William Thackeray - Jahrmarkt der Eitelkeiten

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Der Gesellschaftsroman «Jahrmarkt der Eitelkeiten» zeichnet ein facettenreiches, alle sozialen Klassen einschließendes Bild der Londoner Gesellschaft zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Alle streben nach sozialem Aufstieg. William Makepeace Thackeray zeigt anhand mehrerer Lebensläufe, wann und warum der Weg nach oben glückt, und welche Charaktereigenschaften einem dabei im Wege stehen.
Dieses E-Book enthält eine vollständige deutsche Ausgabe des Romans «Jahrmarkt der Eitelkeiten» (Originaltitel: «Vanity Fair») von William Makepeace Thackeray.

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Seit einiger Zeit ist es nicht mehr Schloss Einerlei. Stell Dir vor, meine Liebe, Miss Crawley ist angekommen mit ihren dicken Pferden, ihren dicken Bedienten und ihrem dicken Schoßhund – die bedeutende, reiche Miss Crawley, mit siebzigtausend Pfund in fünfprozentigen Papieren, die – nicht Miss Crawley, sondern eher das Geld – ihre zwei Brüder anbeten. Sie sieht sehr apoplektisch aus, die gute Seele; kein Wunder also, dass ihre Brüder ängstlich um sie besorgt sind. Du solltest nur sehen, wie sehr sie miteinander wetteifern, wenn es gilt, ihr die Kissen zurechtzurücken oder den Kaffee zu reichen! „Wenn ich aufs Land fahre“, sagte sie (denn sie hat Sinn für Humor), „lasse ich meine Speichelleckerin, Miss Briggs, zu Hause. Hier sind meine Brüder meine Speichellecker, und wahrhaftig, ein hübsches Paar!“

Wenn sie zu uns aufs Land kommt, so hat unser Schloss offene Türen, und mindestens einen Monat lang könnte man sich einbilden, der alte Sir Walpole sei wieder lebendig geworden. Wir geben Gesellschaften, fahren vierspännig aus, die Diener tragen das neueste Kanariengelb, wir trinken Rotwein und Champagner, als ob wir nie etwas anderes bekämen. Im Unterrichtszimmer haben wir Wachskerzen und Feuer, um uns aufzuwärmen, Lady Crawley muss das schönste Erbsengrüne anziehen, das ihre Garderobe aufzuweisen hat, und meine Schülerinnen legen ihre dicken Schuhe und engen alten Schottenkittel ab und tragen seidene Strümpfe und Musselinröcke, wie es sich für Baronetstöchter von Welt schickt. Rose kam gestern übel zugerichtet heim – die Wiltshire-Sau, ihr erklärter Liebling, hatte sie umgerannt und war auf ihrem hübschen, lilageblümten Seidenkleid herumgetrampelt. Wäre dies vor einer Woche geschehen, so hätte Sir Pitt greulich geflucht, das arme Ding tüchtig geohrfeigt und sie einen Monat lang auf Wasser und Brot gesetzt. Alles, was er jetzt sagte, war: „Warte nur, bis deine Tante fort ist“, und dabei lachte er über den Vorfall, als sei es etwas ganz Unbedeutendes. Wir wollen hoffen, dass sein Zorn verflogen ist, wenn Miss Crawley abreist. Ich hoffe es sehr um Miss Roses willen. Was für ein bezaubernder Versöhner und Friedensstifter doch das Geld ist!

Eine weitere wunderbare Wirkung Miss Crawleys und ihrer siebzigtausend Pfund zeigt sich in dem Betragen der beiden Brüder Crawley. Ich meine den Baronet und den Pfarrer, nicht unsere Brüder. Die beiden, die sich das ganze Jahr über hassen, werden zu Weihnachten ganz liebevoll gegeneinander. Ich habe Dir im vergangenen Jahre geschrieben, wie der abscheuliche Pferderenn-Pfarrer uns in der Kirche andauernd mit plumpen Predigten auf den Leib rückt und wie Sir Pitt mit Schnarchen antwortet. Sobald aber Miss Crawley kommt, hört man nichts mehr von Zank und Streit, das Schloss besucht das Pfarrhaus und umgekehrt, der Pfarrer und der Baronet unterhalten sich freundschaftlich ohne jeglichen Zank beim Wein über Schweine und Wilddiebe und Grafschaftsgeschäfte. Miss Crawley will tatsächlich nichts von ihren Streitereien wissen und schwört, sie werde ihr Geld den Shropshire Crawleys hinterlassen, wenn man sie ärgere. Wenn diese Shropshire Crawleys nur ein bisschen schlau wären, so könnten sie wahrscheinlich alles bekommen; der Shropshire Crawley ist jedoch Geistlicher wie sein Hampshire-Vetter und hat Miss Crawley durch seine engstirnigen Moralauffassungen tödlich beleidigt, als sie einmal in einem Wutanfall gegen ihre widerspenstigen Brüder zu ihm geflohen war. Er wollte, glaube ich, zu Hause das Beten einführen.

Unsere Predigtbücher werden zugeklappt, wenn Miss Crawley kommt, und Mr. Pitt, den sie verabscheut, findet es besser, nach London zu fahren. Statt seiner erscheint dann der junge Geck – Stutzer nennt man so einen wohl –Hauptmann Crawley, und wahrscheinlich willst Du wissen, was für ein Mensch er ist.

