1 ...6 7 8 10 11 12 ...29 Wie auf ein stilles Kommando begann es heftig zu regnen. Nachdenklich beabsichtigte sie auf der Kaimauer Platz zu nehmen, verfehlte jedoch das Ding und landete auf dem Boden. Stöhnend rappelte sie sich wieder auf. Esther konnte einstecken. Den Großteil ihrer Existenz schlug sie sich schon alleine herum. Und meistens sich selbst. Für Selbstmitleid fehlte ihr die Zeit. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Wichtigste.
So ein Ärger! 2000 km Luftlinie, nordöstlich, direkt über den offenen Nordatlantik. Und das zusätzlich bei extrem stürmischen Winden. Den Luftweg konnte sie auf Dauer gesehen ausschließen, der war viel zu mühsam und gefährlich. Ihr Blick schweifte zum Meer.
»Okay, daran geht kein Weg vorbei. Es gibt eine Lösung und sie liegt direkt vor mir! Molly harre aus, ich komme!«
*
Und Molly verharrte. Ihr blieb auch nichts anderes übrig. Die beiden Lustmolche brachten sie in deren heimatliche Siedlung.
»Macht das Tor auf! Wir sind´s, Hjálmarr und Stìgandr!«
Das mächtige Tor öffnete sich und die Frau der Neuzeit sah sich neugierigen Blicken ausgeliefert. Sie ignorierte sie geflissentlich. Dagegen war sie von dem festungsartigen Bollwerk, aus angespitzten Baumstämmen, schwer beeindruckt. Dieser meterhohe Zaun umrundete die gesamte Siedlung.
Hm, allem Anschein nach, wollen sie sich vor Angriffen von außerhalb schützen!, mutmaßte sie.
Vier, von jeweils zwei Leuten bewachte Eingangstore, die somit die vier Himmelrichtungen abdeckten. Das Nordtor, (Molly ging davon aus, dass es das Nordtor war) führte direkt an einen Steg, wo die Nordmänner ihre Boote anlegten.
Summa summarum, erschien ihr das Dorf weniger friedlich, eher wie ein Kriegshafen mit Kasernen. Ihre Geschichtskenntnisse waren keineswegs fundamental, doch ging sie eigentlich davon aus, die Nordmänner wären in dieser Epoche längst durch die Christianisierung ein wenig sesshafter und friedlicher geworden. Nur wirkte dieser Standort gleich dem frühen Mittelalter, als die nordischen Krieger den alten Göttern huldigten. Molly versuchte eine der typisch nordischen Stabkirchen zu finden, doch ihr Augenmerk blieb lediglich an einem großen Runenstein hängen, - dem einzigen Artefakt religiöser Neigung.
Hier stimmte etwas nicht. Noch konnte sie sich kein Gesamtbild machen, dennoch beschlich sie der Verdacht, dass diese Menschen alles andere als friedfertig waren. Und von Christentum nicht die geringste Spur. Zwar hielten sich nicht allzu viele Krieger um diese Zeit im Inneren auf, doch diejenigen, die zugegen waren, betrachteten Molly als wäre sie das achte Weltwunder. Ein wenig amüsierte es Molly, weil sie glaubten, sie wäre wirklich von Himmel gefallen. Viele begehrliche Blicke trafen sie. Die Sprache war ihr noch immer unverständlich. Sie verstand nicht sehr viel von dem was die Männer sagten, doch sie machte sich ihren Reim daraus. »Godt!«, gut, so viel konnte sie verstehen. »Pen Jente!«, Jente bedeutete Mädchen, das fand sie schon anfangs heraus, als sie von dem blonden Kerl angesprochen wurde. Ohnehin musste sie nicht viel verstehen. Sie interpretierte die anerkennenden Blicke. Eins hatte Molly ihnen voraus. Sie war sauber, gut frisiert und gänzlich ohne Läuse.
