„Wie zu Hölle bist du darauf gekommen, dass Vanja mich gut findet?“
Mia war sich sicher, dass sie bereits lallte. Außerdem klang ihre Stimme viel zu wütend und dramatisch. Eigentlich hatte Julie ja gar nichts… Aber sie war gerade einfach unfassbar sauer.
„Ganz ruhig, Mia. Atme jetzt mal tief ein und wieder aus. Hattest du etwa ein Bier?“
„Woher weißt du das? Und überhaupt. Ich darf doch trinken, was ich will. Du bist ja nicht meine Mutter. Außerdem hast du auch schon mal etwas getrunken. Auf dem Geburtstag von deiner Mom. Hast du mir selbst erzählt. Zwei Gläser Wein. Das ist im Prinzip viel schlimmer als ein Mischbier. Und überhaupt. Ich bin doch gar nicht betrunken. Glaub ich zumindest. Also mir ist schon ein bisschen schummerig. Aber ich glaube, nur weil Vanja so ein Arsch ist. Und ich so eine dumme, naive Kuh.“
„Mia! Jetzt komm mal bitte runter. Ich mach dir doch überhaupt keine Vorwürfe. Du wirst gleich sechzehn. Du bist alt genug. Ich bin nur verwundert. Du hast mir doch das ganze letzte Jahr gepredigt, dass Alkohol ein Werk des Teufels ist. Dass du nie einen Tropfen anrühren, dich nicht vom Mainstream mitreißen lassen würdest. Dass du nicht so schwach wärst.“
„Aha. Sehr interessant. Ja, kann sein. Hab meine Meinung halt geändert. Alkohol ist super. Bier ist die beste Medizin. Menschen ändern sich halt. Bestimmte Situationen zwingen sie zur Veränderung, zur Anpassung.“
„Innerhalb von wenigen Stunden? Mia, was ist denn los? Du wirkst nicht so, als hätte dich das Bier runtergebracht.“
„Du hast gesagt, er steht auf mich.“
Mias Stimme klang so trotzig wie die eines Kleinkindes, dem man sein Spielzeug entrissen hatte. Sie merkte, wie ihr unfreiwillig Tränen in die Augen stiegen. Sie musste das unterbinden. Um jeden Preis musste sie diese behinderten Tränen aufhalten. Ihre ganze Schminke würde zerlaufen. Vanja würde sie dann gar nicht mehr attraktiv finden. Aber hatte er ja anscheinend eh nie.
„Mia, er steht ja auch auf dich. Was hat er gemacht? Das ist doch bloß seine Masche. So will er dich rumkriegen. Und du fällst auch noch total drauf rein. Oh Mann, Mia. Vanja hat dich ja schon total in seiner Hand. Er zieht die Fäden und du tanzt.“
„Gar nicht wahr.“
„Was hat er gemacht?“
„Ach, keine Ahnung. Er ist jetzt erst gekommen und hat gar nicht richtig mit mir geredet.“
„Ja, und??“
„Ich hab mir irgendwie mehr erhofft.“
„MIA. Der Abend hat doch grade erst angefangen. Chill doch erstmal.“
„Aber er hat davor die ganze Zeit mir Valeska geschrieben. Und mir seit heute Morgen schon nicht mehr. Irgendwie fühl ich mich voll verarscht.“
„Dann lass es. Wenn dir sein Verhalten jetzt schon auf den Sack geht, dann lass es. Du hast sowas doch gar nicht nötig. Du könntest jemanden viel besseren haben. Und das weißt du auch.“
„Ja, vielleicht.“
„Dann verhalt dich auch so! Mach dich nicht kleiner als du bist.“
„Und was heißt das genau?“
„Mia, versuch einfach die Party, DEINE Party zu genießen. Kümmer dich um deine Gäste, amüsier dich, rede mit den Leuten, die dich interessieren. Und verkrampf dich nicht so auf Vanja. Und dann wird er schon von alleine auf dich zukommen.“
„Meinst du wirklich?“
„Na, klar!“
„Amüsierst du dich denn?“
„Du weiß doch, ich steh nicht so auf die Leute aus unserer Stufe.“
„Jaaa… Aber hier sind doch auch ein paar Ältere.“
„Hm… Ja, ich finde schon nen netten Gesprächspartner. Mach dir um mich keine Sorgen. Zur Not muss ich mich halt gleich zu Valeska stellen.“
Julie grinste frech.
„Ja, aber dann find wenigstens raus, was da abgeht.“
„Mia! Jetzt hör auf so paranoid und eifersüchtig zu sein. Das hält ja kein Mensch aus. Wie soll das denn werden, wenn du richtig mit ihm zusammen bist?“
„Wunderschön“, seufzte Mia mit einem aufgesetzt schmachtenden Blick.
