Den Rest der Geschichte kennen wir. Gottgleiche und Kackmenschchen vermischten sich und ergaben zusammen die heutige Menschheit. Doch die meisten Menschen sind entweder mehr von der einen oder mehr von der anderen Natur. Dadurch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Gottgleichen finden zurück ins Paradies, weil sie sich daran ERINNERN. Sie haben das Paradies noch in sich, sind also gefestigt in ihren Wünschen, sind klar, geradeheraus und das, was man heute 'ehrlich' oder auch 'authentisch' nennt. Wir anderen, wir kennen das Paradies nicht, wir TRÄUMEN nur davon, weil wir, seit uns Luzifer in die Welt geschickt hat, vergeblich versuchen, in etwas hinein zu kommen, von dem wir keine Ahnung haben, was es eigentlich ist.
Darum tun Kackmenschchen immer nur Gutes. Nur durch Gutes können wir hoffen, doch noch das Paradies zu erleben. Nur durch Gutes können wir unbemerkt unter den Ebenbildern Gottes bleiben. Wir wären gerne so gut wie die wirklich Guten, mühen uns ständig, mühen uns aber nie aus einer Leidenschaft, die schon selbst das Gute ist. Nein, wir mühen uns aus reiner Angst vor der Entdeckung des Unguten. Deswegen ist unser Gutes weniger vollkommen, doch zugleich viel umfassender. Wir sind überall gut, keine Stelle an uns, mit der wir anecken wollen. Das liegt an unserer Haut, die wie eine gespannte Folie unseren Körpern ihre Form gibt. Sie ist hauchdünn, verletzlich, aber sie verschließt den Geruch so vollkommen, dass wir nach nichts riechen. Nach rein gar nichts. Vor lauter Ungeruch sind wir wie unsichtbar.
Doch immer bleibt meine Angst vor der Entdeckung, Angst, dass bei zu viel Nähe das eine oder andere Schwefelmolekül herausdringt und die Menschen naserümpfend auf Abstand gehen. Da bleibe ich lieber selbst auf Distanz. Auch habe ich Angst, dass durch eine unachtsame Bewegung ein Riss entstünde. Man stelle sich das vor, in Gemeinschaft der Heiligen, ausgelassen, tanzend, oder mit den Kindern auf dem Teppich toben und plötzlich: »Rrratsch!« Wie eine Nahtstelle an der Hose reißt die Haut, aber viel tiefer, und alles quillt heraus.
Mein Ekel vor mir selbst ist groß. Man sollte glauben, ich wäre in jeder WC-Anlage gut aufgehoben, könnte dauerhaft darin leben wie einsames Insekt. Doch im Gegenteil, meine Plastikhaut schützt nicht nur die anderen, sie schützt vor allem auch meine eigenen Sinne. Ich kann mich selbst nicht riechen! Ich brauche viele gute Gerüche um mich herum, frische Luft genauso wie würziges Essen, Blumen oder Früchte. Ganz schlimm ist es unter meinesgleichen. Dieser Gestank, den ich mir doch nur einbilde, dieses Dasein in ständiger Verdauung. Obwohl wir die Mehrzahl der Menschen sind, meiden wir uns und zeugen unsere Kinder nur aus dem Überdruss unserer Not heraus. Erfreuen kann ich mich nur an den Gottgleichen, an dem Leuchten in ihren Augen, wenn sie sich begegnen, an ihren Zärtlichkeiten untereinander.
Die Gottgleichen nennen es Liebe, die sie hinter verschlossenen Türen einander schenken. Sie tragen sie in sich und wir Üblen nicht. Für uns ist die Liebe ein Fremdstoff, nach dem wir hungern, weil wir glauben, dass die Liebe wie ein göttlicher Odem unsere Kotkörper in lebenden Lehm verwandelt. Es ist eine blinde Gier, wie nach einer Droge, die, wenn wir sie einmal probiert haben, uns für den Rest des Lebens schwächt, uns aushungert, uns leer und kraftlos macht, zu kraftlos für noch irgendein Gutes.
