24.02.2011:
Ich habe heute keine gute Laune. Jetzt ist gerade die Familie der Nachbarin da, die schnackt auch mit mir und ist sehr nett. Gestern war ich gut drauf, die Ärztin sagte mir, dass meine Zellen kommen, und das bedeutet wohl, dass ich nächste Woche nach Hause kann. Ich habe mich echt gefreut. Dann erzählte mir Peter, dass ihm wahrscheinlich fünf Zähne vor der Transplantation gezogen werden sollen. Ich war bedient! Das hat sich aber wieder relativiert. Er hatte noch ein Gespräch, und heute Morgen war nur noch von einem Zahn eventuell die Rede. Er hatte wohl auch vorher schon Probleme mit den Zähnen. Gestern telefonierte ich mit Berit, und ich erzählte ihr, dass bei einer Herztransplantation alle Zähne gezogen werden müssen. In dem Augenblick kam Frau Dr. Berger und meinte, das sei heute nicht mehr so, nur bei Eiterzähnen. Ach, weißt Du, ich habe einfach keinen Bock mehr auf Krankenhaus und alles, was damit zusammenhängt. Ich freue mich natürlich, wenn ich nächste Woche nach Hause kann, aber der nächste Schritt folgt dann auch bald.
Liebe Gabi,
diese Geduld aufzubringen ist echt nicht immer einfach. Ich würde so gern die stationären Aufenthalte endlich mal hinter mich bringen!! Gerade hat Achim angerufen, echt nett. Er hat gestern Abend einen Salat mit Scampi genossen, der Glückliche. Aber nächste Woche darf ich auch wieder alles essen...vier Wochen lang. Und dann ist erstmal Schicht im Schacht. Irgendwie ist das richtig blöd, dass ich Dich nicht mehr sehe...obwohl ich natürlich verstehe, dass Du jetzt wieder mit Deinen eigenen Sachen beschäftigt bist. Besuchsmäßig war es recht mau die letzten Wochen. Gleich kommt Christine, eine alte Schulfreundin, vorbei. Meine Eltern kommen auf jeden Fall heute Nachmittag. Eventuell kommt heute sogar noch Wiebke. Normalerweise kommen nur meine Eltern und ab und zu Laura. Naja, Wiebke ist jetzt Gott sei Dank aus dem Skiurlaub zurück.
Meine Zellen explodieren übrigens, die Leukos waren heute bei 2,7, es geht rasant, im Grunde bin ich schon aus der Isolierung raus, ich wundere mich, warum noch keiner das Schild umgedreht hat. Vorhin war mein Onkel aus Singapur spontan hier, war total nett! Wir haben nett geschnackt, ich habe mich echt gefreut, ihn mal wieder zu sehen.
Darüber freue ich mich wirklich. Plötzlich klingelt mein Handy und mein Onkel aus Singapur ist dran. Er ist schon im Klinikgebäude und kann die Station nicht finden, die auch anscheinend wirklich nicht besonders gut ausgeschildert ist. Ich habe auch Schwierigkeiten, ihm den Weg zu beschreiben, da ich den nur selten gegangen bin. Ich gehe also in den Flur, um eine Schwester zu fragen. Gemeinsam versuchen wir, meinen Onkel auf den richtigen Weg zu bringen. Ich gehe schließlich zum Eingang der Station.
Und da gehen plötzlich die Schwingtüren auf und mein Onkel steht vor mir. Wir beide haben noch unser Telefon am Ohr und prompt müssen wir lachen! Ich zeige ihm kurz mein Zimmer, aber da meine Nachbarin ihre Ruhe braucht, gehen wir in den Aufenthaltsraum. Mein Onkel ist beruflich immer sehr eingespannt, und ich freue mich sehr, dass er sich die Zeit genommen hat, mich zu besuchen, obwohl er nur ein paar Tage in Hamburg ist. Als er nach einer Stunde wieder geht, gibt er mir eine Tüte, in der ich u.a. einen indischen Drachen und etliche Fotos von seiner Familie finde. Er erklärt mir, dass der Drache in Asien eine beschützende Funktion hat.
25.02.2011:
Herr Jost war vorhin zur Visite da und meinte, der Block wäre doch wirklich gut gelaufen. Die Entzündungswerte sind ganz leicht angestiegen, deswegen behalten sie mich noch übers Wochenende hier, und wenn alles gut läuft, kann ich Montag nach Hause. Juchuuu!!! Ansonsten hätte ich schon heute gehen können...wäre auch nett gewesen! Er meinte: „Na, Sie haben sich mit uns ja auch arrangiert trotz aller Unfreundlichkeit und Inkompetenz." :-) Die Ärzte hier sind echt klasse, und Herr Jost ist schon ein ganz besonderer Arzt.
