»Genau, genau. Aber sagen Sie das mal ihren Vorgängern.«
Meinen Vorgängern? In diesem Moment ist es mir klar, er ist Ronan Meusburger, aber ob ich darüber glücklich sein soll, steht noch in den Sternen.
Von meiner anfänglichen Euphorie, diesen Job und Studienplatz bekommen zu haben, ist auf jeden Fall in diesem Moment nichts mehr, also null Komma null, zu spüren.
Er zuckt mit den Schultern und meint: »Kommen Sie, kommen Sie nur, ich bringe Sie zu ihrem Arbeitsplatz.«
Ich schiebe alle Vorurteile zur Seite und folge seinem vertrauten Papierduft bis ans Ende der Regale, wo er mich aufgespürt hat. Vier weitere Male biegen wir ab.
Der Raum erreicht Dimensionen, die mich an die Internetbilder des Gewölbes der Bibliothek des Trinitiy College in Dublin erinnern und hat gar nichts mehr mit einem Büro zu tun. Gate? Der Ausdruck passt absolut.
Wir gehen einige Stufen hinab in einen weiteren Bereich des Labyrinths, in dem sich die Bücherregale lichten und einem langen massiven Eichentisch Platz machen, der wie eine mittelalterliche Tafel den halben Raum für sich einnimmt.
Stehlampen mit grünen Schirmen aus Glas dienen als Beleuchtung und betonten die Bibliotheksatmosphäre. Der Tisch ist aufgeräumt und ich sehe, in ordentlichem Abstand zueinander, drei Laptops mit zusätzlichen Flatscreens. Davor ein paar Bücher.
Ich sehe viele Kirchenfenster mit bunten, schönen Glasmalereien darauf, die nur wenig Licht Einlass gewähren.
Darum die zusätzliche Beleuchtung, verstehe ich. Wir sind an der Außenmauer angelangt, Gate 13 endet hier und ich bin nicht die einzige Mitarbeiterin von Ronan Meusburger. Das ist beruhigend.
Vigor sitzt an dem langen Eichentisch in Gate 13 und versucht sich vergebens auf die Zahlenkolonnen zu konzentrieren, die vor ihm auf dem Monitor wie Sprühregen niederprasseln. Anfertigen von Analysen und die Entwicklung von theoretischen Konzepten gehören nicht zu seinen Leidenschaften.
Sein erstaunliches Talent ist gänzlich anders angelegt. Es stellt sich ein warmes, heimeliges Gefühl in seiner Magengegend ein. In den nächsten Tagen wird das jahrelange Warten endlich beendet sein. Aber Aeias und seine gemeinsame Bestimmung muss noch verborgen, ja sogar geheim bleiben. Solange bis ihre Metamorphose abgeschlossen ist. Nur noch wenige Tage.
Sein Smartphone vibriert und robbt auf dem Schreibtisch davon, als wäre es eine große schwarze Raupe.
Eine verschlüsselte Nachricht kommt an.
Vigor arbeitet für Gate 13, für Ronan Meusburger, aber diese Nachricht kommt nicht von seinem direkten Vorgesetzten. Sie kommt von einer anderen Person innerhalb der Mauern des Instituts. Seine Loyalität ihr gegenüber ist unbeugsam. Vigor decodiert die Nachricht. Liest sie, leise in Gedanken: Sie ist im Institut. Auf dem Weg zu Gate 13. Sie wird in Kürze eintreffen. Ich zähle auf Sie, Vigor.
In diesem Moment betritt Meusburger mit Aeia Engel den Raum.
Ronan Meusburger brummt: »Kyala. Vigor. Ich will euch Aeia Engel zeigen.«
Zeigen? Ich glaube, ich habe mich verhört. Er will mich zeigen? Was bin ich? Ein neues Inventar? Ein Möbelstück. Vorstellen wäre angemessen gewesen. Ich möchte ihnen die Neue vorstellen. Umso mehr bin ich darüber erstaunt, dass Ronan Meusburger den richtigen Ausdruck gewählt hat. Ich stehe wie angewurzelt vor dem monströsen Tisch und die beiden heften ihre Blicke an mir fest. Ich fühle mich wie ein Insekt, unter einem Vergrößerungsglas.
Ich versuche das zu ignorieren und mache mir selbst ein Bild von meinen neuen Kollegen. Kyala sieht aus wie eine Fledermaus Mensch Kombination.