Für einige wenige Wochen hatte ich selbst diese Liebe gehabt! Sie hat mich eingelassen und ich war das, was man 'glücklich' nennt. Doch aus Angst, erkannt zu werden, bin ich unter meiner Folie erstarrt. Wenn sie mich anfasste, wenn sie das feuchte Plastik meiner fremden Haut berührte, den Körper einer Schlange, dann fühlte sie das weiche, sich windende Rumoren darunter, wie es sich bewegt, quetscht und zwängt, und aus meinem Mund strömte der Atem der Verwesung. Dann spürte ich ihren Widerwillen. Und bald war ihre Tür wieder zu.
Nur die Blumen mögen mich. Blumen mögen Scheiße. Und die Fliegen. Wir Kackmenschchen sollten in den Blumen leben, die Fliegen als Freunde haben und wir sollten nie wissen, was hinter den Türen der Liebe geschieht. Ich aber bin mit meinem Kopf immer wieder dagegen gerannt, Rumms!, und noch mal und noch mal. Aber die Tür war zu hart und mein Kopf zu weich. Meine Stirn zerriss, und ich platzte auseinander. Die Haut löste sich ab wie eine Brühwurst, und darunter glänzte im nassen Kot mein Selbst, das sich nicht länger hinter guten Taten verstecken wollte.
>>> Kommentar der Putzfrau: »Neuerdings stinkt der. Wäscht sich nicht mehr ... ich weiß gar nicht, warum ich darüber froh bin? Froh, überhaupt mal was zu riechen. Bin ich pervers oder was?«
Es gibt eine neue Hinrichtungsmaschine.
Ähnlich den elektrischen Mottenlichtern zum Zerstäuben von Insekten, abgeleitet von einem göttlichen Prinzip oder einem urzeitlichen Gesetz, das dem universellen Streben zum Licht seine Gültigkeit verdankt.
Der Delinquent steht in einem runden Raum, einem Hohlzylinder, und die äußere Wand ist so finster, dass sie alles Licht verschluckt. Wenn er nach außen schaut, dann weiß er nicht einmal, ob da wirklich eine Wand ist, denn er wagt es nicht, seine Hände in das strukturlose Schwarz zu halten, von dem er fürchten muss, in ein unendliches Nichts gezogen zu werden. Das ist ihm wie jedem Betrachter schnell zu viel, er dreht sich lieber um und schaut nach innen, versucht den Raum zu überblicken, in dessen Zentrum sich ein zylindrischer Körper aus purem Licht befindet. Drei Meter im Durchmesser, und zwischen dieser inneren Lichtsäule und der äußeren Dunkelheit sind es auch drei Meter. Der Delinquent hat für sich also nur einen rundum laufenden, drei Meter breiten Korridor und darf wählen zwischen vollkommener Dunkelheit und vollkommenem Licht.
Natürlich wählst du das Licht. Es blendet dich, aber das macht dir nichts, denn es ist seine Barmherzigkeit, die dich blendet. Du sehnst dich nach ihm, du willst dem Licht nahe sein, in ihm aufgehen, willst selbst das Leuchtende sein. Das Spektrum der Lichtwellen ist von wohlwollender Wärme, als wäre hinter dieser Säule ein göttlicher Busen, durchströmt von Milch und Honig, und du selbst würdest darin zum Flussbett werden und dein Körper stellte keine Ansprüche mehr. Doch eigentlich wäre dein Körper darin nur ein störendes Element, etwas, das vorher abgestreift gehört. Und dann verstehst du, dass genau das die Aufgabe dieser Membran aus Licht ist: das Abstreifen des alten Fleisches, das du loswerden möchtest, bevor du aufgehst in Unaussprechlichkeit.
Dadurch könnte, so glaubt man, der Vollzug vollkommen werden. Ich hefte meine Tat an meinen Körper, dessen ich mich nun aus freiem Willen entledige. Dies zu entscheiden dauert gewiss nicht länger als ein, zwei Stunden, und auch die anschließende Reinigung ist nicht schwer, da das reinigende Licht nur trockene, schwarze Krusten auf dem schmalen Rundgang zurücklässt, die sich mit einem Besen mühelos beseitigen lassen, während mein Geistiges als weißer Dampf durch einen über der Decke des Raums befindlichen Schornstein nach oben in den Himmel geblasen wird.
>>> Kommentar der Putzfrau: »Aschenbecher voll.«
Ich würde aber auch das Fallbeil wählen, die gute alte Guillotine, die schon manche Träume in ein anderes Licht gerückt hat. Aber da ist eine Sorge, die mir niemand nehmen kann, und die das Leben nach der Teilung betrifft:
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