Es war schön und doch irritierend, mit an zu sehen, wie ihre Familie auf ihn reagierte. Tom, der Fremden, vor allem Männern gegenüber, sehr verschlossen und zurück haltend war, vergötterte John regelrecht. Selbst Domino, war kaum von seiner Seite zu bekommen. Das machte Samantha wütend und glücklich zugleich. Als sie an diesem Abend neben ihrer Mutter auf dem Sofa saß, schweifte ihr Blick, ohne das sie darauf Einfluss hatte, zu John hinüber. Er war nun schon knapp zwei Wochen hier und sie konnte sich ein Leben ohne ihn schon nicht mehr vorstellen.
Plötzlich war ihr Blick gefangen.
Ohne dass sie es registriert hatte, hatte John den Kopf gehoben. Seine Augen hielten die ihren fest. Samantha verlor sich in ihnen und nichts war mehr wichtig. Sie vergaß alles um sich herum, selbst dass sie ihm nie so tief die Augen hatte sehen wollen. Es faszinierte sie der Gedanke, in diesen Augen Gefühle zu finden, die sie nie zu hoffen gewagt hatte.
John hielt ihrem Blick stand. Diese großen, unergründlichen Augen, von einer Farbe, die hätte alles sein können, weiteten sich. In ihnen zu versinken kam einem Ertrinken gleich und doch stürzte er sich mit Freude, immer tiefer in sie hinein. Was ihn faszinierte, war die Tatsache, dass sich ihre Augen, ihrer jeweiligen Gefühlslage, anzupassen schienen. War sie wütend, leuchteten sie in einem giftigen Grün. Wenn sie lachte, funkelten ihre Augen bläulich. Doch wie sie aussahen, wenn sie Schmerzen hatte, wollte er nie herausfinden. Es tat schon weh zu wissen, dass sie bräunlich schimmerten, wenn sie Angst hatte. John legte stumme Versprechen in seine Augen und hoffte, dass Samantha sie sehen und verstehen würde.
Ein Gefühl durchströmte ihn heiß und ließ ein Feuerwerk in seinem Magen hochgehen. Ja, er liebte sie. Diese Erkenntnis, durch fuhr ihn wie ein Blitz. Der Gedanke, sie zu verlieren, schnürte ihm den Hals zu.
Durch lautes Poltern wurde die Faszination, die Magie des Augenblicks, zerstört und beide wurden in die Wirklichkeit zurück geschleudert. Das abrupte Auseinanderreißen, trieb ihnen Tränen in die Augen.
Tom stürzte ins Wohnzimmer und sprang John auf den Schoß. „John, bitte, bitte. Liest du mir eine gute Nachtgeschichte vor?“ John sah noch einmal zu Samantha hinüber und musste enttäuscht feststellen, dass sie ihren Blick abgewandt hatte. „Hey, natürlich lese ich dir noch was vor. Wer als Erstes, oben ist?“ Lachend sprang Tom von seinem Schoß und lief zur Treppe. John folgte ihm und ließ eine aufgelöste Samantha zurück.
Anna lächelte über ihrer Handarbeit gebeugt still in sich hinein. Sie hatte bemerkt, wie sich die Beiden in die Augen gesehen hatten und sich nicht von einander lösen konnten. Die Luft, hatte ja regelrecht geknistert. So etwas Magisches, hatte sie selbst noch nie erlebt und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass dieses Glück für diese jungen Menschen in Erfüllung ginge. Dass sie über ihren Schatten, über ihren Starrsinn, hinwegkommen würden. Ich wünsche euch von ganzem Herzen, dass ihr dieses einmalige, viel zu seltene Glück in vollen Zügen genießen könnt. Meine Angst ist nur, dass John etwas mit sich führt, was Unheil in sich birgt. Etwas, das euch auseinander reißt und euer Glück in Stücke schlägt!
Samantha war in sich zusammen gesunken. In ihr spielten ihre Gefühle Achterbahn. Das, was sie eben erlebt und empfunden hatte, war etwas, wofür sie keine Worte fand. Was sie in Johns Augen gesehen hatte, war fremd und doch so sehr vertraut, dass das Fehlen schmerzte, wie der Verlust eines guten Freundes. Sie spürte eine tiefe Verbundenheit mit John und wünschte sich nichts sehnlicher, als ihm auch körperlich nahe zu sein. Für einen Moment hatte sie geglaubt seine Stimme in ihrem Kopf zu hören. Machte sich hier wieder ihre Gabe bemerkbar? Die Gabe, Dinge wahr zu nehmen, die für andere Menschen nicht zu erschließen waren? Dass sie nicht normal war, wusste Samantha schon, seit sie die Begegnung im Delphinarium hatte. Damals war sie gerade acht Jahre alt gewesen.
