1 ...7 8 9 11 12 13 ...29 »Mein Name ist Gyttha und ich bringe dir etwas zu essen und trinken. Außerdem soll ich deinen Eimer leeren.«
Gyttha stellte das Tablett auf den Tisch und widmete sich dem Eimer. Als sie ihn anhob, erschien er ihr zu leicht, sie wirkte sogar ein wenig verdutzt.
»Du hast doch nicht etwa aus diesem Eimer getrunken, oder? Der ist nämlich für deine Ausscheidungen!«, grinste sie.
»Natürlich nicht! Das ist doch absurd!«, motzte Molly zurück und errötete dabei. Sie wusste nicht, ob sie lachen, oder kotzen sollte. Oh, mein Gott! Ich habe wie ein dummer Köter aus der Toilette gesoffen! Igitt! Zumindest weiß ich jetzt, wo ich meine Blase entleeren kann...
»Na, dann ist ja gut!«, lächelte Gyttha freundlich.
»Wieso sprichst du meine Sprache?«, fragte Molly neugierig. »Bist du auch eine Sklavin?«
»Selbstverständlich komme ich nicht von hier, die wenigsten von uns tun das. Meine Heimat war die Grafschaft York, man verschleppte mich hierher. Eine Sklavin bin ich aber nicht. Ganz unter uns: Hier geht es mir besser, als bei meinem vorherigen Herrn. Hier bin ich frei - vorher war ich nur eine rechtlose Leibeigene«, strich sie sich die Schürze glatt. »Wer sich hier zu wehren weiß, bekommt schnell den Respekt der anderen. Na ja, im Grunde genommen, wollen wir alle nur das Gleiche. Nämlich frei sein und ein selbstbestimmtes Leben führen. Außerdem machen die Jungs nur einen auf dicke Hose. Unser vorheriger Häuptling sprach sich grundsätzlich gegen Vergewaltigungen aus. Ich muss jetzt gehen!«, sagte Gyttha. »Den Eimer wieder auffüllen... Zudem habe ich den ganzen Tag noch unheimlich viel zu tun. Heute kommen eine Menge Gäste und eine Vermählung gibt es am Abend auch noch. Schluss jetzt! Eigentlich dürfte ich gar nicht mit dir reden!«
Schleunigst verließ die blonde Frau die Hütte.
»Warte!«, rief Molly, doch Gyttha war schon weg. »Na, du kommst wieder, schließlich brauche ich meinen Eimer, und dann musst du mir die Wahrheit erzählen!«, knurrte sie angefressen zur Tür.
Misstrauisch beäugte Molly die Speisen. Frisches Brot, etwas Butter und eine Schüssel gefüllt mit Brei. Nach einer Löffelkontrolle (er war sauber!), tunkte Molly den Holzlöffel ein und probierte. »Hmm, Haferschleim mit Honig. Schmeckt wesentlich besser als es klingt!« Sie frühstückte und trank dazu die Milch.
Gyttha kam mit dem Eimer zurück.
»Na, schmeckt´s dir?«, fragte sie freundlich.
»Ja, sehr gut, danke!«, schmatzte Molly. »Gyttha? Darf ich dich etwas fragen?«
»Aber nur kurz, wie gesagt, ich habe viel zu tun und mir fehlt die Zeit zum Schwatzen.«
»Habt ihr noch eine andere Frau gefunden? Sie ist kleiner und zierlicher als ich, mit braunem, lockigem Haar?«
»Gibt es ein zweites Sternenmädchen?«, fragte Gyttha erstaunt.
»Nein, nein... Das war nur so eine Frage. Sprich mit niemandem darüber, was ich mit dir berede. Bitte! Wo bin ich hier eigentlich?« Die Sorge um Esther trieb sie beinahe in den Wahnsinn.
»So so, das war lediglich eine unverbindliche Frage?«, schmunzelte sie amüsiert. »In Ordnung, versprochen. Du bist bei den Vogelfreien. Wir sind frei wie die Vöglein. Das sollte dir Antwort genug sein.«
»Aha, Gesetzlose seid ihr also. Sag mal, wer oder was ist ein Jarl?«
»Sprich mir nicht von ihm! Er ist ein herzloses Monster! Leider auch der Königliche Bezirksverwalter. Still jetzt, wir wollen doch nicht den Teufel an die Wand malen«, beendete Gyttha das Thema.