Sie hat ihren Körper in schwarze, gruftige Kleidung gehüllt. Ihre Haare reichen bis zum Kinn, sind dick und pechschwarz.
Sie hat ein ovales Gesicht, mit durchdringenden, schwarzen Augen und ist ziemlich hübsch, was zu großen Teilen an ihren dunkeln und dichten Wimpern liegt. Sie trägt bestimmt schwarze Kontaktlinsen.
Mir gefallen auch ihre reine, marmorgleiche Haut und der süße, geschwungene Mund. Kyala ist eine hübsche, junge Frau, daran besteht kein Zweifel und jung passt auch ganz gut. Ich schätze sie auf keinen Fall älter als zwanzig. Vermutlich studiert sie auch noch.
Ich lächle sie lieb an und bin sehr froh, als ich auch einen Ansatz eines verschmitzten Lächelns auf ihren geschwungenen Lippen sehe. Sie ist bestimmt glücklich, dass sie weibliche Gesellschaft bekommt, bei den schrägen Männern in Gate 13. Womit ich auch schon bei Vigor bin.
Seine Eltern müssen hellseherische Fähigkeiten gehabt oder in eine Glaskugel geschaut haben, als sie seinen Namen auswählten.
Vigor? Slawische, transsilvanische oder transsibirische Abstammung vermute ich und frage mich gleichzeitig, ob es so etwas überhaupt gibt.
Er ist, selbst hinter dem Monitor sitzend, noch größer als ich. Sein Gesicht ist wuchtig, blass und sein Körper muskulös, athletisch. Seine Augen sind Schlitze und ich habe das Gefühl von stahlblauen Speerspitzen durchbohrt zu werden und seine Miene verzieht sich keinen Millimeter, als ich versuche, auch ihn lieb anzulächeln. Vergeblich versuche lieb anzulächeln, trifft es besser, denn Vigors bloße Anwesenheit lässt meine Knie erzittern.
Ich blicke auf seine Hände, die riesig sind.
Plötzlich habe ich eine Heidenangst davor, dass er mir mit diesen Händen wehtun könnte. Ein Schauer läuft meine Wirbelsäule hinab. Ich greife an den Schutzengel an meiner Brust, denke an etwas Positives und mein innerer Schutzschild fährt hoch.
»Ihr drei lernt euch später besser kennen. Dann werden Sie auch in die Spezialgebiete von Kyala und Vigor eingewiesen«, sagt Ronan Meusburger. Um ehrlich zu sein, will ich von Vigor in überhaupt nichts eingewiesen werden.
»Kommen Sie, Aeia, kommen Sie. Wir gehen in mein Büro. Ich werde Ihnen einiges erläutern, was Sie wissen müssen.« Wie ein eingeschüchtertes Schulmädchen folge ich dem Professor. Die Tür zu seinem Büro befindet sich keine fünf Meter hinter dem Eichentisch und wird bewacht von je zwei mächtigen Bücherregalen zur Linken und zur Rechten.
Ich sehe mich noch einmal um. Kyalas und mein Blick treffen sich und sie nickt mir aufmunternd zu.
Wärme strömt von ihr zu mir und ich fühle mich sofort etwas besser. Ich glaube, sie mag mich vom ersten Moment an, obwohl ich noch nicht einmal weiß, ob sie überhaupt meine Sprache spricht. Vigor ertappe ich auch dabei, wie er mir hinterhersieht. Das macht ihn aber weder sympathischer, noch verliere ich vor ihm meine Angst, die instinktiv, ganz tief aus meinem Innern, zu kommen scheint.
»Kommen Sie nur, kommen Sie nur, Aeia. Ich beiße nicht«, höre ich die angeraute Stimme Meusburgers. Er steht in der geöffneten Tür und winkt mich zu sich. Zögernd, mit langsamen Schritten, befehle ich meinen Körper in sein Büro. Das Sonnenlicht kriecht durch zwei farbige Kirchenfenster, malt ein atemberaubend schönes Mosaik auf das Parkett und den Schreibtisch, den zwei grinsende Totenschädel an jedem Tischbein zieren.
Mein Chef setzt sich hinter seinen antiken Totenschädelschreibtisch in einen braunen, vom Alter gezeichneten, Ledersessel. Mit einem belanglosen Wink gibt er mir zu verstehen, in dem nicht weniger alten, aber wesentlich unbequemeren, Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.
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