Er hatte verstanden.
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Der Kampf verlief wie erwartet. Hart und kurz. Die Mönche besaßen keine Chance gegen die Übermacht der Soldaten.
Bruder Torsohn starb als Erster.
Als hartnäckigster Gegner erwies sich der Abt. Vorher wäre Sagenbredt nie der Gedanke gekommen, dass ein Mann mit einem Schemel einem gerüsteten Krieger mit einem Schwert gefährlich werden könnte. Ohne Vonhagens Hilfe, der dem Abt mit seinem Streitkolben den Schädel einschlug, hätte der Lord den Kampf verloren. Jetzt nach dem Sieg schmeckte ihm der dünne Tee des Klosters fast wie Wein.
Vom Hof drang das Geräusch von Schlägen. Der Sergeant verprügelte den einzigen Überlebenden, Bruder Vuchs. Hoffentlich wusste der Mönch, wo sich das Pergament befand. Sagenbredt hasste diesen Teil der Arbeit, aber Folter war die Spezialität seines Untergebenen. Gut, dass er sich damit nicht beschäftigen musste.
Als der dazu überging, den Gefangenen mit Feuer zu quälen, stellte sich der erwartete Erfolg ein. Mit kaum verständlicher Stimme bot der Gequälte an, das Kästchen mit dem Schatz zu zeigen.
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Der Rest Holz reichte gerademal aus, Sheen für die Rückkehr zum Kloster ausreichend aufzuwärmen. Der Weg würde beschwerlich genug sein.
Der Novize hüllte sorgfältig sein Studienbuch in seinen Rucksack. Darin befand sich eine Abschrift eines Kapitels von „Tarnors Beschreibung der Mineralien im Hügelland“.
Der Abt hatte ihn beauftragt, alle darin aufgeführten Steine zu sammeln und zum Kloster zu bringen. Sheen fand sogar noch einen blauen Kristall, der mit wenig Fantasie wie ein kleiner Bär geformt war. Die Sammlung steckte er zu dem Buch und machte sich auf den Weg.
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Vonhagen war zu grausam gewesen. Zu ungeduldig und zu sehr aufs Töten versessen. Der Mönch beschrieb nur das Versteck des Kastens unter seinem Bett, dann starb er. Dort war aber zunächst nichts zu finden. Erst als Sagenbredt die Wand dahinter abklopfte, fand er es. Ein loser Ziegel verbarg einen Hohlraum mit einem Kästchen aus dunklem Holz.
Keiner der Soldaten war ohne eine Wunde aus dem Kampf gekommen, selbst Vonhagen blutete aus dem Mund. Der Lord schickte den Sergeanten und seine Männer aus dem Zimmer. Sie sollten die Leichen der Mönche enthaupten und ihre Köpfe auf der Mauer des Klosters stecken. Eine Warnung für alle, die sich wiedersetzen wollten und Futter für die Krähen. In der Zwischenzeit durchsuchte er die Bibliothek nach dem Pergament. Wie erwartet fand er den gesuchten Gegenstand auch dort nicht.
Das Dokument konnte sich nur noch in dem Kasten befinden. Er gab den Befehl, Möbel und Bücher auf dem Hof zu stapeln. Zusammen mit den Leichen steckte Vonhagen den Haufen in Brand.
Lord Sagenbredt legte keinen Wert darauf, dass die Soldaten erfuhren, was in dem Kästchen verborgen war. Deshalb schickte er sie in Richtung der Höhle. Sie erhielten den Auftrag, den letzten Mönch zu finden und zu töten. „Novizen“ korrigierte er sich in Gedanken. Ein ungefährlicher Gegner. In ihrer Abwesenheit würde er das verfluchte Ding aufbrechen. Dabei waren Zeugen nur gefährlich.
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Sheen kam schnell voran. Die Vorfreude über die Rückkehr in die herzliche Atmosphäre des Klosters gab ihm Kraft. Und nicht zuletzt könnte er sich dort an ein wärmendes Feuer setzen. Die Wirkung des kleinen Lagerfeuers in der Höhle ließ in der Zwischenzeit merkbar nach.
Nicht weit vom Ziel fielen ihm die Krähen auf. Sie schienen sich an einer Stelle zu sammeln. Er verließ den Weg, da er etwas abseits hoffte, eine bessere Sicht zu haben. Ein Schwarm kreiste über dem Klosterhof, von dem Rauch aufstieg.
Dort brannte ein Feuer und vertrieb die Vögel. Er beobachtet, dass die Mutigsten der Aasfresser bereits auf der Mauer landeten. Irgendetwas auf dem Rand weckte ihr Interesse, aber Sheen konnte von seinem Standpunkt nicht erkennen, worum es sich handelte.