„Oh, Gott.“
Die beiden mussten lachen. Als Dankeschön drückte Mia Julie einen Kuss auf die Wange, bevor sie wieder in der Menge verschwand. Sie fühlte sich schon wieder leichter. Julies Worte hatten definitiv eine magische Wirkung. Viel magischer und zudem gesünder als Alkohol. Mia bekam Lust zu tanzen.
Nach ein paar oberflächlichen Gesprächen, einer etwas zurückhaltenden Tanzeinlage mit drei Mädchen aus ihrer Stufe und einem zweiten V+ – dieses Mal von der Sorte ‚Energy‘ – stand Mia wieder kurz davor sich wegen Vanja elend zu fühlen. Er hatte sie immer noch nicht beachtet. Mittlerweile sehnte sich Mia zu dem flüchtigen Moment mit Vanja vor ein paar Stunden zurück: In ihren Gedanken spielte sie sein nüchternes ‚Hi‘ immer wieder ab. Im Vergleich zu seinem Verhalten jetzt, schien sein Verhalten von vorhin auf einmal sehr zuvorkommend und interessiert. Sie wollte nicht die ganze Nacht auf ihn warten. Sie wollte die Regie wieder übernehmen. Obwohl sie die ja eigentlich nie gehabt hatte. Es war kurz vor zwölf. In wenigen Minuten würde sie Geburtstag haben. Von Vanja keine Spur. Wahrscheinlich stand er mit Valeska vor der Tür und… Obwohl. Sie erblickte Valeska, die sich mit Julie unterhielt und dabei wild gestikulierte. Vielleicht war Vanja mit ein paar von den Älteren draußen. Rauchte Vanja? Sie war sich nicht sicher. Sie fänd es nicht gut, wenn er rauchen würde. Sie wollte keinen rauchenden Freund. Vielleicht war das ein Grund, ihn abzuschießen. (Mia: Vanja, es tut mir leid. Dass mit uns beiden, das wird leider nichts. Tut mir leid, wenn ich all deine großen Hoffnungen enttäuschen muss. Aber ich habe meine Prinzipien. Ich kann nicht mit einem Raucher…)
„Mia?“
Sie hatte ihn gar nicht bemerkt, dabei stand er direkt vor ihr. Sie blinzelte einige Male, damit sich ihr Blick wieder aufklärte. Sie war voll weg gewesen. Obwohl er nur wenige Zentimeter vor ihr stand, winkte Vanja ihr zu. So nah.
„Alles in Ordnung? Du siehst so abwesend aus.“
„Eh…ja. Alles super. Klar. Bin nur… bin ein bisschen betrunken.“
„Betrunken? Ich dachte, du trinkst nichts.“
„Ja, tue ich auch nicht. Eigentlich. Heute ist eine Ausnahme.“
Vanja grinste sie unverhohlen an. Und sah dabei natürlich unverschämt gut aus. Mia hingegen sah bestimmt völlig verwirrt aus. War sie ja auch. Hauptsache sie lief nicht rot an. Das wäre die Krönung. Was wollte Vanja von ihr? Und wieso redete er auf einmal mit so einem liebenswürdigen Unterton? Fast schon schüchtern. Seine Hände hatte er in der Tasche seines Hoodies versteckt. Er schaute sich um. Wurden sie beobachtet? War es ihm peinlich, mit ihr zu reden? Wollte er nicht mit ihr gesehen werden?
„Du hast ja gleich Geburtstag…“
„Ja, genau. Deswegen diese Party.“
Ihre Stimme war ungewollt schnippisch. Plötzlich hatte sie Angst, sie könnte ihn verschrecken. Dabei wollte sie nichts mehr als dass er bei ihr blieb. Ganz nah.
„Ja… Also. Würde es dir etwas ausmachen, um zwölf nicht bei den anderen zu sein? Also, wenn du das möchtest, ist das natürlich auch kein Problem… Aber ehrlich gesagt… Also, ich hatte gehofft… Dass wir vielleicht um zwölf kurz für uns sein könnten. Damit ich dir dein Geschenk geben kann. Aber wie du magst.“
Mia war geschockt. Ernsthaft geschockt. Was war jetzt los? Vanja war ein Rätsel für sie. Sie versuchte, die Hoffnung, die in ihr aufstieg, zu unterdrücken. Sie wollte cool wirken. Sie wollte, dass er dachte, das mit ihnen wäre ihr gleichgültig.
„Ja. Bitte. Lass uns weg von hier“, krächzte Mia.
Bitte? Hatte sie ihn gerade tatsächlich angefleht? Jetzt würde er es sich anders überlegen, dachte Mia. Fliehen, bevor es zu spät war. Fliehen wie Katerina Petrova vor Klaus. Aber sein schüchternes Grinsen wurde breiter. Selbstsicherer. Er nahm ihre Hand und zog sie durch die Menge und die Treppe hinauf. Als würde er hier wohnen und nicht sie. Als sie in der zweiten Etage angekommen waren, drehte er sich zu ihr um und fragte:
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