„Mama“, übt er sich in Geduld, „ich bin ein Beamter im hohen Besoldungsbereich. Du kannst mich enterben, aber nicht in die Fänge der Armut treiben.“
„Sei nicht so widerspenstig“, entrüstet sie sich mild.
„Ach Mama“, lenkt er ein, „ich habe doch Dich.“
„Sei nicht kindisch!“
Von Klopp spürt ein warmes Gefühl aufsteigen, lebt es aus, sagt mit Herzklopfen: „Behalte ich dieses Ansinnen im Blick, dann einzig aus dem Grund, dass damit der innige Wunsch meiner Mama in Erfüllung geht. Insofern gilt das Versprechen, ich besorge Dir eine Frau. Zumindest mühe ich mich redlich.“
„Kindskopf du“, kehrt sie ihre versöhnliche Seite hervor, ermahnt ihn im Handumdrehen vorwurfsgeladen: „Denk auch bitte daran, alles verläuft längst in bester Ordnung, wenn …“
In von Klopp brechen Widerspruch und Argwohn aus: „Du bist ungerecht. Du kennst die Gründe. Zumindest den Hauptgrund.“
„Überdies nahm mir die Trennung meine Enkeltochter.“
„Am besten, ich mache Frau Raabe Avancen“, steigert er seine Angriffslust. „Sie ist Siebenunddreißig. Zum Kinderkriegen kein schlechtes Alter.“
„Gebäre sie ein Rudel Kinder, aber nicht von Dir“, übertrifft sie seine Schlagfertigkeit um Längen.
„Ich…“
„Du weißt, auch eine Schwarze erhält meinen Segen“, unterbreitet sie geschwind ein neuerliches Friedensangebot. „Dein Urgroßvater…“
„Ich fliege nicht nach Afrika, sondern nach Asien“, fällt er ihr ins Wort. „In Kambodscha schimmern die Menschen höchstens leicht angebräunt. Wie nach einem Besuch aus dem Sonnenstudio.“
„Beweise Deinen Realitätssinn“, ermahnt sie ihn fürsorglich. „Den Zenit Deines Lebens, Du hast ihn überschritten. Alles Wählerische kennt mittlerweile Grenzen. Ich hoffe, mein Liebling, Du bist nicht begriffsstutzig. Ich jedenfalls glaube fest daran, dass diese Reise Dein Leben grundlegend ändert.“
„Ja, Mama“, sagt er gereizt. „Jetzt sage ich Lebewohl.“
„Mein lieber Junge, gestatte mir schlussendlich noch ein Kompliment. Mit dem Halstuch und diesem khakifarbenen Aufzug siehst Du echt fesch aus. Zum Anbeißen. Wie ein reicher Farmer in den Kolonien, der auf Brautschau geht. Allein Pfeife und Hut fehlen.“
„Ich lege jetzt auf, Mama, der Flieger ist zum Einsteigen bereit“, flunkert er mit rosigen Wangen, legt auf.
Der Zwischenaufenthalt auf dem Flughafen Frankfurt/Main weitet sich zur Hängepartie. Wachsendem Unmut entflieht er durch Menschenbeobachtungen. Er nimmt seinen Spähposten stehend ein, mustert eine alleinreisende Frau, leugnet seinen Gefühlsschub.
Während des Fluges flimmern auf seinem persönlichen Monitor unentwegt die aktuellen Flugdaten, zuweilen überschreitet das Flugzeug die Grenze von eintausend Stundenkilometern, mit dem Aufsetzen schmilzt die einstündige Verspätung im Abflug auf eine Viertelstunde in der Ankunft. Eine Abfolge langer Gänge über mehrere Etagen mündet in einen riesigen Raum, Neuankömmlingen bürdet er die Eigenart des Unübersichtlichen auf. Ein unauffälliges Schild Transferservice weist auf die Angebote eines halben Dutzends uniformierter Angestellter hin, vor den Schaltern krümmen Absperrbänder im Zickzack eine Menschenschlange.
Bis zu von Klopps Direktkontakt mit einer Frau hinter Glas verstreicht eine geschlagene Viertelstunde, er erhält keine Bordkarte und keine Auskünfte für den Weiterflug. In einem schmalen Gang erahnt er den Weg zum richtigen Gate, ein Mann in Uniform stellt sich quer, von Klopp orientiert sich zur Raummitte. Hundert Meter weiter blockiert der Einreiseschalter die Suche. Eine Frau vor ihm füllt ein Formular aus, er erkennt in ihr seine Frankfurter Beobachtung, stellt sich zu ihr.
„Wir müssen den Transitbereich verlassen und uns ganz normal einchecken“, sagt sie zu ihm.
Sie schiebt ihm ihren Montblant zu, akribisch füllt er sein Formular aus. Die Situation überfordert sie, ihr Lächeln deutet es an. Der Passuniformierte nahe dem Pensionsalter lichtet ihr Dokument ab, prüft misstrauisch die Übereinstimmung des Fotos mit der Person vor ihm, blättert seelenruhig nach der letzten freien Seite für den Einreisestempel. Auch die eigene Abfertigung empfindet von Klopp als halbe Ewigkeit.
