Plötzlich riss er die Augen weit auf, als sie an einer wild verwachsenen Baumgruppe vorbeifuhren. Sein Blick flackerte, und seine Stimme bebte, als er ausrief: „Dort, dort liegen die magischen Schriften vergraben!“ Den Kopf in den Nacken werfend und nach oben schauend, wo statt des erhabenen Himmels leider nur das abgewetzte Verdeck der Kutsche zu sehen war, flehte er inbrünstig: „Du, großer Baumeister der Welten, hilf mir das Werk zu vollenden!“
Im nächsten Augenblick flog er in die Ecke, als das linke Hinterrad in einem nur mit einer dünnen Eisschicht bedeckten Schlagloch einbrach, was ihn jedoch nicht aus der Fassung brachte. Er schnaufte nur einmal tief und wandte sich dann an seine Reisebegleiterin: Diese magischen Schriften und Schätze würden von den stärksten Geistern bewacht, und nur Geister könnten sie heben. Ob er der Glückliche sein dürfe, durch dessen Vermittlung sie geborgen werden sollten, wisse jener allein, der ihn gesandt habe. Aber er werde die Geister, die den Schatz bewachen, schon so in die Pflicht nehmen, dass sein Nachfolger nichts ohne sein Wissen und seine Hilfe unternehmen könne, selbst wenn er dreihundert Meilen entfernt sein sollte.
Als Cagliostro auf dem Landgut ankam, traf er dort bereits Elisas Onkel und Tante mit ihren drei Kindern an. Ohne sich auszuruhen, und sei es auch nur für kurze Zeit, und auch ohne sich nach dem richtigen Weg zu erkundigen, eilte er mit ausgreifenden Schritten, begleitet von Herrn von der Howen und dem Brüderpaar von Medem auf den Wald zu, den er beschrieben hatte, und zeigte dort den abgebrochenen Baum, unter dem die von Geistern gehüteten Schätze liegen sollten. Doch statt die brennende Neugier seiner Begleiter zu befriedigen und das Geheimnis zu lüften, machte er wieder nur eine Beschwörung, um einen seiner Geister an den Fundort zu bannen, wie er ihnen auf dem Rückweg erläuterte. Die zaghaft vorgebrachte Frage, wie und wann die Bergung des Schatzes vor sich gehen solle, ließ er unbeantwortet.
Am nächsten Vormittag zwischen zehn und elf führte Cagliostro in Gegenwart aller Logenmitglieder wieder eine spiritistische Sitzung mit dem Knaben durch. Anders als bei früheren magischen Experimenten hielt sich das Medium diesmal mit den erwartungsvoll dasitzenden Teilnehmern im gleichen Zimmer auf, nur durch einen Wandschirm getrennt, und neu war auch, dass Herr von der Howen im Zuschauerkreis neben dem Magier stand.
Cagliostro hatte dem Kleinen einen großen Eisennagel in die Hand gedrückt und ihn aufgefordert, niederzuknien und nicht eher aufzustehen, als bis er den bereits bekannten schönen Jungen gesehen habe. Nachdem sich dieser, laut Angabe des Mediums, eingestellt hatte, gebot er dem Geist mit dem roten Kreuz zu erscheinen, sich an den Nagel zu binden und den Schatz im Wald so zu hüten, dass niemand sich ohne sein Wissen der Stelle nähern könne. Auch, so trug er dem soeben verpflichteten Wächter auf, solle der Schatz ohne Herrn von der Howen nicht gehoben werden und nie zu finden sein.
Darauf forderte er Herrn von der Howen auf, niederzuknien, und dem Geist mit dem roten Kreuz, sich an ihn zu fesseln. „Sprechen Sie mir nun Folgendes nach“, wies der Magier den vor ihm Knienden an und berührte ihn, während er die Worte wiederholte, mit dem magischen Schwert: „Im Namen meines Meisters und Lehrers Cagliostro gebiete ich dir, du zum Seher auserkorenes Kind, dir von den dienstbaren Geistern unseres großen Lehrers den Wald, der die Schätze enthält, zeigen und die Erde, die diese deckt, öffnen zu lassen.“
„Der Wald ist da“, versicherte der Knabe, „die Erde ist offen, und ich sehe eine Treppe und einen langen Gang.“
Der Magier nickte feierlich und sah sich im Kreis der Teilnehmer um, die auf ihren Stühlen nicht zu rutschen wagten, so gebannt waren sie von der Offenbarung, die ihnen soeben zuteil geworden war.
