Ulrike brauchte unbedingt eine kalte Dusche.
»Kommst du?«, sagte sie. Ulrike drehte sich zu Sandra um.
»Gerne«, sagte Sandra und noch bevor sich die Tür hinter uns schloss, flüsterte ihre neue Freundin.
»Ich komme zuhause. Kommst du mit?«
Entweder hat sie es nicht so mit der Grammatik, dachte Ulrike, oder wir gehen heute beide weiter als ich es dürfte.
Sie trafen sich vor Sandras Wohnung. Die junge Frau war mit dem Rad gekommen, Ulrike mit dem Auto. Ulrike hatte sich auf der Straße den Weg beschreiben lassen und hoffte, in dem Kiez einen Parkplatz zu bekommen. Auf der Fahrt überkamen sie Gewissensbisse. War das nicht schon Untreue, auch wenn es eine Frau und kein anderer Mann war? Und sie dachte dabei nicht einmal an das, was kam. Sie hatten sich verabschiedet wie zwei Freundinnen, die sich länger nicht gesehen hatten. Ohne Umarmung, beinahe etwas distanziert, und auf der Fahrt spielte Ulrike mit dem Gedanken, einfach zu kneifen und nach Hause zu fahren, aber sie konnte nicht. Denn in ihrem Bauch vibrierte es. Schmetterlinge, wie altmodisch, wie kitschig, wie treffend.
Ulrike musste sie noch einmal sehen. Vielleicht würden sie nur ein Glas Sekt trinken. Mehr nicht.
Sie griff nach dem Handy. Genau das würde sie sagen. Mehr wäre da nicht.
Aus dem Auto rief Ulrike ihren Mann an und sagte ihm, sie habe eine Bekannte getroffen und würde mit ihr noch etwas trinken gehen. Für Tim war das okay, vermutlich guckte er ohnehin irgendeinen Horrorfilm auf Maxdome und war froh, seine Ruhe zu haben.
Sandras Wohnung war nur einen Katzensprung entfernt. Die Parkplatzsuche hingegen war schwieriger. Auf dem Weg vom Auto zur angegebenen Adresse steckte sie ihre Brille, die sie in letzter Zeit trug, wenn sie Autofahren musste, in die Innentasche ihrer Jacke. Kontaktlinsen trug sie nicht. Eitelkeit vertrug sich nicht mit ihren Augen.
Sandra wartete bereits sichtlich nervös vor der Haustür. Es war ein schicker Altbau, frisch saniert, und Ulrike fragte sich, wie ihre neue Freundin die Miete dafür bezahlen konnte.
»Ich dachte schon, du hättest es dir anders überlegt«, hauchte Sandra und senkte den Blick.
Ulrike spielte nervös mit dem Autoschlüssel in ihrer Jackentasche. Über ihrer Schulter hing der schwere Beutel mit ihren Saunasachen.
Ulrike trat näher an sie heran. So nahe, dass ich sie hätte umarmen können, und wenn sie die Hände nicht in den Jackentaschen gehabt hätte, wäre es auch dazu gekommen. Sandra ging voran. Öffnete die Haustür. Stieg in den zweiten Stock. Ulrike ging hinterher. Nervös. Ihre Knie waren weich und mit jeder Stufe wuchs die Angst vor dem, was sie tun würde.
Kaum jedoch war die Wohnungstür hinter den beiden ins Schloss gefallen, fiel die Angst von ihr ab wie die Jacke, die auf dem Boden landete. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte: eine Lasterhöhle, mit Handtüchern auf dem Bett, rotem Licht und einem Zuhälter an der Tür? Stattdessen abgezogene Dielen, weiße Wände, Postkarten, die an Bindfäden hingen, ein Katzenkorb, Fotos von lachenden Menschen mit Nadeln an die Wand geheftet. Sandra drehte sich noch auf der Schwelle zur Küche um, lächelte und fragte: »Möchtest du was trinken?«
»Ein Wasser vielleicht.«
Ulrike folgte Sandra. Auch hier wartete kein Treue-Detektiv mit einem Fotoapparat auf sie und kein Zuhälter hielt die Hand auf. Die Einbauküche war von IKEA. Das Wasserglas auch. Die Sektgläser ebenfalls, nur der Prosecco schien aus einem Weinladen. Den hatte Ulrike noch nie gesehen.
Der Korken ploppte, noch ehe sie das Wasserglas geleert hatte. Der Prosecco schäumte, dann stießen sie an.
»Auf unerwartete Begegnungen«, sagte Sandra und Ulrike, die längst das Kribbeln nicht mehr im Bauch, sondern zwei Handbreit tiefer spürte, lächelte.
