William Thackeray - Jahrmarkt der Eitelkeiten

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Der Gesellschaftsroman «Jahrmarkt der Eitelkeiten» zeichnet ein facettenreiches, alle sozialen Klassen einschließendes Bild der Londoner Gesellschaft zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Alle streben nach sozialem Aufstieg. William Makepeace Thackeray zeigt anhand mehrerer Lebensläufe, wann und warum der Weg nach oben glückt, und welche Charaktereigenschaften einem dabei im Wege stehen.
Dieses E-Book enthält eine vollständige deutsche Ausgabe des Romans «Jahrmarkt der Eitelkeiten» (Originaltitel: «Vanity Fair») von William Makepeace Thackeray.

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„Meine Liebe, Sie sind ja eine wahre trouvaille“, pflegte Miss Crawley zu sagen. „Ich wollte, Sie könnten zu mir nach London kommen. Aber ich könnte Sie nicht wie die arme Briggs zur Zielscheibe meines Spottes machen, nein, nein, Sie gerissenes kleines Geschöpf, Sie sind zu schlau dazu. – Nicht wahr, Firkin?“

Mrs. Firkin (die gerade damit beschäftigt war, die wenigen Haarreste auf Miss Crawleys Schädel zu frisieren) warf den Kopf in den Nacken und sagte mit mörderischem Sarkasmus: „Ich glaube, Miss ist wirklich sehr schlau.“ Mrs. Firkin besaß jene natürliche Eifersucht, die eine Haupteigenschaft jeder ehrlichen Frau ist.

Nachdem Miss Crawley sich Sir Huddleston Fuddlestons entledigt hatte, befahl sie, dass Rawdon Crawley sie jeden Tag zu Tisch führen und dass Becky ihr mit dem Kissen folgen sollte, oder aber sie nahm Beckys Arm und ließ Rawdon mit dem Kissen folgen. „Wir müssen zusammen sitzen“, erklärte sie. „Wir sind die drei einzigen Christen in der Grafschaft, meine Liebe“; wenn das der Fall war, durfte es allerdings zugegebenermaßen in der Grafschaft Hampshire mit der Religion nicht eben zum besten stehen.

Miss Crawley war aber nicht nur eine fromme Christin, sie war auch, wie bereits erwähnt, von ultraliberaler Einstellung und ergriff jede Gelegenheit, ihre Ansichten offen zu verkünden.

„Was ist schon Geburt, meine Teure?“ pflegte sie zu Rebekka zu sagen. „Sehen Sie sich meinen Bruder Pitt an, sehen Sie sich die Huddlestons an, die schon seit Heinrich II. hier wohnen, sehen Sie sich den armen Bute im Pfarrhause an – kann es einer von denen mit Ihnen in bezug auf Verstand und Erziehung aufnehmen? Es mit Ihnen aufnehmen? Ach du großer Gott, die können es nicht einmal mit der armen lieben Briggs, meiner Gesellschaftsdame, oder Bowls, meinem Butler, aufnehmen. Sie, meine Liebe, sind wirklich ein Musterexemplar, ein kleiner Edelstein. Sie haben mehr Verstand als die halbe Grafschaft. Würde Vortrefflichkeit belohnt, so müssten Sie eine Herzogin sein – nein, es sollte überhaupt gar keine Herzoginnen geben, aber Sie dürften niemanden über sich haben, und ich betrachte Sie, meine Liebe, in jeder Hinsicht als mir ebenbürtig; und... würden Sie bitte ein paar Kohlen nachlegen, und würden Sie bitte dieses Kleid nehmen und es ändern, wo Sie es doch so gut können?“ So ließ diese alte Philanthropin die, die sie als Gleichgestellte betrachtete, ihre Aufträge ausführen, betraute sie mit ihren Näharbeiten und ließ sich von ihr jeden Abend mit französischen Romanen in den Schlaf lesen.

Wie ältere Leser sich vielleicht noch erinnern werden, war damals die vornehme Welt in beträchtliche Aufregung versetzt worden durch zwei Vorfälle, die geeignet waren, wie die Zeitungen sich ausdrücken, den Herren in den langen Roben Beschäftigung zu verschaffen. Fähnrich Shafton war mit Lady Barbara Fitzurse, Tochter und Erbin des Grafen von Bruin, entlaufen; und der arme Vere Vane, ein Herr, der bis in sein vierzigstes Lebensjahr in bestem Rufe stand und zahlreiche Kinder großgezogen hatte, verließ mit einemmal schändlicherweise sein Haus wegen Mrs. Rougemont, der fünfundsechzigjährigen Schauspielerin.

„Das war der schönste Zug an Lord Nelsons teurem Charakter“, sagte Miss Crawley, „dass er für eine Frau zum Teufel ging. In einem Mann, der das tut, muss Gutes stecken. Ich liebe alle unklugen Heiraten. Am schönsten finde ich, wenn ein Adliger eine Müllerstochter heiratet, wie Lord Flowerdale es getan hat. Das macht alle Frauen so wütend. Ich wollte, ein Mann liefe mit Ihnen davon, meine Liebe, hübsch genug sind Sie.“

„Zwei Postillione! Ach, das wäre entzückend!“ gestand Rebekka.

