Um 7 Uhr 40 war er schon im Hotel. Alles war noch ruhig. Um diese Uhrzeit war die Küche bereits sauber gemacht und die Köche bereiteten das Frühstück zu. Währenddessen wurden noch das Restaurant, die Empfangshalle und die Flure sauber gemacht. Die Terrasse wurde umgeräumt, Tische und Stühle platziert. Einige Touristen waren schon unterwegs. Manchen schwammen schon, manche genossen einfach die frische Meeresluft und liefen am Strand entlang, aber die meisten waren noch in ihrem Zimmer. Ab 8 Uhr 30 sollte das Frühstücksbüffet fertig sein.
Johnny inspizierte alles und war zufrieden mit dem Ablauf. Er lief am Strand entlang und sammelte ein bisschen Müll ein.
Zurück im Hotel saßen schon einige Gäste beim Frühstück. Das Büffet wurde immer wieder frisch gemacht und blieb bis 11 Uhr stehen.
Einige Belgier waren schon wach und wollten schwimmen gehen. Er sah sie von weitem und schwenkte die Hand. Dabei war aber keine Liege zu sehen.
Er vermutete, dass sie auch bald kommen würde und deswegen entschied er sich, im Hotel zu bleiben, im Restaurant. Da mussten die Gäste hindurch gehen, wenn sie aus ihren Zimmern kamen. Er wollte Liege schon da abfangen. Auch nach einer Stunde war sie nicht zu sehen. Mittlerweile waren die restlichen Belgier wach und saßen alle am Frühstücktisch. Es war auch schon fast 10 Uhr, aber Liege war nirgendwo zu sehen. Deswegen ging Johnny zu der Gruppe.
„Bonjour chers amis de la Belgique, vous êtes satisfait?“ („guten Morgen, Freunde aus Belgien, sind Sie zufrieden?“), fragte Johnny.
„Oui, merci, alles ist gut, wir haben gut geschlafen, das Wetter ist toll“, sagte der einzige Mann der Gruppe. „Für mich ist das Beste das Essen. Alles so frisch, viel Obst und das schon so früh morgens. Der Urlaub kann nicht schöner beginnen“, sagte eine der Frauen.
„Ich sehe, dass es eine von Ihnen fehlt“, sagte Johnny fast fragend.
„Ja, das stimmt. Sie war schon sehr früh wach. Hat ein Buch genommen und wollte erstmal nur in Ruhe irgendwo sitzen, das Meer anschauen und das Urlaubsgefühl ankommen lassen.“
„Ich freue mich, dass Sie zufrieden sind. Na dann wünsche ich Ihnen einen guten Appetit und einen schönen Aufenthalt hier in unserem Haus. Wenn Sie was wünschen, zögern Sie nicht mich anzusprechen“, sagte Johnny. Es gefiel ihm immer mehr und mehr als Assistent des Geschäftsführers zu arbeiten. Er wusste auch nicht, ob das zu seinem Job gehörte. Er hatte die Stelle bekommen und sich den Job einfach selbst gestaltet.
Er musste Liege finden. Vorhin war er am Strand nach links gelaufen und hatte Müll gesammelt. Sie war in dieser Richtung nicht zu sehen gewesen. Das hieß, sie konnte nur die andere Richtung genommen haben. Deswegen machte er sich auf die Suche.
Nach ca. 800 Metern erkannte er sie sitzend im Sand. Sie saß einfach da, ganz ruhig und schaute direkt ins Meer. Es war, als ob sie meditierte. Ja, dieser Strand von Kribi war auch perfekt für solche spirituellen Übungen. Der Strand erstreckte sich über Kilometer und an manchen Stellen waren kaum Menschen zu sehen oder zu hören. Du bist mit dir und der Natur allein, ganz allein.
Er näherte sich schleichend an, aber tat so, als ob er sie nicht gesehen hätte und auch nur meditierend spazieren ginge und wollte schon an ihr vorbei laufen, als sie rief:
„Hallo, sind Sie nicht Monsieur Mendo, der uns gestern abgeholt hat?“
Johnny stoppte, aber antwortete nicht direkt und tat so, als ob er sehr in sich selbst versunken wäre. Nach ca. zwei Minuten drehte er sich zu Liege und fragte ganz überrascht:
„Sie hier? Was machen Sie auf meinem Platz? Hier komme ich her, wenn ich meditieren möchte“, sagte Johnny spielerisch.
„Echt? Was für ein Zufall. Dieser Platz ist wunderschön. Sehen Sie diesen Ausblick? Ich meditiere auch gern, wie Sie. Wenn ich irgendwo das erste Mal hinkomme, möchte ich ankommen und mit der Natur am Ort Kontakt aufnehmen und mich mit ihr befreunden. Ich bin der Meinung, dass man die Natur um Erlaubnis bitten sollte, wenn man ihr Gebiet betritt. Stellen Sie sich mal vor, ein Fremder würde ohne zu klingeln, ohne Sie zu fragen, Ihre Wohnung betreten und da wohnen wollen. Was würden Sie tun? Ihn rausschmeißen oder die Polizei anrufen. Warum betreten wir dann das Wohngebiet anderer Lebenswesen, ohne um Erlaubnis zu bitten? Ich tue das immer, und es tut mir gut, und ich habe danach den Eindruck, dass die Natur mich besser beschützt. Ich fühle mich sicherer, wohler. Und Sie, warum meditieren Sie?“
Johnny näherte sich noch mehr an und fragte: „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
„Oh la la, tun Sie das nur. Dafür brauchen Sie nicht meine Erlaubnis. Von mir aus können wir uns duzen. Wir sind noch jung genug, um die Sache locker zu sehen, oder?“, lachte Liege.
