Einmal mutierte ich auch zu Alis Kleidung und Stil Beraterin, er nahm mich mit zum Einkaufen. Des Weiteren versuchten wir auch Kumpels zu trösten, deren Verheiratung bevorstand. Damals war so etwas noch durchaus üblich, und nun ich denke, das ist auch eine mögliche Ursache, für den fast Stillstand der türkischen Kultur in Deutschland. Diese fremden Frauen aus der Türkei importiert, Gelins, zogen dann die Kinder auf. Sie hatten es nicht leicht, auch wenn sie perfekt Türkisch sprachen, ließ oft die eingeheiratete Familie nicht mehr an Bildung und Beruf zu, so dass sie dann auch selten den gemeinsamen Kinder helfen konnten, in der Schule, beispielsweise. Und unser Land machte es sich auch nicht als Pflicht, das einzureisende Verwandte die dauerhaft hier bleiben wollten, die Auflage bekamen, mindestens zwei Jahre Deutschkenntnisse ich einem Sprachkurs zu erlernen. Selten wurde dann eine solche Ehe wirklich glücklich.
Besonders schön ist die Weisheit: Frauen sind aus der Rippe des Mannes gemacht, ein Mann muss sie gefühlvoll behandeln, denn sie sind gebogen. Wer versucht die Rippe zu begradigen, zerbricht sie. Frauen müssen gefühlvoll behandelt werden!
Reformiert könnte es so lauten:
Als es vollbracht war, sprach Adam zu Gott: Adam: „Die Frau, die Du mir gemacht hast ist wunderschön!“ Gott: „Ich habe sie so schön gemacht, damit Du sie liebst!“ Adam: „Aber warum ist sie so schrecklich dumm?“ Gott: „Nun, Adam, wäre sie nicht so dumm, würde sie Dich dann lieben?“ Die Frau ist nicht aus der Rippe des Mannes, sondern aus seinem Gehirn. Der Beweis: die Rippe hat er noch!
Ali fand es gut, dass wir alle zusammen ausgingen, und manchmal war auch sein geliebtes Mädchen aus dem Nachbardorf dabei. Er dachte wohl, dann würde sie sich wohler fühlen, bei ihm, mit uns. In meiner Gesellschaft. Ich machte mir keine Gedanken, mir ging es gut, in dieser Zeit.
Mein Herz schlug noch, freundlich und sanft, und verspielt.
Ergün jedoch befand, dies sei nie und nimmer der passende Umgang für mich. Das denkt er bis heute.
Doch ich wollte normal sein, nicht auf einem Sockel stehen, sondern das Leben fühlen.
So lernte ich auch bei einem unserer nächtlichen Ausflüge Yasin kennen. Er saß irgendwann einfach mit in Alis Auto. Nun, Yasin, das war so eine Sache… von ihm wusste ich nur, das er sehr lange Zeit auch mit einem Mädchen aus meinem Dorf befreundet gewesen war, Sofia. Sofia war ein sehr lebensfroher Mensch, eine junge Frau, mit naturrotem Haar und einem warmen Lächeln. Sie war etwa ein Jahr jünger als ich, und besuchte ein anderes Gymnasium. Ich glaube sie musste durch die Leute in unserem Dorf etwas leiden, denn sie war ja mit einem „angeblichen“ Türken zusammen, und das wurde nicht sehr hoch geschätzt. Nun, ich hatte etwas mehr Glück gehabt, mein Ex-Ergün gehörte nicht zu den türkischen Kreisen, und hatte sich schon einiges Ansehen erworben. Doch irgendwie empfand ich so etwas wie Solidarität mit den Beiden.
Doch sie hatten sich nun getrennt. Ali sagte nur: ,,Yasin heiratet bald.“ Ah so, ich dachte mir nichts weiter dabei. Ich spürte nur, dass so etwas wie eine Melancholie auf ihm lag. Und konnte mir weiter nichts Schreckliches in dieser Richtung ausmalen. Bei uns verliebt man sich, verlobt man sich, und heiratet. Irgendwie vermutete ich, dass er um Sofia trauerte. Und wie sich ein gebrochenes Herz anfühlt, ja, das wusste ich auch nur zu gut. Yasin war eine Ausnahmeerscheinung. Zwar nicht groß gewachsen, aber in allem sehr zart strukturiert. Sehr feine Gesichtszüge und gelocktes Haar, ganz im Gegensatz zu den oft grob aussehenden Restosmanen, die ich so kannte. Seine Familie waren Geschäftsleute, und er fuhr einen cremefarbenen Mercedes.