„Stehen Sie auf“, befahl er dem immer noch auf den Knien liegenden von der Howen, „aber bleiben Sie im magischen Zirkel.“
Sobald der andere Platz genommen hatte, setzte Cagliostro nun selbst das Gespräch mit dem Kind fort: „Steigen Sie die Treppe hinunter. Zählen Sie die Stufen so laut, dass wir es hören können, gehen Sie dann bis ans Ende des Ganges und sagen Sie mir, was Sie da sehen.“
Tritt für Tritt hörten die Anwesenden, wie der Knabe die Stiegen hinunterging und dabei laut zählte, und danach vernahmen sie auch noch einige Schritte weiter durch den Gang, bis der Kleine schließlich stehenblieb und sagte: „Hier sind viele goldene Ruten, Münzen aus Gold und Silber, allerlei Sachen und Geräte aus Eisen, beschriebene Papiere und rotes Pulver.“
Das rote Pulver, das der Knabe angeblich unter den Schätzen erblickte, war nach Cagliostros Aussage die Erste Materie , durch die man alle Metalle zur Reife des Goldes zu bringen vermochte, wie er mehrfach in seiner geschwollenen Redeweise beteuert hatte.
Der Magier gebot nun der Erscheinung zu verschwinden, machte eine weitere Beschwörung und fragte den Knaben: „Was sehen Sie jetzt?“
„Ich sehe sieben sehr schöne Menschen, alle in weißen Kleidern: Der eine hat ein rotes Herz vor der Brust, all die anderen haben auch rote Herzen und etwas auf der Stirn geschrieben, was ich aber nicht lesen kann.“
Cagliostro gebot diesen Geistern, sich so, wie er es im Sinn hatte, an gewisse Gegenstände zu fesseln, und forderte das Kind auf, alle sieben Geister zu umarmen, jedem einen Kuss zu geben und sich von jedem küssen zu lassen, was auch genauso zu geschehen schien, denn die Sitzungsteilnehmer hörten deutlich vierzehn Küsse. Zum Schluss befahl der Magier den Erscheinungen zu verschwinden, ließ den Knaben hinter dem Wandschirm hervortreten und ging mit ihm und den anderen Herren in den Wald. An der Stelle, wo die magischen Schriften vergraben liegen sollten, befestigte er den durch die Beschwörung geheiligten Nagel an der abgebrochenen Fichte.
Auf dem Rückweg sprach niemand ein Wort, alle hatten das erhebende Gefühl, einer weihevollen Zeremonie des großen Magiers beigewohnt zu haben.
3
Nach einem Streit über zwei Taler, die der Wirt des Gasthofs in Mitau ihm seiner Meinung nach zu viel in Rechnung gestellt hatte, kam Cagliostro die Einladung des Barons Johann Friedrich von Medem äußerst gelegen, mit seiner Frau zu ihm in das um 1760 erbaute schlossähnliche Stadthaus zu ziehen, natürlich ohne etwas dafür zu bezahlen, auch nicht für die ausgezeichnete Verpflegung, wie sie einem so hohen Gast gebührte. Obwohl der große Magier nicht müde wurde zu betonen, er könne Gold machen, war er wie versessen aufs Geld aus, wenn er auch nicht selbst Geschenke forderte oder annahm. Er schenkte aber auch keinem Dienstboten auch nur einen Groschen, trotz aller Höflichkeit, mit der sie ihn behandelten. Wie in alten Zeiten musste seine Ehefrau gewisse Leute, bei denen etwas zu holen war, in sich verliebt machen und von ihnen wertvolle Geschenke zu erhalten suchen, was der verführerischen Gräfin auch gelang und dem Herrn Gemahl mehr als nur das nötige Kleingeld einbrachte.
Ihr Liebreiz verfing nicht nur bei Männern, auch die Damen waren von ihr entzückt, denn im Gegensatz zu Cagliostro, der oft grob und jähzornig wurde und unmäßig aß und trank wie ein Scheunendrescher, war Serafina feiner als er. Die einst kindliche, bis zur Einfalt naive Tochter eines Messinggießers hatte sich in wenigen Jahren zu einer mondänen Schönheit gemausert, die kokett und neckisch ihre weiblichen Mittel einzusetzen wusste. Mit wachsendem Vergnügen hatte sie sich in die Rolle gefunden, die ihr Mann ihr zugedacht hatte, wenn sie auch bisweilen von Gewissensbissen geplagt wurde, deren sich ihre wechselnden Beichtväter besorgt annahmen. Die guten Ratschläge fruchteten jedoch nichts, denn immer wieder fanden sich Männer, darunter Edelleute, die sich um ihre Gunst bewarben, zahlungskräftige Liebhaber, die meist nicht nur anziehender waren als ihr eigener Ehemann, sondern ihr auch mehr zu bieten hatten, und diese immer neuen Abenteuer befriedigten ihre Gefallsucht. Die engelgleiche Hingabe, mit der sich Serafina - nomen est omen! - ihrer Aufgabe widmete, trieb Cagliostro zu immer neuen Ausbrüchen blinder Eifersucht, bis er dann jedes Mal wieder einsah, dass sich sein gekränkter Mannesstolz dem gemeinsamen Karriereziel unterzuordnen hatte. Er liebte das Geld, sie den Erfolg.
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