»Du erwähntest vorhin eine Vermählung«, tastete Molly sich vorsichtig voran. Sie wollte ihre Gesprächspartnerin nicht verärgern. »Wer heiratet denn? Ich frage nur aus reiner Neugierde, ich kenne ja niemanden von euch.«
Gyttha lachte. »Rein zufällig kennst du die Braut. Die bist nämlich du selbst. Heute Abend wirst du mit dem besten aller Krieger vermählt.«
»Moment mal! Habe ich da nicht ebenfalls ein Wörtchen mitzureden, wenn es schon in meinem Leben zu einem epochalen Einschnitt kommt? Eigentlich suche ich mir meinen Partner lieber selbst aus! Ich heirate doch nicht irgendeinen dahergelaufenen, lausigen Halbaffen! Außerdem liebe ich schon jemand anderen!«
»Kindchen! Heiraten hat doch nichts mit Liebe zu tun! Guck mich an! Ich wurde Miðill zur Frau gegeben. Eigentlich konnte ich ihn überhaupt nicht leiden. Aber uns Frauen geht es hier sehr gut! Und mittlerweile stehen wir uns sehr nahe, Miðill ist nicht nur mein Ehegemahl, sondern zugleich mein bester Freund und Gefährte«, holte Gyttha einen Schlüssel aus der Tasche. »Siehst du diesen Schlüssel? Er gehört zu unserm Haus. Nicht Miðill trägt ihn, sondern ich, Gyttha. Wir Frauen tragen die wichtige Verantwortung, hier alles in Ordnung zu halten, wenn unsere Männer unterwegs sind. Ohne uns wären sie nichts! Wir sind die eigentlichen Herrinnen des Dorfes. Nur haben die Kerle es noch nicht kapiert«, lachte sie. »Wir Frauen können, im Gegensatz zu den meisten Männern, lesen und schreiben und vieles, was sie gar nicht wissen. Und wenn du deinem Mann ein paar Kinder schenkst, beginnt er dich zu achten und zu lieben. Denn Kinder sind unser kostbarstes Gut, sie sind unsere Zukunft.«
»So habe ich mir meine Zukunft aber nicht vorgestellt! Als dumme Hausmagd einem Mann dienen, und wie eine Hündin, ein paar Bälger werfen? Das ist nicht meine Welt!«
»Ich hoffe du blutest nicht gerade. Das wäre nicht schön für die Hochzeitsnacht.«
»Was?«, frage Molly entsetzt. »Nein, vielleicht sollte ich sagen, dass ich menstruiere. Das schreckt ihn hoffentlich ab und er will mich nicht.«
»Ihm wäre es wahrscheinlich egal, ein echter Seemann segelt auch durchs Rote Meer«, lachte Gyttha.
»Das ist krank! Wenn er es versucht, trete ich ihn!«, knurrte Molly.
»Ach, Kindchen. Es mag dir jetzt nicht richtig erscheinen, aber du wirst lernen, deinem Mann eine gute Frau zu sein. Vergiss deinen Liebsten. Schenke deinem Mann ein paar Kinder und es wird dir gut ergehen. Darauf hast du mein Wort. Die Kerle mögen dir rau und ungehobelt erscheinen, doch sind sie nicht herzlos.« Gyttha ergriff tröstend Mollys Hand. »Du hast wirklich zarte Hände, wie eine Edelfrau. Dein Mann wird es lieben, damit gestreichelt zu werden«, lächelte sie.
»Wer ist er? Wen soll ich heiraten?«, fragte Molly bedrückt. »Wenn ich schon jemanden heiraten muss, will ich wenigstens wissen, wer dieser Kerl ist!«
»Diese Frage kann ich dir jetzt noch nicht beantworten. Das wissen wir erst heute Abend. Ich muss jetzt an die Arbeit. Ruh dich aus, damit du schön für deinen Bräutigam bist. Nachher sehe ich nach dir und bade dich. Bis dann!«
Gyttha nahm das Tablett mit dem Geschirr und verließ die Hütte. Krampfhaft überlegte Molly, ob sie beim nächsten Mal durch die Tür stürmen sollte, wenn Gyttha wiederkam. Freilich musste sie darauf acht geben, Gyttha nicht zu verletzen, das wäre unrecht, wo sie so freundlich zu ihr gewesen war.
»Es ist zum Auswachsen!« Trotzig starrte Molly auf die so hochgepriesenen, zarten Hände. Wütend ballte sie diese zu Fäusten. »Soll er nur kommen, der Glückliche! Diese Hände können auch anders!«
*
Die Sorgen, mit deren Last sich der Bevorzugte gegenüber dem Unterdrückten entschuldigt, sind eben die Sorgen um Erhaltung der Bevorzugung.
(Franz Kafka)
»Entschuldigt, Herr!«, verbeugte sich der Diener vor dem Jarl. »Gerade eben traf die Brieftaube ein.«
»Dann reiche mir diesen blöden Kackvogel!«
»Verzeiht, Herr. Ich habe ihn nicht bei mir.«
»Bist du völlig bescheuert? Glotze nicht auf meine Stiefel und stehe hier so bekloppt herum! Lauf und bringe ihn mir!«, ranzte der Jarl und gab dem Pagen einen gepfefferten Tritt. Genervt verdrehte der Herr die Augen. »Herrgott noch mal! Wieso werde ich immer mit dem dümmsten Personal abgestraft?!«
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