Wie auch immer, ich fühle mich etwas besser. Sie muntert mich noch ein wenig auf und erzählt mir, dass oben auf der Station ein sehr nettes junges Team sei. Am Ende hat sie mich sogar von den 18 Röhrchen abgelenkt.
Ja, und dann bekomme ich noch einen Berg Papiere in die Hand gedrückt, den ich möglichst sofort lesen und unterschreiben soll. Dazu bin ich aber jetzt nicht mehr in der Lage. Somit nehme ich den Papierkram mit nach Hause.
An diesem Tag bin ich so fertig, dass ich fast nichts mehr esse. Ich telefoniere mit diversen Freundinnen und erzähle alles mindestens fünfmal. Ein sehr ungutes Gefühl bleibt.
Beim nächsten Termin in der Ambulanz treffe ich Peter, einen Patienten aus dem Städtischen Krankenhaus. Ihn und zwei andere Patienten nennen wir immer „Die Drei von der Tankstelle“, da sie ständig im Flur stehen und quatschen. Ich freue mich, Peter zu sehen. Wir unterhalten uns noch über das Aufklärungsgespräch, und Peter ist da völlig entspannt. Er erzählt: „Ich habe dem Arzt gleich gesagt, ich weiß, ich kann sterben. Das brauchen Sie mir nicht zu erzählen.“ Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt von seiner zumindest äußeren Gelassenheit!
In den zwei Wochen zu Hause bin ich ziemlich schwach. Einige Leute, u.a. natürlich Inga, besuchen mich. Es kostet mich viel Energie, die einfachsten Dinge zu tun.
Zwischendurch telefoniere ich mit Achim, der zu Hause war, als ich entlassen wurde. Inzwischen ist er wieder in der Klinik, um die voraussichtlich letzte Chemo zu absolvieren. „Ich liege in Deinem Bett“, sagt er, und ich lache. Er hat demnach jetzt mein schönes Zimmer Nr. 4 bekommen!
Meinen Geburtstag feiere ich mit meiner Familie und einigen wenigen Freundinnen, alles andere wäre viel zu anstrengend. Zunächst hatten sich einige vormittags, die anderen nachmittags und der Rest abends angemeldet. Ich setze mich jedoch durch und lade alle wieder aus bis auf diejenigen, die nachmittags Zeit haben. Wir haben ein paar sehr nette Stunden. Ich trage meine Perücke und fühle mich wohl mit meiner neuen Frisur! Im Gegensatz zu früher habe ich jetzt glatte Haare mit Strähnchen. Mal was Anderes!
Dann nähert sich schon wieder der nächste Klinikaufenthalt. Ein paar Tage vorher habe ich solche Bauchschmerzen, dass meine Hausärztin vorbeikommt. Es stellt sich heraus, dass ich wohl eine Muskelzerrung im Bauch habe. Ich hatte aufgrund des inneren Stresses ein Magengeschwür befürchtet. Als sie von einer Muskelzerrung spricht, geht’s mir gleich besser, denn ich merke, dass sie möglicherweise recht hat, da ich nur beim Atmen Schmerzen habe.
Am folgenden Montagmorgen fährt meine Mutter mich wieder ins Krankenhaus. Ich bin gespannt, ob ich wieder ein Einzelzimmer bekomme. Schwester Nicole empfängt uns und teilt mir auf meine Frage hin mit, dass ich diesmal in einem Zweibettzimmer liegen werde. Vorerst gehen wir aber in den Aufenthaltsraum, um darauf zu warten, dass mein Bett hergerichtet wird.
Ich sitze mit meiner Mutter im Besucher- und Aufenthaltsraum und hier hält sich gerade eine weitere Familie auf, die offensichtlich auch auf ein Bett wartet.
Plötzlich steckt Herr Jost den Kopf durch die Tür. Er begrüßt uns und sagt dann mitfühlend: „Oh Mann! Ich hab schon gehört. Wir schnacken in den nächsten Tagen noch mal drüber!“ und spielt damit auf meinen Frust wegen des Aufklärungsgespräches an (Meine Hausärztin hat im Zuge meiner Bauchschmerzen mit den hiesigen Ärzten darüber gesprochen). Ich bin ihm dankbar! Und fühle mich tatsächlich, als wenn ich wieder zu Hause bin. Diese Station mit ihren Ärzten, Schwestern und Pflegern ist mir einfach so vertraut.
Dann gehe ich in mein altes Zimmer, in dem jetzt Achim liegt. Seine Frau ist gerade bei ihm. Sie erzählen mir lachend, was sich gerade zugetragen hat: Die Reinigungskraft Marina öffnete die Tür nur einen Spalt und sagte zu Achim: „Ihre Freundin ist wieder da!“ Dann machte sie die Tür weiter auf, sah seine Frau und wurde puterrot! Achim und seine Frau haben sich gebogen vor Lachen, und auch ich muss jetzt lachen!