Ihr Vater war mit ihr und ihrer Mutter im Tierpark gewesen, in dem es auch ein relativ großes Delphinarium gab. Als sie der Vorführung zugesehen hatten, war ein Delphin aus dem Becken gesprungen und hatte laut und anhaltend geschrieen. Daraufhin war die Vorführung abgebrochen und der Delphin wieder ins Becken gehoben worden.
Als sie sich dann zu den Becken herunter geschlichen hatte, weil sie wissen wollte, wie es dem Tier ging, hatte sie eine Erfahrung die sie von da an alle Delphinarien zu hassen lehrte. Sie hatte vor diesem Becken gestanden und ihre kleine Hand gegen die Plexiglasscheibe gelegt.
Sie wusste noch ganz genau, was sie dann gesagt und gehört hatte. Es schauderte sie noch heute.
Der Delphin, ein großes dunkelgraues Tier mit einer großen Narbe über dem rechten
Auge, hatte ihr in die Augen gesehen. Und es war genauso wie heute gewesen. Sie
hatte sich in diesem großen Auge verloren und geglaubt eine Stimme zu hören.
„ Du bist anders, als die anderen, ohne Wasser Schwimmer! Hilf uns hier heraus. Es ist eng. Kein Platz zum Schwimmen. Können nicht Leben!“
Sie wusste, dass sie ihm geantwortet hatte.
„ Ich kann das nicht. Bin noch zu klein. Muss noch lernen. Sie würden mir wehtun, wenn ich es versuchen wollte. Wo wollt ihr hin?“ Der Delphin, hatte sie traurig angesehen. „ Wir wollen nach Hause. In gutes Wasser. Schwimmen und Jagen, Lieben!“
In der Erinnerung versunken liefen ihr genau wie damals Tränen übers Gesicht.
„ Ich kann euch nicht helfen. Ich will, aber ich kann nicht. Was passiert mit euch, wenn ihr hier bleibt?“ Daraufhin hatten die Tümmler angefangen laut zu schreien. Nicht einer, nein alle, antworteten ihr, wie eine Stimme. „ Dunkel! Wissen klein! Sterben! Sterben!“ Samantha war damals in heller Panik davongerannt und von dem Tag an hatte sie niemand mehr in ein Delphinarium hinein bekommen.
Sie wollte nie wieder einen Ort von Folter, Schmerz und Tod betreten. Ihr wurde jedes Mal schlecht, wenn sie Berichte von gefangenen Delphinen hörte. Es wurde ihr heiß und kalt zu gleich, wenn man sie zwingen wollte, diesen Tierpark wieder zu betreten.
Mit niemand hatte sie darüber gesprochen. Nur ihrem Großvater hatte sie sich anvertraut. Dieser hatte sie da einfach in die Arme genommen und ihr unter Tränen
gesagt, dass er sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als dass diese Gabe in der Familie erhalten bleibt. Er tat es nicht als Spinnerei ab. Nein, er war richtig glücklich gewesen über das Erlebnis.
Von dem Verhalten ihres Großvaters bestärkt wollte sie ihrem Vater erklären, warum sie nicht mehr in diesen Tierpark wollte. Es war die schrecklichste Erfahrung gewesen, die sie je in ihrer Kindheit, in Bezug auf ihren Vater, gehabt hatte. Er hatte sie angestarrt und von sich gestoßen, als sei sie hochgradig ansteckend. Er hatte sie dann aufs Schlimmste verprügelt und immer wieder das Wort Hexe geschrien.
Ab da war ihr Leben bergab gegangen. Ihrem Vater konnte sie nichts mehr recht machen. Wenn sich ihre Mutter dazwischen schaltete, um sie zu schützen, wurde auch sie verprügelt und aufs Übelste beschimpft. Nie hatte Samantha ihrer Mutter erzählt, was sie im Park erlebt hatte. Immer in der Angst, dass auch sie sich von ihr abwenden könnte. Ab da hatte sie es nicht mehr als Gabe bezeichnet, sondern als Fluch. Nie hatte sie wieder versucht diese Verbindung mit einem Wesen einzugehen. Bei Domino hatte sie zwar mit dem Gedanken gespielt, doch sehr schnell wieder verworfen.
Diese Kindheitserlebnisse waren unter anderem auch der Grund, warum sie sich von ihren Mitschülern und den Dorfbewohnern so verspotten ließ, ohne sich ernsthaft zu wehren. Die Angst vor diesem Fluch! Die Gewissheit, nicht normal zu sein!
Und nun das! Ohne es zu wollen, war sie wieder aufgetaucht. Diese verfluchte Gabe.
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