Nun, er ist ein langer, junger Geck, sechs Fuß groß und spricht sehr laut; er flucht viel und kommandiert die Dienstboten herum, die ihn aber trotzdem anbeten, denn er ist nicht knauserig mit seinem Geld, so dass sie alles für ihn tun. Vergangene Woche haben die Wildhüter beinahe einen Gerichtsdiener und seinen Gehilfen umgebracht, die von London gekommen waren, um den Hauptmann zu verhaften. Sie wurden ertappt, als sie an der Parkmauer entlangschlichen – die Wildhüter verprügelten sie, tauchten sie und hätten sie als Wilddiebe erschossen, wenn sich der Baronet nicht ins Mittel gelegt hätte.

Der Hauptmann zeigt gegenüber seinem Vater eine abgrundtiefe Verachtung, nennt ihn einen alten Tropf, einen alten Blödian, einen Bauerntölpel und belegt ihn mit zahllosen anderen hübschen Namen. Er hat ein schreckliches Ansehen bei den Damen. Er bringt seine Renner mit nach Hause, verkehrt mit den Squires der Grafschaft, ladet zum Essen ein, wen er will, und Sir Pitt wagt keinen Mucks, aus Angst, Miss Crawley zu beleidigen und um seinen Anteil zu kommen, wenn sie am Schlaganfall stirbt. Soll ich Dir ein Kompliment erzählen, das mir der Hauptmann gemacht hat? Ich muss, es ist zu hübsch. Eines Abends war doch tatsächlich Tanz bei uns; es waren Sir Huddleston Fuddleston mit Familie, Sir Giles Wapshot mit seinen Töchtern, und ich weiß nicht, wer noch alles, anwesend. Ich hörte ihn sagen: „Beim Zeus, das ist aber ein hübsches, kleines Füllen!“, womit er Deine ergebene Dienerin gemeint hat; er tat mir auch die Ehre an, zwei Contretänze mit mir zu tanzen. Er kommt mit den jungen Squires gut aus, trinkt mit ihnen, reitet und unterhält sich vom Jagen und Schießen; die Landmädchen aber findet er langweilig, und ich glaube wirklich, damit hat er nicht ganz unrecht. Du solltest nur sehen, mit welcher Verachtung sie auf mich armes Wesen herabblicken. Wenn sie tanzen, sitze ich ganz bescheiden am Klavier und spiele; als er aber neulich abend ziemlich erhitzt aus dem Speisesaal hereinkam und mich so beschäftigt fand, beteuerte er laut, dass ich die beste Tänzerin des Abends sei, und schwor bei seiner Ehre, dass er Musikanten aus Mudbury kommen lassen würde.

„Ich will einen Contretanz spielen“, erbot sich Mrs. Bute Crawley bereitwillig (sie ist eine kleine brünette Alte mit funkelnden Augen, geht ziemlich krumm und trägt einen Turban), und als der Hauptmann und Deine arme kleine Rebekka miteinander getanzt hatten, tat sie mir doch wirklich die unglaubliche Ehre an, mir über mein Tanzen Komplimente zu machen! So etwas war noch nicht dagewesen. Die stolze Mrs. Bute Crawly, älteste Cousine des Grafen von Tiptoff, die sich nur dann herabläßt, Lady Crawley zu besuchen, wenn ihre Schwägerin auf dem Lande ist. Die arme Lady Crawley! Während dieser Vergnügen hockt sie meistens oben und schluckt Pillen.

Mrs. Bute hat plötzlich eine große Vorliebe für mich entwickelt. „Meine liebe Miss Sharp“, sagte sie, „warum kommen Sie nicht einmal mit Ihren Schülerinnen ins Pfarrhaus? Die kleinen Cousinen würden sich so freuen, sie zu sehen.“ Ich weiß schon, was sie damit bezweckt. Signor Clementi hat uns nicht umsonst Klavierspielen gelehrt: Mrs. Bute aber möchte für ihre Kinder eine Lehrerin umsonst. Ich durchschaue ihre .Pläne, als ob sie sie mir verraten hätte, aber ich werde hingehen, weil ich mich angenehm machen will. Ist das nicht die Pflicht einer armen Gouvernante, die in der ganzen weiten Welt auch nicht einen Freund oder Beschützer hat? Die Pfarrersfrau machte mir auch Dutzende Komplimente über die Fortschritte meiner Schülerinnen und dachte zweifellos, das könnte mein Herz rühren – das arme, einfältige Landei! Als ob mich meine Schülerinnen auch nur einen Pfifferling scherten!

Dein indisches Musselinkleid sowie Dein Rosaseidenes, liebste Amelia, sollen mir sehr gut stehen. Sie sind schon recht abgetragen; aber Du weißt, wir armen Mädchen können uns des fraiches toilettes nicht leisten. Ach, wie glücklich, wie unendlich glücklich bist Du! Du brauchst nur zur St. James' Street zu fahren, und eine gute Mutter schenkt Dir alles, worum Du bittest. Lebe wohl, teuerstes Mädchen.

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