1 ...7 8 9 11 12 13 ...40 Einen letzten Blick lasse ich durch das karge Schlafzimmer schweifen, dann trete ich aus dem Raum und suche nach den anderen beiden. Ich finde Adam und Clarissa in der Küche, wo sie gerade die Besteckschublade durchsuchen. „Habt ihr was Brauchbares gefunden?“, frage ich und betrachte die bereits geöffneten Schränke und Schubladen.
„Steakmesser.“ Clarissa drückt den Messerblock etwas fester an ihre Brust und ich verstehe, dass sie nicht will, dass ich mir eines nehme. Sie hat diese wertvollen Waffen entdeckt und möchte sie nun nicht mit mir teilen. Sie gehören Adam und ihr.
Ich möchte seufzen, lasse es aber. „Im Schlafzimmer war nichts zu holen, es sei denn, ihr braucht Boxershorts und Pornos.“ Ich ziehe die Nase leicht angewidert kraus.
„Und was ist das?“ Clarissa deutet mit dem Kinn auf den Gürtel.
„Ein Werkzeuggürtel. Ich dachte, der könnte mir stehen.“
„Praktisches Ding.“ Adam lächelt mir zu. „Keine schlechte Idee, sich sowas zuzulegen.“
„Mein Reden. Oh, Taschen sind auch noch im Schlafzimmer, falls ihr welche braucht.“
„Ich habe selber welche drüben.“ Clarissa wirkt abweisend und distanziert.
„Okay, hier wären wir auch durch.“ Adam erhebt sich mit einem leisen Ächzen. „Außer Dosen-Ravioli ist hier nichts zu holen. Das einzig Wertvolle waren die Messer. Lasst uns uns noch im Wohnzimmer und im Bad umsehen.“
„Ich schaue, was ich so im Bad finden kann“, sage ich.
„Gut, dann gehen wir ins Wohnzimmer.“ Er lächelt mir wieder zu, dann geht er an mir vorbei und weiter ins Wohnzimmer. Clarissa ist dicht hinter ihm, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie zu große Angst hat, um ihm auch nur einen Zentimeter von der Seite zu weichen.
Ich vergewissere mich mit einem Blick über die Schulter, dass sie fort sind, dann packe ich die Dosen-Ravioli in meinen Rucksack und suche in den offenen Schubladen nach einem Dosenöffner. Als ich ihn finde, landet er in einer der großen Taschen meines Gürtels, zusammen mit einer Gabel und einem Löffel. Ich sehe mich weiter um und finde eine Trinkflasche. Sie fasst nur einen halben Liter, dennoch ist es besser als nichts. Ich fülle sie am Hahn mit Leitungswasser, dann verstaue ich auch sie in meinem Rucksack. Zwar habe ich vorerst nicht vor, die beiden zu verlassen, doch sollten wir getrennt werden, möchte ich vorbereitet sein. Wenn dort unten auf den Straßen Tote umher wandeln, will ich nicht letztendlich an Dehydrierung oder Hunger sterben.
In einer weiteren Schublade finde ich Frischhaltebeutel. Zuerst will ich die Schublade einfach wieder ungeachtet schließen, als ich es mir doch anders überlege. Ich nehme die Beutel heraus und wühle aus dem Rucksack meine kleine Handtasche heraus. Behutsam schiebe ich Portemonnaie und Handy in einen der Beutel und verschließe ihn sorgfältig. Nach kurzem Überlegen stecke ich auch das Notizbuch und den Stift, die ich in Dereks Schlafzimmer fand, in einen Beutel, ehe ich sie wieder in die Tasche des Werkzeuggürtels stopfe.
Anschließend mache ich mich auf in das Bad, doch finde ich dort nichts Nützliches. Die Medikamente, die Derek besessen hat, scheine ich bereits im Schlafzimmer gefunden zu haben. Mein Blick fällt auf den Spiegel und als ich das Blut in meinem Gesicht sehe, drehe ich das Wasser auf und wasche es mir aus dem Gesicht, zusammen mit dem Make Up, das ich heute Morgen aufgelegt habe. Als ich wieder in den Spiegel blicke, rinnen Wassertropfen über meine Haut, das Blut ist fort. Ich sehe blass und müde aus, aus meinem französischen Zopf sind einzelne Strähnen gerutscht. Kurz frage ich mich, wieso ich so mitgenommen und Clarissa nach wie vor einfach perfekt aussieht. Doch ich schiebe diese Gedanken schnell beiseite, jetzt ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um über mein Äußeres nachzudenken. Mit einem leisen Seufzen stoße ich mich vom Waschbecken ab und gehe dann zu den anderen beiden ins Wohnzimmer.
„Was gefunden?“ Clarissa presst nach wie vor den Messerblock fest an ihre Brust.
