„Über das rote Seidenkleid von Mrs. Flamingo“, sagte die gutmütige Mrs. Sedley, „was er doch für ein Tolpatsch war, und seine Schwestern sind auch nicht viel anmutiger. Lady Dobbin war gestern abend mit dreien davon in Highbury. Figuren haben die, Kinder, nein!“
„Der Alderman ist sehr reich, nicht wahr?“ fragte Osborne verschmitzt. „Meinen Sie nicht auch, dass eine von den Töchtern für mich eine gute Partie wäre, Madame?“
„Sie Dummkopf! Wer würde Sie schon nehmen mit Ihrem gelben Gesicht? Das möchte ich gern wissen.“
„Ich und ein gelbes Gesicht? Warten Sie, bis Sie Dobbin gesehen haben. Der hat dreimal das gelbe Fieber gehabt, zweimal in Nassau und einmal auf Saint Kitts.“
„Lassen Sie nur, Ihres ist gelb genug für uns, nicht wahr, Emmy?“ meinte Mrs. Sedley, worauf Miss Amelia nur mit einem Lächeln und einem sanften Erröten antwortete. Sie blickte auf Mr. George Osbornes blasses, interessantes Gesicht und den schönen, glänzendschwarzen, gekrausten Backenbart, der dem jungen Herrn selbst außerordentlich wohl gefiel, und dachte in ihrem kleinen Herzen, dass es weder in Seiner Majestät Armee noch in der ganzen Welt je ein solches Gesicht oder einen solchen Helden gegeben habe. „Ich kümmere mich nicht um Hauptmann Dobbins Hautfarbe“, sagte sie, „oder um seine Ungeschicklichkeit. Ich weiß, ich werde ihn stets gern haben.“ Der Grund dafür war seine Freundschaft und Ritterlichkeit für ihren George.
„In der ganzen Armee gibt es keinen netteren Menschen und keinen besseren Offizier, obgleich er nun einmal kein Adonis ist“, sagte Osborne. Dabei sah er treuherzig in den Spiegel und erhaschte dort den scharf auf ihn gerichteten Blick von Miss Sharp. Er errötete ein wenig, und Rebekka, dieses schlaue Hexlein, dachte in ihrem Herzen: Ah, mon beau Monsieur! Ich glaube, dass ich dein Kaliber jetzt kenne.
Als an diesem Abend Amelia im weißen Musselinkleid, frisch wie eine Rose, in den Salon getrippelt kam, bereit, in Vauxhall die Herzen zu erobern, und wie eine Lerche sang, trat ein langer ungelenker Herr mit großen Händen und Füßen und großen Ohren, die unter dem kurzgeschnittenen, schwarzen Haar noch mehr auffielen, auf sie zu. Er trug den häßlichen Uniformrock und den Dreispitz jener Zeit und machte ihr die linkischste Verbeugung, die je von einem Sterblichen dargebracht worden war.
Es war kein anderer als Hauptmann William Dobbin von Seiner Majestät ...tem Infanterieregiment, soeben aus Westindien zurückgekehrt, wo ihn das gelbe Fieber gepackt hatte. Dorthin hatte das Geschick sein Regiment beordert, während viele seiner tapferen Kameraden auf der Pyrenäenhalbinsel Ruhm ernteten.
Er hatte seine Ankunft mit einem so schüchternen und schwachen Klopfen angezeigt, dass es die Damen oben nicht gehört hatten; sonst wäre Miss Amelia ganz sicher nicht so kühn gewesen, singend ins Zimmer zu kommen. Nun aber drang das süße, frische Stimmchen geradewegs in das Herz des Hauptmanns und nistete sich dort ein. Als sie ihm die Hand zur Begrüßung hinhielt, zögerte er einen Augenblick, bevor er sie mit der seinen umschloß, und dachte bei sich: Ei, ist es möglich, bist du das kleine Mädchen im rosa Kleidchen, das ich doch erst kürzlich gesehen habe – an dem Abend, wo ich die Punschbowle umwarf, gerade nach meiner Ernennung? Bist du das kleine Mädchen, das George Osborne heiraten wird, wie er immer erzählt? Was für ein blühendes, junges Mädchen du bist! Der Schurke hat doch wahrhaftig das Große Los gezogen! All dieses dachte er, ehe er Amelias Hand ergriff und dabei seinen Dreispitz fallenließ.