»Auf neue Freundschaften.«
Nach dem ersten Schluck fühlte sie sich freier, nach dem ersten Glas beschwingt. »Machst du das häufiger? Fremde Frauen ansprechen?«
Sandra schmunzelte und goss nach. Und dann erzählte sie, als sei es das normalste der Welt. Je länger ihre neue Freundin erzählte, umso größer wurde die Gewissheit, eine Seelenverwandte getroffen zu haben. Sandra hatte noch nie eine andere Frau angesprochen. Sie hatte nur geguckt. Nach festen Brüsten und auf ausrasierte Schamhügeln, weil es etwas war, das sie immer schon erregt hatte, noch bevor sie ihren ersten Freund getroffen hatte. Die Schönheit einer anderen Frau, die Anziehung durch breite Hüften und aufrechtstehende Brüste. Das war hatte sie immer schon angezogen.
»Nicht, dass ich nicht ein hartes Ding in meinem Kätzchen zu schätzen wüsste«, sagte sie, und Ulrikes Herz zitterte, als Sandra die Worte so gelassen aussprach. »Aber vielleicht bin ich einfach im besten Sinne bisexuell.«
Sandras Freund hatte keine Ahnung gehabt, dass sie sich von Frauen angezogen führte, und wenn sie sich manchmal im Bett noch Pornos angesehen hatten, weil sie beide das erregend fanden, bevor sie sich erst befummelt und dann miteinander gefickt hatten, hatte sich Sandra nicht nur von den aufgerichteten Schwänzen, die sämtliche Öffnungen der Hauptdarstellerinnen erkundeten, erregen lassen, sondern auch von den Darstellerinnen selbst.
Besonders angezogen fühlte sie sich dabei von einer Frau namens Sasha Grey, die allerdings keine Pornos mehr drehte. Doch das Internet vergaß nichts. Die Auswahl mit Filmen dieser dunkelhaarigen Schönheit mit der süßen Nase und dem entzückenden Kinn auf YouPorn oder selbst bei der Google-Suche war schier unerschöpflich. Sandras Freund mochte die freizügigen Szenen mit schier unerschöpflichen Varianten des Analverkehrs, eine Vorliebe, die sie beide teilten und häufig genug auslebten. Aber während ihr Freund die Filme als Vorspiel mit seiner Freundin gesehen hatte, waren Sandras Fantasien weitergegangen und sie stellte sich manchmal vor, wie sie zwischen den Schenkeln dieses unglaublichen Wesens kniete und sie verwöhnte, bevor sie selbst an der Reihe war. Ganz ohne ihren Freund.
Seltsamerweise hatte er nie gefragt, ob Sandra der Anblick nackter Frauen erregte, was sie aber nicht weiter schlimm fand, denn so blieb das ihr kleines, süßes Geheimnis. Sandra wäre auch nie auf die Idee gekommen, ihrem Freund vorzuschlagen, einmal eine fremde Frau zu sich nach Hause einzuladen, denn erstens war sie dafür viel zu eifersüchtig, und außerdem wollte sie dieses Vergnügen mit keinem Mann teilen.
Vor ein paar Wochen hatte sich ihr Freund von ihr getrennt. Einfach so. Er hatte die Beziehung als zu anstrengend empfunden, war ausgezogen. Später hatte Sandra über Facebook erfahren, dass er eine neue hatte. Eine Kollegin. Doch statt sich über die gesprengten Ketten zu freuen, hatte Sandra getrauert. Die Wohnung neu gemacht. Sich eingeigelt. Sich selbst bemitleidet.
Bis letzte Woche.
Ulrike stellte ihr Glas zur Seite. »Wieso? Was ist dann passiert?«
Was jetzt? Was machen wir hier? Sandra sah zu Boden. »Ich habe die Bookmarks in meinem Browser angesehen und bin bei einem Film mit Sasha Grey gelandet.«
Als sie aufsah, hatten sich ihre Wangen gerötet. Sasha Grey. Die war jung und hübsch und hatte einen Körper, von dem Ulrike nur träumen konnte.
»Da bin ich ja nur fast doppelt so alt wie sie…«
»Das finde ich noch viel aufregender«, flüsterte Sandra und machte einen Schritt vor und Ulrike, die das Kribbeln überall spürte, sah nur die grünen Augen ihrer neuen Freundin.
»Du bist so jung und schlank und ich bin so rund, so…«
»So weiblich«, flüsterte Sandra und plötzlich küssten sie sich. Aber nicht so, wie sie ihren Mann geküsst hatte, nicht hart und fordernd, sondern sanft wie zwei Schmetterlinge, und ihre Hände fanden sich in Hüfthöhe, verknoteten sich, hoben sich, und ihre Lippen berührten sich immer länger, bis Ulrike spürte, wie sich die Zungenspitze der jungen Frau dazwischendrängte.
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