Joseph machte immer noch mit dem Schüreisen und der Feuerzange ein ungeheures Getöse; dabei keuchte und schnaufte er und lief so rot an, wie sein gelbes Gesicht nur erlaubte.
„Ich kann dir keine so schönen Geschenke machen, Joseph“, fuhr seine Schwester fort, „aber ich habe dir in der Schule ein Paar sehr schöne Hosenträger gestickt.“
„Guter Gott! Amelia“, rief der Bruder, ernstlich beunruhigt, „was meinst du nur?“ Und er riss mit aller Macht an der Klingelschnur, bis er sie in der Hand hielt, was den braven Burschen noch mehr verwirrte. „Um Himmels willen, sieh nach, ob mein Buggy vor der Tür steht. Ich kann nicht warten, ich muss fort. Dieser verd... Stallknecht! Ich muss fort.“
In diesem Augenblick trat der Vater der Familie herein, wie ein echter britischer Kaufmann mit den Petschaften klimpernd. „Was gibt es, Emmy?“ fragte er.
„Joseph sagt, ich soll nachsehen, ob sein – sein Buggy vor der Tür steht. Was ist ein Buggy, Papa?“
„Das ist eine einspännige Sänfte“, sagte der alte Herr, der in seiner Art ein Schalk war.
Bei diesen Worten brach Joseph in ein wildes Gelächter aus, von dem er jedoch, wie von einem Schuss getroffen, jäh abließ, als er dem Blick von Miss Sharp begegnete.
„Diese junge Dame ist deine Freundin? Miss Sharp, es freut mich, Sie zu sehen. Haben Sie und Emmy mit Joseph bereits Streit gehabt, dass er durchaus fortwill?“
„Ich versprach meinem Kameraden Bonamy, mit ihm zu speisen“, erklärte Joseph.
„Ei, ei! Sagtest du nicht deiner Mutter, du wolltest zu Hause speisen?“
„Aber so wie ich angezogen bin, ist es unmöglich.“
„Sehen Sie ihn doch an, Miss Sharp; ist er nicht schön genug, um überall zu speisen?“
Hierauf blickte Miss Sharp natürlich ihre Freundin an, und beide brachen in ein Gelächter aus, das dem alten Herrn sehr angenehm war.
„Haben Sie je bei Miss Pinkerton solch ein Paar wildlederne Hosen gesehen?“ fuhr er fort, seinen Vorteil ausnutzend.
„Um Himmels willen! Vater!“ rief Joseph.
„Da haben wir's! Nun habe ich seine Gefühle verletzt. Mrs. Sedley, meine Liebe, ich habe die Gefühle deines Sohnes verletzt. Ich habe auf seine ledernen Hosen angespielt. Frag doch Miss Sharp, ob es stimmt! Komm, Joseph, versöhn dich mit Miss Sharp, und lasst uns essen gehen.“
„Es gibt einen Pilaw, Joseph, ganz so, wie du ihn liebst, und Papa hat den besten Steinbutt von Billingsgate mitgebracht.“
„Komm, komm, mein Junge, geh mit Miss Sharp hinunter, und ich werde mit diesen zwei jungen Damen folgen“, sagte der Vater, reichte Frau und Tochter den Arm und ging munter davon.
Wenn Miss Rebekka Sharp im Innern beschlossen hatte, diesen dicken Beau zu erobern, so glaube ich nicht, meine Damen, dass wir ein Recht haben, sie zu tadeln; denn obgleich die jungen Mädchen das Geschäft der Jagd nach dem Ehemann im allgemeinen mit geziemender Sittsamkeit ihren Mamas überlassen, so müssen wir uns doch erinnern, dass Miss Sharp keine liebevolle Mutter besaß, die diese heikle Angelegenheit für sie in Ordnung bringen könnte, und dass, wenn sie sich nicht selbst einen Mann verschaffte, niemand in der weiten Welt ihr diese Mühe abnehmen würde. Weshalb lassen sich junge Mädchen sonst in der Gesellschaft einführen, wenn nicht aus dem edlen Streben, einen Mann zu finden? Was führt sie zu Hunderten in die Bäder? Was bewegt sie, eine entsetzlich lange Saison hindurch bis fünf Uhr morgens zu tanzen? Was treibt sie, sich mit Klaviersonaten abzumühen, bei dem gerade modernen Gesangmeister für eine Guinee pro Stunde vier Lieder zu lernen, Harfe zu spielen, falls sie wohlgeformte Arme und hübsche Ellbogen haben, grüne Jägerhütchen mit Federn zu tragen, wenn nicht der Wunsch, mit diesen tödlichen Waffen einen „begehrenswerten“ jungen Mann zur Strecke zu bringen? Was veranlasst respektable Eltern, ihre Teppiche zusammenzurollen, im Hause das Unterste zuoberst zu kehren und ein Fünftel ihres Jahreseinkommens für Bälle und eisgekühlten Champagner auszugeben? Ist es bloß die Liebe zu ihresgleichen oder der echte Wunsch, junge Leute beim Tanzen glücklich