie in seinen Augen seit diesem Tierparkbesuch gewesen.
Nichts hätte ihn vom Gegenteil überzeugen können. Damals hattest du zu deiner Tochter gehalten. Jetzt verteufelst du sie genauso wie er. Das enttäuscht mich, Anni! Sie ist etwas Besonderes, was ganz Außergewöhnliches, Einzigartiges und als genau das solltest du sie sehen. Sammy ist ein Teil eines großen, für uns oft unerklärlichen Ganzen, genau wie es Daniel war.“
„Daniel! Was hat es Daniel gebracht, dass er diese Gabe, wie du sie nennst, hatte? Was? Er ist tot! Und das viel zu früh. Ich will nicht meine Tochter auf so eine Art und Weise verlieren. Nur weil sie Stimmen hört!“ Die letzten Worte kamen gequetscht und verbittert heraus. Für Anna war das ein Thema, das für sie nicht einfach anzusprechen war.
„Mehr kann ich nicht für dich tun, Anna. Sammy hat mir vor langer Zeit ein Versprechen abgenommen, das ich halten werde. Wenn es sein muss bis in den Tod!“
„Vater, bitte!“
„Tut mir Leid, Anni!“ In seiner Stimme schwang wirkliches Bedauern mit.
Samantha war, nachdem sie noch eine Zeitlang gemalt hatte, zu Bett gegangen. Sie war müde, doch schlafen konnte sie nicht. Vor ihrem inneren Auge sah sie das lächelnde Gesicht von John und hörte noch einmal die Worte. Die, von denen sie
glaubte, nein wusste, dass sie von ihm stammten. Sein Versprechen an sie und dann dieses Gefühl, von dem sie nicht wusste wo sie es einzuordnen hatte. Warum kommt sie jetzt zurück. Wo ich doch gehofft hatte, sie sei für immer weg und ich könnte ein
normales Leben führen? Hat das was mit dir zu tun, John? Wer bist du?
Nach einer Weile übermannte sie dann aber doch die Müdigkeit und sie fiel in einen traumlosen Schlaf.
Auch John fand lange Zeit keinen Schlaf. Er rang mit sich. Sammy, dich zu verlieren, bevor ich über deine Gefühle im Klaren bin, wäre nicht zu ertragen. Doch dich zu verlieren, wenn ich einen Vorgeschmack dessen bekommen habe, was du geben kannst? Nein, das kann ich uns beiden auch nicht antun. Wenn ich doch nur endlich wüsste, warum ich verletzt im Wald gelegen hatte und wem ich dies zu verdanken habe. Dann könnte ich auch erfassen, was meine Identität für dich und deine Familie zu bedeuten hat.
Doch hüllte der Schlaf auch ihn bald ein und führte ihn in eine ruhige und erholsame Nacht.
J ohn machte sich am nächsten Morgen gleich daran, den Unterstand zu reparieren. Das Holz dafür nahm er von einem Stapel Altholz und sägte sich aus Baumstämmen, die hier überall herum lagen, die passenden Bretter und Verbindungsstücke.
Jonas, der ihm zur Hand ging, beobachtete ihn und stellte fest, dass John sehr verbissen und still arbeitete. Was sonst gar nicht seine Art war. Jonas wunderte sich zwar und hätte auch gerne herausgefunden, worauf dieses Verhalten begründet war, doch schwieg er und störte John nicht in seinen Gedanken.
Samantha stand an ihrem Zimmerfenster und sah auf den Hof und ihr Herz schlug schneller als sie John sah. Sie wollte ihn heute zu der Stelle führen, wo sie ihn gefunden hatte. Tief durchatmend, straffte sie sich und raffte ihr hüftlanges Haar zu einem lockeren Zopf. Die Vorstellung mit ihm allein zu sein, behagte ihr gar nicht. Das flaue Gefühl im Magen ließ sich einfach nicht vertreiben. Sich umdrehend, warf sie sich einen Blick im Spiegel zu. Von Jonas hörte sie oft, dass sie schön sei. Das fand sie weniger. Die Augenfarbe zum Beispiel. Sie war auf den ersten Blick undefinierbar. Schaute man jedoch genauer hin, sah man, dass die einzelnen Abschnitte des Auges Umrandungen aufwiesen. Die Regenbogenhaut war am äußeren Rand von einem dunklen Grau-Blau. Dieses wurde zu einem Grau-Grün und um den schwarzen Mittelpunkt war ein sich strahlenförmig ausweitender, bernsteinfarbener Ring. In ihnen würde sich ihre Gabe offenbaren, sagte Jonas. Vielleicht war auch das der Grund, warum sie ihre Augen nicht mochte.
Das lange, in sanften Wellen schimmernde Haar, war kastanienbraun und das Einzige was sie an ihrem Körper anziehend fand. Sie zupfte das Kleid zurecht und betrachtete sich von allen Seiten. Sie war zwar schlank, doch fand sie ihre Beine und Po zu dick, auch ihr Bauch könnte etwas flacher sein. Weshalb sie meistens Kleider trug, die ihre Figur vorteilhafter zur Geltung brachten. In ihnen fühlte sie sich freier. Ihre Mutter fand diese Begründungen für ihren Kleidertick einfach lächerlich, gab ihr aber nach.
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