»Buh!«, sagte Molly zum Spaß. Nur zuckte niemand mit der Wimper, sondern bot den ungewaschenen Kerlen die Gelegenheit, um über ihr seltsames Verhalten herzhaft zu lachen und aufgeregt zu schwatzen. Leider waren sie nicht schwer beeindruckt und glaubten nicht daran, Molly könnte so etwas wie Zauberkräfte besitzen. Sehr zu ihrem Leidwesen. Somit standen die Chancen nicht gut, die Kerle einzuschüchtern. Immerhin wollte keiner der Anwesenden einen weiteren Vergewaltigungsversuch starten. Jedenfalls nicht, nachdem sie das schlimm zugerichtete Bein von diesem Stiggi entdeckten. Hjálmarrs breitbeiniger Gang sprach ebenfalls Bände. Hämisches Gekicher begleitete sie. Schon unterwegs, auf dem Weg zur Siedlung, konnte Molly die beiden Barbaren überreden, sie wieder herunterzulassen. Anscheinend kam es diesem Stígandr gerade recht, denn trotz seines harten Getue, litt er offensichtlich doch ein wenig unter der Stichwunde. Wenn Molly ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, sogar froh über die Gesellschaft der beiden zu sein. Gänzlich allein, in der fremden Umgebung, dazu in einer Ära ohne Technik, erschien es ihr recht, nicht mutterseelenallein in der Wildnis herumzustehen, wo sie leicht ein Opfer von Raubtieren werden konnte. Ihren Beutel hatten die Kerle an sich genommen. Wahrscheinlich vermuteten sie darin weitere Waffen. Trotz der Bitte, ihr wenigstens den Trinkbeutel zu geben, wurde sie von ihnen weiterhin ignoriert. Jetzt, in der Siedlung, bemerkte Molly, wie müde sie nach dieser Wanderung war, und vom schlimmen Durst geplagt wurde. Und die Sorge, um den Verbleib von Ragnor und Esther, nagte an ihr. Beinahe schlimmer als Müdigkeit und Durst zusammen.
»Lass dein Bein verarzten!«, riet Hjálmarr seinem Kumpel.
»Nein, ich bringe sie mit zur Unterkunft! Nicht dass du auf dumme Gedanken kommst und schon mal etwas nascht!«, erwiderte der daraufhin.
»So ein Quatsch! Sie trat mir dermaßen in die Klöten, die werden bald so dick wie die eines Stiers sein! Los, geh schon, bevor du völlig leer geblutet bist!«
Widerwillig trennte sich das Narbengesicht von den beiden.
Hjálmarr war der Sympathischere der beiden Entführer. Molly schätzte ihn eher gutmütig ein. Von allein wäre er sicherlich nicht auf die Idee gekommen, ihr etwas anzutun. Sein Gesicht wirkte offen, sogar freundlich, weniger verschlagen. Eine anständige Frisur, dazu ein rasiertes Gesicht und man könnte ihn nicht mehr von jedem x-beliebigen Bewohner der Neuzeit unterscheiden. Schweigsam führte er sie zu einer Hütte.
»Bitte, mein Fräulein. Tritt ein. Dies ist deine Unterkunft. Vorläufig jedenfalls«, ließ er mit freundlicher Geste Molly den Vortritt.
»Gib es doch zu. Du bist kein übler Kerl!«, zögerte sie misstrauisch.
»Du kannst von Glück sagen, so gut zu treten, ansonsten würde ich dich da drinnen sofort schänden. Nur hängen meine Glocken im Moment tiefer als das Seil. Geh jetzt, oder ich binde dir die Hände und werfe dich hinein!«
»Aber eins sage ich dir: Instrumentalisierte Gewalt gegen Frauen ist da, wo ich herkomme, strafbar. Ist ja gut, ich glaube dir, dass du ein ganz harter Bursche bist!«, verdrehte Molly die Augen und trat in die Hütte. »Bekomme ich wenigstens meinen Beutel zurück? Ich habe Hunger und Durst!«, nervte sie weiter.
»Später! Wir untersuchen erst einmal, was da drin ist! Dann bekommst du deinen Beutel zurück!«, schloss er die Tür hinter ihr ab.
»Idiot!«, knurrte Molly und untersuchte skeptisch die Hütte. Groß war sie nicht gerade. Sie bestand lediglich aus einem einzigen Raum. Ein Tisch mit zwei Stühlen, dazu ein Bett. Nicht gerade das Ritz. Die kleine Kerze aus Talg spendete trübe Licht. Molly zog ihren Umhang von den Schultern, warf ihn achtlos auf den Stuhl, lief unschlüssig herum und kontrollierte anschließend die Tür, die leider Gottes abgeschlossen war. Ihre Aufmerksamkeit fiel auf einen Eimer mit Deckel. Sie hob den Deckel an und fand den Eimer mit Wasser gefüllt. Gierig trank sie daraus, schüttete sich dabei einen Teil, weil sie so hastig trank, in den Ausschnitt und erschauerte. Das Wasser war schrecklich kalt! Sichtlich müde und frierend, schlüpfte sie ins Bett und machte es sich unter den flauschigen Felldecken bequem. Obwohl sich alles in ihr sträubte, auch nur ein Auge zuzumachen, weil ihr die Situation zu riskant erschien, glitt sie in einen tiefen Schlummer.
Erschrocken fuhr sie hoch, als die Fensterläden rappelten und jemand die Tür aufschloss. Inzwischen war die Talgkerze längst erloschen und Tageslicht strömte durch die Öffnungen. Nicht nur Licht bahnte sich einen Weg, zusätzlich eine blond bezopfte Frau, mit einem Tablett in den Händen. Noch vom Schlaf ganz wirr, kroch Molly weiter in die Ecke und lauerte abwehrend.
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