zu sehen? Pah! Sie wollen ihre Töchter verheiraten; und wie die ehrliche Mrs. Sedley in der Tiefe ihres wohlwollenden Herzens bereits ein Dutzend kleiner Pläne zur Verheiratung ihrer Amelia ausgedacht hatte, so hatte auch unsere geliebte, aber schutzlose Rebekka beschlossen, ihr Möglichstes zu tun, sich einen Mann zu sichern, den sie sogar noch notwendiger brauchte als ihre Freundin. Sie besaß eine lebhafte Phantasie; außerdem hatte sie „Tausendundeine Nacht“ sowie „Guthries Geographie“ gelesen, und tatsächlich hatte sie sich beim Ankleiden zum Essen, nachdem sie Amelia gefragt hatte, ob ihr Bruder sehr reich sei, ein prachtvolles Luftschloss gebaut, dessen Herrin sie war, mit einem Ehemann irgendwo im Hintergrund (sie hatte ihn noch nicht gesehen, und seine Gestalt war daher noch etwas verschwommen); sie war geputzt mit einer unendlichen Menge von Schals, Turbanen und Diamanthalsbändern, unter den Klängen des Marsches aus „Blaubart“ auf einen Elefanten gestiegen, um dem Großmogul einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Bezaubernde Märchenträume! Es ist das glückliche Vorrecht der Jugend, euch zu ersinnen, und manches phantasiereiche junge Geschöpf hat schon wie Rebekka Sharp solchen Tagträumen nachgehangen.
Joseph Sedley war zwölf Jahre älter als seine Schwester Amelia. Er stand im Zivildienst der Ostindischen Kompanie, und sein Name war zu der Zeit, von der wir schreiben, in der bengalischen Abteilung des „Ostindischen Registers“ als Steuereinnehmer von Boggley Wollah aufgeführt – ein ehrenvoller und einträglicher Posten, wie man allgemein weiß. Will der Leser erfahren, zu welchen höheren Stellungen Joseph im Dienste aufstieg, so verweisen wir ihn auf die bereits erwähnte Zeitschrift.
Boggley Wollah liegt in einem schönen, einsamen, sumpfigen Dschungelgebiet, berühmt wegen seiner Schnepfenjagden, wo man nicht selten auch einen Tiger antreffen kann. Ramgunge, wo sich eine Behörde befindet, ist nur vierzig Meilen entfernt, und etwa dreißig Meilen weiter liegt ein Kavallerieposten; das alles berichtete Joseph seinen Eltern nach Hause, als er seine Steuereinnehmerstelle antrat. Er hatte ungefähr acht Jahre seines Lebens ganz allein an diesem bezaubernden Ort zugebracht, wobei er kaum häufiger als zweimal jährlich, wenn nämlich ein Truppenkommando eintraf, um die von ihm erhobenen Steuern nach Kalkutta zu bringen, je einen Christenmenschen zu Gesicht bekam.
Glücklicherweise zog er sich um diese Zeit ein Leberleiden zu, und um das zu heilen, kehrte er nach Europa zurück. Diese Krankheit wurde ihm zu einer Quelle von Freude und Unterhaltung in der Heimat. Er lebte in London nicht bei seiner Familie, sondern hatte als lebenslustiger Junggeselle eine eigene Wohnung. Ehe er nach Indien ging, war er zu jung gewesen, um an den herrlichen Vergnügungen der Lebemänner teilzuhaben; nun, bei seiner Rückkehr, stürzte er sich umso eifriger hinein. Er lenkte seine Pferde durch den Park, speiste in vornehmen Restaurants (der Orientklub bestand noch nicht), besuchte häufig die Theater, wie es in jenen Tagen Mode war, oder zeigte sich in der Oper, mühsam in enge Beinkleider gezwängt und mit Dreispitz.
Bei seiner Rückkehr nach Indien, wie auch später, pflegte er stets mit großer Begeisterung von den Freuden dieses Lebensabschnittes zu sprechen und gab zu verstehen, dass er und Brummel die tonangebenden Salonlöwen jener Zeit gewesen seien. Aber er war hier ebenso einsam wie in seinem Dschungel in Boggley Wollah. Er kannte kaum eine Seele in der Hauptstadt; und hätte er nicht seinen Doktor gehabt und seine Quecksilberpillen und das Leberleiden, so wäre er vor Langweile gestorben. Er war ein träger, mürrischer Bonvivant; der Anblick einer Dame erschreckte ihn außerordentlich, und so geschah es, dass er sich nur selten im väterlichen Kreise am Russell Square blicken ließ, wo es überaus lustig zuging und wo die Späße seines gutmütigen alten Vaters seine Eigenliebe verletzten.
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