So ganz anders lag dieser Fall als bei Ergün und mir. Wir zwei waren zusammen immer total arm gewesen, teilten uns von unserem knappen Budget oftmals nur eine Dose Cola…Und dann küsste er mich hinterher, und sagte, dass ich nun nach Kirsche oder Pirsich schmeckte…
In aller Öffentlichkeit, nein, wir haben uns nie versteckt. Wir hatten auch kein Auto, aber wir waren glücklich, wirklich glücklich.
An diesen einen Abend nun, wollte Ali mit uns seine Freundin in ihrer Stadtwohnung besuchen, und Yasin und ich kamen mit zu Besuch. Und es wurde sehr spät, und Ali fragte ob wir mit dort übernachten wollten. Nun Yasin und ich hatten nichts dagegen, und Alis Freundin fand für jeden von uns noch eine Zahnbürste. So bauten wir also ein Viererbett auf, Alis Freundin und er nebeneinander, dann Yasin und dann ich. Wir vier kuschelten uns alle neben einander, und ich nahm Yasin in den Arm, einmal weil ich es total mag, mich an einem anderen Menschen zu wärmen, und dann um ihn etwas zu trösten, denn ich spürte seine Traurigkeit, und wollte ihn in seinem Schmerz begleiten. Er sollte sich nicht allein fühlen in dieser Nacht. Ich mochte ihn, und es war für mich eine Ehrensache, mich für Sofia um ihn zu kümmern.
Und für Yasin war es dann wahrscheinlich auch Ehrensache allein später mich bei mir zu Hause zu besuchen. Er kam etwa fünf Mal zu mir. Ich freute mich darüber. Doch immer hatte ich das Gefühl, das er von seinem Schmerz nicht los kam, und zwei Straßen weiter wohnte ja schließlich Sofia.
Es gab damals zwischen uns so Etwas wie ein Gentleman Agreement, wir hielten in unserer Gruppe stillschweigend zusammen, und halfen uns gegenseitig in bestimmten Lebenslagen. Wir behandelten uns mit gegenseitigem Respekt und akzeptierten uns als Menschen, so wie wir waren. Jeder konnte frei über Alles sprechen, und das gab uns Sicherheit. Und auch Ali behandelte alle gleich, egal ob Grieche, Deutsche oder Türke. Es war schön Freunde zu haben, auf die man sich verlassen konnte, und vertrauen.
Im Grunde wollte er, Yasin, mit Sicherheit zu ihr, als er zu mir kam. Doch er konnte nicht mehr weiter. Und ich weiß auch nicht genau wie Alis auf die Idee kam, uns bekannt zu machen. Er dachte wohl, ich bin sozusagen als Ergüns „Witwe“, ebenfalls in Beziehungstrauer, geeignet, ihm Gesellschaft zu leisten. Aber egal, ich trank mit ihm Tee, redete mit ihm, und behandelte ihn wie einen ganz normalen Gast. Manchmal legte ich meinen Arm um ihn, denn er war ein sehr stiller und trauriger Mensch. Sofia und ich, wir hatten etwas gemeinsam, wir wirken sehr selbstbewusst und sind extrovertierte, herzliche Menschen. Aber in welchen Strukturen insbesondere diese jungen Herren aufwuchsen, nun, das wusste ich überhaupt nicht. Ich bekam auch nicht besonders viel heraus. Einmal fragte ich ihn, ob er Kurde sei, denn es war die Gründungszeit der PKK, und Einiges hatte ich zwar darüber gehört, und ich wusste, dass sie bei den Geschäftsleuten Geld sammelten. Für was und wofür, ich hatte keine Ahnung. Oder was es mit den Kurden auf sich hatte… Und ich dachte, na gut, Yasin könnte ja auch mal irgendwas erzählen. Ja, er bestätigte mir die Sache mit dem Geld sammeln, und ja, er sei eigentlich auch Kurde. Aber es gebe verschiedene, sagte er. Und Kurde hieß eigentlich Wolf, und es gäbe auch „graue Wölfe“. Aber irgendwie stimmt diese Aussage nicht, ich weiß es nicht. Oder einfach Bergtürke, das ist so etwas wie ein Schimpfwort der Türken für die Kurden. Mehr sagte er nicht. Als er mich dann zum letzten Mal besuchte, startete er im Ansatz mit mir so etwas wie eine nähere Beziehung aufzubauen: er wollte mir sagen, wie er sich eine Freundschaft vorstellte, was er von „Seinem“ Mädchen erwartete, doch mitten drin brach er ab, und lies resigniert seine Hand sinken…,es hatte keinen Sinn mehr für ihn etwas anzufangen, von dem ersichtlich war, dass es keine Zukunft hatte, denn seine bevorstehende Heirat lastete auf ihm. Er sagte nur noch:“ Wenn man verheiratet ist, ist es so, als wenn man mit einem Auto mit Anhänger durch das Leben fährt…“ Und ich meinte: “ Die Ehe muss doch keine Last sein…“ Doch er empfand das so.
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