27.02.2011:
Hi Inga, meine Nachbarin schläft schon wieder, es ist sehr still hier im Zimmer. Gerade hat meine Kollegin angerufen, das war nett. Irgendwie bin ich gerade in einer Depri-Stimmung. Es liegt alles wie ein großer Berg vor mir. Ich finde es echt schwer, immer den langen Atem zu behalten.... Als ich damals nach Hause kam, haben wir doch als erstes diese Frau im Supermarkt getroffen, die eine leukämieähnliche Krankheit hat. Meine Eltern haben mir heute erzählt, dass sie gestorben ist. Das hat mich ganz schön schockiert. Meine Stimmung sank sofort in den Keller. Es dauert alles noch so lange, Inga! Bis ich wieder ein relativ normales Leben führe, vergeht noch ein Jahr. Manchmal bin ich verzweifelt, wenn ich daran denke! Meine Eltern erzählten auch, dass eine alte Freundin mit ihren 92 Jahren mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert worden ist, heute. Das hört sich auch gar nicht gut an. Irgendwie ist momentan alles recht düster. Obwohl ich morgen für vier Wochen nach Hause kann. Ich freue mich ja auch...aber da kommt eben noch so viel. Ich muss diverse Arzttermine wahrnehmen in der Zeit. Ich muss die Klamotten besorgen usw. Allerdings lese ich gerade ein echt gutes Buch, „Im Land der weißen Wolke". Das ist ein Roman, der 1850 spielt. Es geht um zwei Frauen, die nach Neuseeland auswandern, um dort zu heiraten. Erinnert vom Thema her an „Brautflug". Dieses Buch hat 800 Seiten, ich habe gestern angefangen, und heute bin ich schon auf Seite 400. Man liest einfach immer weiter. Das Buch ist von Sarah Lark. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht
Das mit dem Besuch war in den letzten drei Wochen wie abgeschnitten. Meine Eltern waren jeden Tag da, die treuen Seelen. An den meisten Tagen waren sie die einzigen Besucher. Laura rief heute noch an und sagte, sie würde mich besuchen, wenn ansonsten niemand käme. Als ich ihr sagte, dass meine Eltern kommen, beschloss sie, in den Citti-Park zu fahren. Was ich völlig in Ordnung fand. Naja, genug gejammert. Es ist einfach eine schwierige Zeit, die viel Geduld erfordert. Was machst Du so? Liebe Grüße, Gaby
Dann steht noch eine Punktion an und dieses Mal führt sie Frau Dr. Berger durch. Sie ist wie immer sehr lieb, und alles läuft ziemlich unproblematisch ab. Was das Ergebnis angeht, macht sie sich keine Sorgen. Sie geht davon aus, dass die Chemo noch mehr kaputte Zellen zerstört hat und kündigt an, mich nur dann zu Hause anzurufen, wenn dem nicht so wäre. Ich werde keinen Anruf von ihr bekommen.
Es ist so weit, ich darf wieder nach Hause! Meine Mutter kommt, um mich abzuholen. Ich habe schon meine Sachen zusammengepackt. Wir verabschieden uns von meiner Zimmergenossin. Sie wird auch transplantiert werden. Insofern sieht man sich vielleicht in der Mildred-Scheel-Klinik wieder. Auf dem Gang angekommen, spreche ich noch mit Schwester Nicole. Da kommt der Sohn meiner Bettnachbarin angelaufen und sagt, ich hätte noch etwas vergessen. Tatsächlich, das Bild von Lina hängt noch an der Wand und auch der indische Drache von meinem Onkel.
Dann aber nehme ich wirklich Abschied von der Station, bedanke mich bei den Pflegekräften für die super Betreuung! Auch von Frau Dr. Berger verabschiede ich mich, Herr Jost ist leider heute nicht da, und Frau Dr. Egerland ist im Mutterschutz.
Ich folge meiner Mutter durch lange Gänge zum Hinterausgang der Klinik, wo sie geparkt hat. Der Weg ist für mich ganz schön anstrengend! Im Auto angekommen, erzählt mir meine Mutter, dass es heute meine Lieblings-Nudel-Rindfleischsuppe gibt. Juchuu! Wir fahren Richtung Heimat. Auf halber Strecke fällt mein Blick auf mein Handgelenk. Und was sehe ich? Meine Braunüle ist noch drin! „Oh nein“, rufe ich. Meine Mutter und ich seufzen, und bei nächster Gelegenheit dreht sie um, und wir fahren zurück.
Sie wartet im Auto, während ich wieder zur Station hochgehe. Dort angekommen, blicken mich alle erstaunt an. „Ich hab da noch was, was Ihnen gehört“, sage ich und ziehe meinen Ärmel hoch. Schwester Nicole prustet los und kann sich vor Lachen kaum halten. Sie nimmt mich in ein Pflegezimmer mit und entfernt die Braunüle. Dann gehe ich endgültig!! Einige Zeit später esse ich genussvoll Nudelsuppe. Wie schön!
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