Seine Geschichte von der Beendigung der Schule bis zu dem Augenblick, wo wir das Vergnügen haben, ihn wieder zu treffen, habe ich zwar nicht ausführlich erzählt, aber meines Erachtens doch für den scharfsinnigen Leser in dem Gespräch auf der vorhergehenden Seite einigermaßen verständlich angedeutet. Dobbin, der verachtete Krämer, war nun Alderman Dobbin, und Alderman Dobbin war Oberst bei der Londoner Bürgerwehr, die damals darauf brannte, den Einfall der Franzosen zu vereiteln. Der Herrscher und der Herzog von York hatten eine Truppenbesichtigung durchgeführt, an der auch Oberst Dobbins Korps beteiligt gewesen war (in diesem Korps war der alte Osborne nur ein kleiner Korporal). Oberst und Alderman war in den Ritterstand erhoben worden. Sein Sohn war zur Armee gegangen, und bald trat Osborne in dasselbe Regiment ein. Sie hatten in Westindien und Kanada gedient. Ihr Regiment war eben nach England zurückgekehrt, und Dobbin empfand für George Osborne immer noch die gleiche warme und hochherzige Freundschaft wie als Schuljunge.
Nun setzten sich diese trefflichen Leute bald zum Essen nieder. Sie sprachen von Krieg und Ruhm, von Bony und Lord Wellington und der letzten Nummer der „Gazette“. Jede Zeitung in jenen Tagen hatte in ihren Spalten einen Sieg, und die beiden tapferen jungen Männer brannten darauf, ihre eigenen Namen auf der ruhmvollen Liste zu erblicken, und verfluchten ihr mißliches Geschick, zu einem Regiment zu gehören, das bisher noch keine Gelegenheit gehabt hatte, sich auszuzeichnen. Miss Sharp brannte vor Begeisterung bei diesem aufregenden Gespräch, Miss Sedley dagegen zitterte und wurde fast ohnmächtig beim Zuhören. Mr. Joe erzählte einige seiner Tigerjagdgeschichten, beendete die von Miss Cutler und Stabsarzt Lance, bediente Rebekka bei Tisch und aß und trank selbst riesige Mengen.
Er sprang auf, um den Damen mit umwerfender Anmut die Tür zu öffnen, als diese sich zurückzogen, und zum Tisch zurückgekehrt, schenkte er sich einen Becher Rotwein nach dem andern ein und stürzte ihn mit nervöser Hast hinunter.
„Er trinkt sich Mut an“, flüsterte Osborne Dobbin zu, und endlich kamen Stunde und Wagen für Vauxhall.
Ich weiß, dass die Melodie, die ich jetzt blase, äußerst sanft ist (obgleich bald schrecklichere Kapitel folgen werden), und muß daher den gütigen Leser bitten, zu bedenken, dass wir augenblicklich bloß über eine Börsenmaklerfamilie vom Russell Square sprechen, deren Mitglieder spazierengehen, frühstücken, Mittag essen, sich unterhalten und sich verlieben wie andere gewöhnliche Sterbliche auch, und es passiert kein einziges leidenschaftliches und wunderbares Ereignis, das das Wachsen ihrer Liebe bezeichnen könnte. Die Sache steht jetzt so: Osborne, verliebt in Amelia, hat einen alten Freund zum Mittagessen und nach Vauxhall eingeladen; Joe Sedley ist verliebt in Rebekka. Wird er sie heiraten? Das ist die große Frage, die uns nun beschäftigt.
Wir hätten dieses Thema auf vornehme, romantische oder witzige Art behandeln können. Angenommen, wir hätten die Szene nach dem Grosvenor Square verlegt, ohne an den Ereignissen selbst etwas zu ändern. Würden uns da nicht manche Leute zugehört haben? Angenommen, wir hätten gezeigt, wie Lord Joseph Sedley sich verliebte und der Marquis von Osborne Lady Amelia gewann, mit der vollen Zustimmung des Herzogs, ihres edlen Vaters; oder angenommen, wir hätten, anstatt den vornehmen Adel zu beschreiben, auf die untersten Schichten zurückgreifen und erzählen können, was in Mr. Sedleys Küche geschah: wie der schwarze Sambo sich in die Köchin verliebt habe (was wirklich stimmte) und wie er sich ihretwegen mit dem Kutscher prügelte, wie der Küchenjunge beim Stehlen einer kalten Hammelkeule ertappt wurde und wie Miss Sedleys Kammermädchen sich weigerte, ohne Kerze zu Bett zu gehen. Solche Ereignisse hätten wohl die Lachmuskeln des Lesers in Bewegung gesetzt und würden als Szenen aus dem „Leben“ betrachtet werden. Oder angenommen, wir hätten im Gegenteil einen Hang zum Grausigen und machten den Liebhaber des neuen Kammermädchens zum Berufseinbrecher, der mit seiner Bande in das Haus eindringt, den schwarzen Sambo zu Füßen seines Herrn hinschlachtet, Amelia im Nachtkleid entführt und sie erst im dritten Band wieder freiläßt, dann wäre die Geschichte so überaus spannend geworden, dass der Leser die erregenden Kapitel atemlos verschlungen hätte. Man stelle sich zum Beispiel vor, dieses Kapitel hätte folgende Überschrift gehabt:
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