„Ok, du kannst mich dann Johnny nennen, Johnny Win-Win, so nennen mich meine Freunde.“
„Hallo Johnny, das heißt wir sind nun befreundet, Johnny. Siehst du, die Natur kommt mir schon entgegen hier in Kamerun. Warum meditierst du?“
Johnny tat wie ein schüchterner Junge und tat so, als ob er sich schämen würde zu antworten.
Liege war ein bisschen erstaunt. Sie hatte das nicht von Johnny erwartet.
„Ich wollte dir nicht zu nah treten“, sagte sie. „Du musst auch nichts dazu sagen. Ich verstehe, Spiritualität ist individuell.“
Johnny taktierte schauspielerisch perfekt.
„Nein, so ist es nicht. Darum geht es nicht. Ich habe dich zuerst anlügen und eine falsche Erklärung geben wollen, da die wahre Erklärung ein bisschen peinlich ist“, sagte er.
„Ha bon, warum peinlich? Schämst du dich, dass ich dich beim Meditieren erwischt habe? Manche Menschen mögen es nicht und suchen deswegen Orte, wo sie allein sind.“
„Nein, Liege, ich schäme mich, dass ich für so etwas meditiere muss. Ha shit, was ist nur los mit mir“, versuchte er sich zu befreien, „ich schäme mich, für das was ich fühle, seit ich dich gestern gesehen habe. Nun sage ich dir die ganze Wahrheit. Bitte lach mich nicht aus oder erzähle es nicht meinem Boss im Hotel. Er würde mir sofort kündigen.“
„Ja, aber ich kann dir nichts versprechen solange ich nicht weiß, worum es geht“, machte Liege klar.
„Gerade da ist das Problem. Wenn du mir das nicht versprechen kannst, wie kann ich dir das sagen?“, konterte Johnny. „Siehst du, du bist sofort unsicher. Ich sehe es auf deinem Gesicht und das wollte ich nicht und deswegen ist es mir peinlich.“
„Ok, wenn du willst, verspreche ich es dir, aber ohne Garantie, nur weil ich eine neugierige Frau bin.“
„Ich meditiere nur, wenn ich vor eine unerwartete Situation gestellt bin, die mich emotional unruhig macht, und von der ich mich aber distanzieren muss. Es geht um dich“, sagte er und sah nun Liege tief in die Augen.
Sie konterte den Blick und fragte: „Ho, um mich? Was habe ich dir getan, dass du dich sogar distanzieren musst? Ich bin keine weiße Hexe, mon Dieu.“
„Nein, Liege, darum geht es nicht. Ich verstehe dieses Gefühl in mir auch gar nicht. Das ist einmalig. Nein, nicht ganz. So ein Gefühl, genau das gleiche Gefühl hatte ich vor drei Jahren und das war so schön, so wunderbar und dann, baff und vorbei… Gott warum?“, er hörte auf und schüttelte den Kopf hin und her und dann nahm er ihn in seine Hände und schaute tieftraurig auf den Boden.
„Ho, mon Dieu, Johnny, Johnny, was ist los? Was war denn passiert? Du machst mir Angst.“
Johnny schaute plötzlich auf und sah Liege wieder fast fünf Minuten tief in die Augen, ohne ein Wort zu sagen. „Liege, in meinem Leben ist mir das nur zweimal passiert. Vor drei Jahren und gestern. Ich hatte mir geschworen, dass ich so etwas nicht mehr erleben würde. Nach der Geschichte vor drei Jahren hatte ich mich auch entschieden, nie mehr eine Frau anzusehen. Ich habe meditiert, um dich aus meinem Gefühl zu verbannen. Ich habe meditiert, damit ich dich anders sehe, als wie du bist. Ich war dabei, deine Schönheit zu verändern. Du bist so schön, nein, schön ist fast jede Frau. Du bist so, so, ich weiß nicht, wie ich es sagen kann, und ob ich es sagen darf. Ich habe zum ersten mal seit drei Jahren wieder ein Verliebtheitsgefühl gespürt, und ich will das nicht. Ich will das nicht wieder erleben. Ich habe dich gesehen und bin wie von einem Gewitter getroffen. Dein Lächeln ist wie wenn man eine Mango schält und überrascht ist von der orangegelblichen Farbe ihres Fruchtfleisches. Am bestens kündige ich und geh weg. Liege, ich erwarte nichts von dir. Ich kann aber nicht da sein, wo du bist. Es ist unglaublich für die meisten Leute, die so etwas noch nicht erlebt haben. Liebe auf den ersten Blick gibt es. Ich schäme mich dafür, dass es mir wieder passiert ist.“
Читать дальше