„Und am zweitbesten gefällt mir, wenn ein armer Kerl mit einem reichen Mädchen durchbrennt; es wäre herrlich, wenn Rawdon irgendeine entführte.“

„Eine Reiche oder eine Arme?“

„Ei, ei, Sie Gänschen! Rawdon hat keinen Shilling, außer dem, was ich ihm gebe. Er ist criblé de dettes – er muss sein Glück reparieren und Erfolg in der Welt haben.“

„Ist er sehr klug?“ fragte Rebekka.

„Klug, meine Liebe? Ei, er hat keine Ahnung von etwas anderem als von Pferden, seinem Regiment, seiner Jagd und seinem Spiel; aber er muss Erfolg haben – er ist so entzückend lasterhaft. Wissen Sie nicht, dass er einen Mann getötet und einem beschimpften Vater nur durch den Hut geschossen hat? Bei seinem Regiment beten sie ihn an, und alle jungen Leute bei ›Wattier‹ und im ›Kakaobaum‹ schwören auf ihn.“

Als Miss Rebekka Sharp ihrer geliebten Freundin den kleinen Ball in Queen's Crawley beschrieb und schilderte, wie Hauptmann Crawley sie zum ersten Male ausgezeichnet hatte, war ihr Bericht seltsamerweise nicht in allen Stücken genau. Der Hauptmann hatte sie schon oft zuvor ausgezeichnet. Der Hauptmann war ihr ein dutzendmal auf Spaziergängen begegnet. Der Hauptmann hatte sie fünfzigmal in Korridoren und Gängen getroffen. Der Hauptmann hatte sich abends wohl zwanzigmal über das Klavier gelehnt, wenn sie sang (die Lady war krank und hielt sich oben auf, und niemand kümmerte sich um sie). Der Hauptmann hatte Rebekka Briefchen geschrieben (die schönsten, die der große, ungeschickte Dragoner ersinnen und aufs Papier bringen konnte, aber mit Dummheit kommt man bei den Frauen ebenso weit wie mit allen anderen Eigenschaften). Als er aber sein erstes Briefchen in die Noten des Liedes gesteckt hatte, das sie gerade sang, erhob sich die kleine Gouvernante, sah ihm fest ins Gesicht, ergriff das dreieckige Briefchen, schwenkte es hin und her, als ob es ein Dreispitz wäre. Dann schritt sie auf den Feind zu und warf das Briefchen ins Feuer, und nach einem tiefen Knicks ging sie an ihren Platz zurück und sang lustiger als je weiter.

„Was ist los?“ fragte Miss Crawley, die durch das plötzliche Aufhören der Musik in ihrem Nachmittagsschläfchen gestört wurde.

„Es war eine falsche Note“, lachte Miss Sharp; Rawdon Crawley dagegen platzte vor Wut und Ärger.

Wie gut war es doch von Mrs. Bute Crawley, nicht eifersüchtig zu werden, als sie Miss Crawleys offensichtliche Vorliebe für die neue Gouvernante entdeckte, sondern die junge Dame ins Pfarrhaus einzuladen, und mit ihr zusammen auch Rawdon Crawley, ihres Gatten Rivalen in den fünfprozentigen Papieren der alten Jungfer. Sie fanden viel Gefallen aneinander, Mrs. Crawley und ihr Neffe. Er gab das Jagen auf, folgte nicht mehr den Einladungen nach Fuddleston und speiste nicht mehr in der Offiziersmesse im Hauptquartier des Regiments in Mudbury; sein größtes Vergnügen war, nach dem Pfarrhause von Crawley hinüberzuschlendern, wohin sich auch Miss Crawley begab, und warum nicht auch Miss Sharp mit den Kindern, da doch deren Mutter krank war? So kamen denn auch die Kinder (die herzigen Kleinen!) mit Miss Sharp, und abends gingen gewöhnlich einige aus der Gesellschaft zu Fuß zurück. Nicht Miss Crawley – sie zog ihre Kutsche vor; aber für zwei Liebhaber des Malerischen wie den Hauptmann und Miss Rebekka war der Spaziergang im Mondschein über die Felder des Pfarrers und durch das Parkpförtchen zu den dunklen Bäumen und durch die Allee nach Queen's Crawley hinauf bezaubernd schön.

„Oh, die Sterne, die Sterne!“ rief Miss Rebekka jedesmal aus und schlug ihre grünen funkelnden Augen auf. „Ich fühle mich fast wie ein Geist, wenn ich sie anschaue.“

„Oh – ah – Gott – ja, ich genauso, Miss Sharp“, antwortete der andere Enthusiast. „Meine Zigarre stört Sie doch hoffentlich nicht, Miss Sharp?“ Miss Sharp liebte Zigarrenduft im Freien über alles – und sehr zierlich probierte sie selbst mal eine, paffte ein wenig, stieß einen kleinen Schrei aus, kicherte ein wenig und gab die Köstlichkeit dem Hauptmann zurück; der zwirbelte seinen Schnurrbart, paffte so heftig, dass rote Glut zwischen den dunklen Bäumen aufleuchtete, und schwor: „Beim Zeus – ah – Gott – ah – das ist die beste Zigarre, die ich je geraucht habe – ah“, denn seine Unterhaltung war ebenso brillant wie sein Verstand und einem schwerfälligen jungen Dragoner angemessen.

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