„Kommen Sie“, ruft er plötzlich ruhelos, greift den Arm seiner Reisebekanntschaft. „Wir schaffen es.“
Nach einer Rundumdrehung hetzen sie die Rolltreppe hinab ins Erdgeschoss, es mangelt eklatant an sichtbaren Informationen, Fluggästen und Bediensteten.
„Der Flughafen von Schanghai ist ein Geisterhaus“, fasst er seine Eindrücke zusammen.
„Ich nerve mal“, sagt sie, läuft einem jungen Mann entgegen.
An der Brusttasche seines weißen Hemdes zwickt ein Namensschild, seine Arme wirken überlang. Von Klopp stellt sich hinzu, das Nuschelenglisch des Mannes versteht er nur ansatzweise.
„Was hat er gesagt?“
„Closed“, sagt sie achselzuckend. „Good bye Bangkok. Wenigstens kriegen wir Tickets für die Mittagsmaschine.“
„Was ist mit unserem Gepäck?“
„Darum kümmert sich der Boy.“
Ihr Kopf nickt in die Richtung des Angestellten, wenige Schritte entfernt drückt er auf seinem Smartphone eine Nummer nach der anderen.
„Sehen wir die Angelegenheit positiv“, erfasst Heiterkeit sein Gemüt. „Der Zufall beglückt uns mit dem Reich der Mitte. Ich jedenfalls überschreite diese Grenze zum ersten Mal.“
Sie verschränkt die Arme, ihr Kopf führt eine Regung wie zur Abwehr eines Insektes aus. Der Kopf birgt müde tiefdunkle Augen und eine schmale spitze Nase. Zwei Zöpfe bündeln das kräftig blonde und volle Naturhaar mit einem Trend ins Rotstichige. Die Haartracht hebt den stark ausgeprägten Hinterkopf hervor, festigt den Anschein einer Neigung ins Unkonventionelle. Ein rehbraunes Longarmshirt aus Seide, ein gleichfarbiges Stirnband und ein melonenartiger Hut im angegrauten Weiß markieren das Auffällige der Garderobe. Mitte Dreißig, denkt er, eher ein paar Jahre darüber als darunter.
Beide folgen dem Angestellten in die benachbarte Halle. Ein Laufband bewegt Gepäckstücke durch menschenloses Gebiet, stärkt den öden Charakter des Flughafens. Von Klopps Koffer wirkt unverwechselbar durch das kräftige Rot, den Silberstreifen und einen breiten Gurt, das Auftauchen erscheint von Klopp rätselhaft. Er trägt ein Namensschild, denkt er, gewiss, aber wie mag ein chinesischer Arbeiter diese Schrift entziffern, zumal in der gebotenen Eile und eingedenk der Unmasse an Fracht. Offenbar dienen Glücksgriffe als taugliches Mittel, dem Unglück Einhalt zu gebieten.
Von Klopp hievt sein Gepäck vom Band, eine Frau taucht neben ihm aus dem Nichts auf, klebt an den Koffergriff eine neue Banderole, nimmt von Klopps Pass zur Hand, reicht ihm eine Bordkarte. Kurze Zeit später ereilt der Mitreisenden derselbe Umstand.
„Recht so“, legt sie ihre Gedrücktheit ab. „Stemmen wir uns nicht gegen das Schicksal. Bis zur Boardingtime verbleiben vier Stunden. Schon mal ein Höllentempo in luftiger Höhe gefahren?“
„Ja“, versucht er sich im Originellen. „Mit dem Flugzeug.“
„Das Flugzeug fliegt und fährt nicht.“
„Wie Recht Sie haben“, lächelt er beschämt. „Da spricht wieder mal meine Mutter aus mir. Anstelle ´Fliegen´ sagt sie immer ´Fahren´. Ganz bewusst. Um meine Nerven zu kitzeln.“
Sie schiebt ihre Unterlippe nach vorn, pustet Nase und Stirn Luft zu, sagt sachlich: „Fliegen oder fahren wir? Das stellt sich manchmal wirklich als Frage. Der Transrapid fährt in der Spitze dreihundert Sachen. Sportflugzeuge erreichen mit diesem Tempo die normale Reisegeschwindigkeit.“
„Ich bin gespannt“, frohlockt er.
Sie wechseln ausreichend Geld für die Fahrscheine, auf den Laufbändern nutzen sie die Gelegenheit zum Gehen. Der Transrapid sieht aus wie ein ICE, im Abteil mit über fünfzig Plätzen leistet ihnen eine Handvoll Mitreisender Gesellschaft. Die Beschleunigung drückt sie in die Sitze, an den Fahrzeugen auf der parallel verlaufenden Schnellstraße rauscht der Transrapid vorüber wie Autos an Pferdewagen. Nach zweieinhalb Minuten zeigt die Leuchtanzeige über der Abteiltür die Höchstgeschwindigkeit Dreihunderteins an. Mein Herz, denkt er. Wie rasch es heftig schlägt. Wie rasch es ins Unauffällige wechselt. Seine Augen gleiten zur Geschwindigkeitsanzeige, der leuchtende Zahlenwert sinkt unaufhörlich. Der Bremsvorgang spaltet sich in Sehen und Fühlen, hält er weiter Zwiesprache. Am Ende sehe ich den Stillstand durch die Zahl Null. Stillstand und Bewegung gleichen sich im Gefühl an.
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