Dann werde ich von der Schwester in mein Zimmer geführt. Meine Bettnachbarin ist gerade nicht da. Meine Mutter hilft mir, meine Sachen in den Schrank zu räumen. Kurze Zeit später erscheint eine sympathisch wirkende Frau. Wir unterhalten uns, und ich erfahre, dass sie als Lehrerin an der Schule arbeitet, in die ich früher ging. Spannend! Ich frage nach allen möglichen Lehrern und sie erzählt mir, was sich alles so verändert hat.
08.02.2011:
Hallo Christine, ich muss Dir unbedingt was erzählen: Seit gestern bin ich wieder in der Klinik und zwar in Zimmer 6, das ist ein Doppelzimmer. Es ist schon eine Umstellung, denn vorher war ich einfach freier und konnte tun und lassen, was ich wollte (naja, nicht wirklich). Meine Nachbarin ist aber sehr nett, sie ist Lehrerin an unserer Schule! Irgendwie hat sie seit gestern immer gute Laune (während ich heute Morgen schon heulen musste, als ich hier wieder aufwachte). Gestern kam ihre Tochter vorbei. Sie wirkte auch total nett und sagte fröhlich: „Hallo, ich bin die Tochter!". Später kam dann ihr Lebensgefährte. Er würdigte mich keines Blickes. Ich sah ihn an und wollte ihn begrüßen, aber er beachtete mich nicht, und ich dachte, naja, dann eben nicht. Ich erinnerte mich auch daran, dass ich ihn schon öfter im Flur getroffen hatte (als ich noch auf Zimmer 4 war), und er hatte auch entweder gar nicht oder nur ziemlich brummig zurück gegrüßt. Als heute meine Eltern kamen, erzählte ich ihnen das im Aufenthaltsraum. Ich ging dann nochmals in das Zimmer, um meine Augen zu spülen, das muss ich bei dieser Chemo alle zwei Stunden machen. Da saß er auch schon wieder und beachtete mich nicht. Meine Eltern gingen dann, und ich ging zurück ins Zimmer und machte es mir auf meinem Bett bequem. Plötzlich sprach er mich an: „Sind wir uns denn schon mal im Unterricht begegnet?" Ich begriff, dass er auch Lehrer ist und fragte „wie ist denn Ihr Name?" Und jetzt kommt´s, er antwortete: „Voß"!!! Ich war völlig baff. „Herr Voß", sagte ich fassungslos, „ich hätte Sie nicht wieder erkannt! Er meinte, er sei ja auch älter geworden. Und meine Nachbarin meinte, wir hätten beide an Haaren verloren... :-) Er konnte sich an meinen Namen erinnern, und an Deinen auch! Ist das nicht unglaublich? Heute war der erste Tag der Chemo, die drei Tage à sechs Stunden läuft. Ich hoffe, bei Dir ist alles ok! Liebe Grüße, Gaby
Herr Voß war vor Urzeiten unser Physiklehrer. Zugegebenermaßen war Physik nicht mein Lieblingsfach. Unterstützend kam hinzu, dass unser Lehrer es den Mädchen sowieso nicht zutraute. Insofern habe ich von dem Unterricht nur wenig mitbekommen.
In dieser Zeit kommt Herr Jost und spricht mit mir nochmals über die bevorstehende Transplantation. „Natürlich muss in dem Zusammenhang das Wort Tod fallen“, sagt er. Aber er macht mir Mut und redet vornehmlich darüber, was diese Prozedur mir hoffentlich bringen wird. Als er das Zimmer verlassen hat, bemerkt meine Nachbarin: „Na, da hat er doch jetzt die richtigen Worte gefunden.“ Das stimmt. Und trotzdem bleibt eine nagende Angst.
Ja, und die nächste Zeit ist dann eher unauffällig. Nach einigen Tagen zieht meine Nachbarin in ein Einzelzimmer um, und die nächsten Tage bin ich in diesem Doppelzimmer allein. Die Chemo dauert diesmal drei Tage, ist aber auch recht anstrengend, weil ich alle zwei Stunden meine Augen spülen muss, teilweise auch nachts. Ansonsten besteht die Gefahr einer Bindehautentzündung! Dazu muss ich mich an die Bettkante setzen und manchmal bin ich so schlapp, dass ich dazu gar keine Lust habe. Aber es muss eben sein.
10.02.2011:
Liebe Tine, ja, es ist mir recht, dass Du nächste Woche kommst. Ich freue mich! Bis dahin geht´s mir bestimmt auch besser. Momentan werde ich von Übelkeit und Fieber geplagt. Heute Nacht hatte ich plötzlich 39,7, ich war echt erschrocken, aber die Schwester meinte, das kommt von der Chemo und geht wieder weg. Und so war es auch. Heute Morgen hatte ich auch Fieber, bekam dann wieder Tabletten, und im Moment ist es runter.
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