Als er zum Weg zurückkehren wollte, hörte er Stimmen. Raue Stimmen und Fluchen.
Hinter einem Baumstamm verborgen beobachtete er Soldaten des Lord. Sie führten auf dem engen Pfad ihre Pferde in Richtung des Gebirges, ihre Rüstung und ihre Kleider zeigten Spuren eines Kampfes. Er konnte sehen, dass eine Handvoll der Krieger frisch verbundene Wunden trugen. Ihr Anführer, ein Sergeant mit einer Narbe im Gesicht, spuckte immer wieder Blut in den Schnee.
Sheen wartete, bis sich der Trupp weit genug entfernt hatte. Die Vorzeichen für eine Rückkehr standen schlecht. Feuer in seinem Kloster, Krähen am Himmel und Soldaten, die aus einem Kampf kamen, deuteten auf ein Unglück hin. Und im Zentrum lag sein Zuhause.
Er ließ den Kriegern ausreichend Vorsprung und näherte sich den brennenden Gebäuden.
Zunächst irritierten ihn die drei dunklen Knäuel auf der Mauer. Beim Näherkommen verwandelten sich die Knäuel in Kugeln und zu seinem größten Schrecken die Kugeln in abgetrennte Köpfe. Aus der Nähe erkannte er die Köpfe, es handelte sich um seine Mitbrüder.
Fassungslos blieb er stehen. Seine Beine wollten nicht weiter. Minutenlang kniete er weinend, bis er alle Kraft zusammennahm und in den Hof trat. Dort brannte ein Feuer aus den Möbeln und Büchern des Klosters. In dem Stapel fand er auch die enthaupteten Körper seiner Brüder.
Er kletterte auf die Mauer, verjagte die Krähen und holte die Schädel herunter. Besonders liebevoll trug er den Kopf des Abts, Echzel. Der Abt war all die Zeit sein väterlicher Freund und Lehrer gewesen. Ein Hieb hatte sein Gesicht entstellt, die Schädeldecke war geöffnet und Sheen konnte bis auf das Gehirn seines Mentors sehen.
„Mein Jahr der Steine ist vorbei, Echzel“, weinte er. „Du hast mir versprochen, jetzt kommt das Jahr des Lebens, des Heilens. Alle Wunder wolltest du mir zeigen. Du sprachst davon, mir beizubringen, wie das Leben funktioniert. Welche Aufgabe Herz, Muskeln haben. Und den Ort, wo der Geist wohnt, der Gedanke, die Vernunft und das Fühlen.“
In seiner Trauer meinte er, die Stimme des Abts zu hören. Leicht spöttisch, wie immer: „Schau mich an, dummer Junge!“ Doch Sheen sah nur einen abgetrennten Schädel und die mäandernden Linien des Gehirns unter einer blutigen Haut.
Er trug alle drei Köpfe in die Küche des leeren Klosters, noch unschlüssig, was er tun sollte. Und so versunken in seine Trauer, dass er die leisen Schritte hinter sich nicht vernahm.
Plötzlich flog ein Gegenstand gegen die Wand, Sheen erschrak, und erkannte einen kleinen Kasten. „Das Schatzkästchen!“ entfuhr es ihm.
„Richtig! So hat er es genannt.“ Der Novize kannte den Krieger, der sich in die Küche geschlichen hatte. Lord Sagenbredt war mehrmals Gast im Kloster gewesen.
„Und weißt du, was drin war, Junge?“
„Backpflaumen. In Honig eingelegt und getrocknet.“
„Nennst du das einen Schatz?“
„Für Bruder Vuchs war es sein Schatz. Der Abt wollte nicht, dass er nascht. Sein Körper vertrug den Zucker nicht. Nur ab und an erlaubte Echzel es ihm. In dem Kasten verwahrte er die Pflaumen und versteckte ihn. Denn Bruder Vuchs war wie wild hinter den Früchten her.“
„Glaubst du, er hat gewusst, wo sie verborgen waren.“
„In der Küche, das war allen klar. Aber nur der Abt wusste, wo genau.“
„Sehr erfinderisch, dein Abt.“
„Er war Vater und Lehrer. Was ist hier passiert. Wer hat das getan?“
Der Lord grinste.
„Ich fürchte, ich bin dafür verantwortlich. Der Abt besaß etwas, was ich suche. Und er wollte es mir nicht geben.“
„Warum so viel töten. Warum .?“
„Unwichtig für einen Novizen. Ich habe es nicht gefunden. Das Schatzkästchen war eine falsche Spur. Du bist noch am Leben und wirst mir weiterhelfen!“
„Aber, ich weiß kein bisschen!“
„Wir werden sehen. Vonhagen ist unterwegs, doch für einen Jungen sollten meine Kenntnisse der Folter wohl ausreichen.“
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