„Nichts. Aber ich konnte mir immerhin das Blut aus dem Gesicht waschen. Ihr?“
„Oh ja.“ Adam hält grinsend eine Waffe in die Höhe. „Eine Neun-Millimeter. Und die dazugehörige Munition.“
„Sehr gut!“ Auch ich muss lächeln. „Das könnte unser Fahrschein hier raus sein!“
„Ich sage dir, was unser Fahrschein hier raus ist.“ Er winkt mich zum Fenster. „Die Gasse hinter dem Haus hier ist so gut wie leer, sie scheinen sich alle vorne herumzutreiben“, sagt Adam, als ich zu ihm getreten bin. „Und siehst du, da hinten?“ Er deutet nach links.
Ich lehne mich näher zu ihm herüber, um es sehen zu können. „Ein Jeep!“ Ich blicke auf den Wagen, er hat einen breiten In god we trust -Aufkleber auf der Heckscheibe. Der Regen läuft wie ein Wasserfall über die Karosserie.
„Um genau zu sein ein Grand Cherokee. Und die Schlüssel scheinen zu stecken.“
„Woher willst du das wissen?“ Ich kneife meine Augen leicht zusammen.
„Ganz einfach, das Licht ist an. Das geht nur, wenn der Schlüssel steckt. Und dass es leuchtet, zeigt uns wiederum, dass die Batterie noch nicht leer ist. Unser Ticket raus aus diesem verseuchten Nest.“
Ich bin noch nicht ganz überzeugt. „Und wie stellst du dir das vor?“
„Ich schnappe mir die Knarre, gehe durch den Seiteneingang und hole das Auto. Dann fahre ich die Kiste direkt vor die Tür für euch und rufe Clairy auf ihrem Handy an, damit ihr wisst, dass die Luft rein ist und ihr kommen könnt. Ihr hüpft rein und dann verlassen wir auf dem schnellsten Wege Washington.“ Er grinst mich schief an.
Ich lasse mir seine Worte durch den Kopf gehen. „Ich werde es machen. Oder komme zumindest mit.“
„Nein. Du weißt, dass ich dir vertraue, Eve. Ich denke nicht, dass du uns einfach zurücklässt oder sonst was. Aber ich habe dir heute schon einmal das Leben gerettet, du hättest tot sein können, als wir draußen vor dem Haus standen. Da werde ich dich jetzt nicht da rausschicken, wo Hunderte von diesen Dingern rumlaufen. Und einer alleine ist nun mal schneller und unauffälliger.“
Ich seufze leise. Noch immer bin ich der Meinung, dass es einen anderen Weg geben muss als mit dem Auto. Dass er es nicht alleine versuchen sollte. Doch ich weiß auch, dass ich Adam nicht werde überzeugen können. „Klingt gar nicht so verkehrt.“
„Ist es auch nicht, vertraut mir. Ich werde uns hier rausbringen. Und zwar jetzt.“ Er entsichert die Waffe.
„Sei vorsichtig, Babe.“ Sie küssen sich und ich muss mich abwenden.
„Und versuche, wenn es geht, das Ding da nicht zu nutzen.“ Ich deute auf die Waffe. „Wir sollten so leise wie möglich sein.“
„Alles klar. Bis gleich, ihr zwei.“ Er verlässt den Raum.
„Das kann nicht gut enden.“ Clarissa klingt belegt.
„Er weiß schon, was er tut“, erwidere ich, den Blick auf die Gasse gerichtet.
„Das meine ich nicht.“
„Was denn dann?“ Ich schaue, ob ich eines dieser Dinger sehe, doch sie scheinen tatsächlich alle auf der Vorderseite des Hauses zu sein. Mir kommt der Gedanke, dass sie dort wohl noch genug zu fressen haben und mir wird wieder leicht flau im Magen.
„Er hat dich Engel genannt. Vorhin, als du Derek getötet hast. Und immer wieder wirft er dir diese … diese Blicke zu. Adam, meine ich. Und deswegen kann ich nicht zulassen, dass du mit uns kommst.“
„Was?“ Ich will mich ihr zuwenden, in ihr Gesicht blicken und mich davon überzeugen, dass sie das gerade wirklich gesagt hat. Aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie sie mit dem Messerblock weit ausholt.
Dann wird um mich herum alles schwarz.
12. Juli 2021, DIE FLUCHT
Logbuch-Eintrag 02
Wir sind seit Stunden unterwegs, erst jetzt gönnen wir uns unsere erste Pause. Meine Lungen schmerzen, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal in meinem Leben so lange am Stück gerannt bin. Am liebsten wäre ich noch immer in Bewegung, mein Herz schlägt so schnell gegen meine Rippen, dass es wehtut. Ich weiß, dass es Angst ist. Tiefe, schwarze, unendliche Angst.
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