Andrew Mills
Ein Hellas Bitte!
Ein Tagebuch
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Inhaltsverzeichnis
Titel Andrew Mills Ein Hellas Bitte! Ein Tagebuch Dieses eBook wurde erstellt bei
Prolog Prolog
Teil I - This is Germany calling! Teil I - This is Germany calling!
Willkommen, bienvenue, welcome! Willkommen, bienvenue, welcome!
Riesen-Wiesn
Innsbrucker Ring
Kreise
Entfalten
Steueraufklärung
Sod off
Herr der Lüfte
A deep point
Pulled Around
Left alone
Schirmherr
Weihnachtsfire
Teil II - Home is where the heart is!
Yuletides
Ready Freddy Go
Swiss Style
Teil III - Cricket und Cicadas
Hairier in Bavaria
Der Prozess
Tripped up
Engpass
Wiedersehen
Zum letzten Mal
Ferienzeit, die schönste Zeit
Coffee and Avocado
Black is black
Lost their marbles
Süße Momente
Impressum
Prolog
Die 80er Jahre waren in England eine Zeit des Umbruchs. Mrs. Thatcher sorgte für den Niedergang der übermächtigen Gewerkschaften und privatisierte alles, was sich privatisieren ließ. Es gab Armut, wo früher Bergbau, Stahl- oder Textil-Industrie blühten, und es gab Wachstum bei denen, die bereits einen gewissen Wohlstand hatten. Thatcher führte uns in den Krieg und stellte sich quer gegen ganz Europa. Dennoch war dies der Grundstein für den späteren Wohlstand, nur merkte das kaum jemand.
Punkrock gab dem Protest der Jugend eine Stimme, und tabulose Satiriker verpassten allem, was heilig war, einen Denkzettel. Man konnte den Frust dieser Zeit tatsächlich nur mit bissigem Humor und Selbstironie bewältigen.
Ich wohnte in einer Kleinstadt südlich von Manchester. Eine Stadt, die ziemlich wenig zu bieten hatte. Viele Backsteinhäuser und kleine Fabriken gab es hier, verteilt am Anfang der Pennines, der Hügel-Kette, die nach Newcastle reicht und Nord-England in Ost und West teilt. Vor uns lag die Cheshire Plain, eine grüne Ebene mit großen Bauernhöfen und Landsitzen der früheren Textilbarone. Hinter uns eine ewig weite, hügelige Landschaft, bemustert mit Steinmauern, Schafen, Kühen und Tälern mit kleinen Bächen und Wasserfällen. Im Sommer fruchtbar grün, mit langen warmen Nächten, im Winter Schnee, kalt und mit viel zu kurzen Tagen.
Als dritter von vier Söhnen hatte ich eine sehr glückliche Kindheit. Wir waren nicht reich, aber es fehlte an nichts. Wir hatten kein Auto, sind aber viel gewandert. Wir fuhren zwar nicht jedes Jahr in den Urlaub, aber dafür hatten wir weite Felder vor der Haustür.
Nach der Schulzeit verteilten sich meine Freunde in ganz Großbritannien, erst wegen der Uni und dann wegen ihrer Berufe. Ich studierte Chemie in der Nähe von Newcastle und wollte auf keinen Fall zurück in meine verwaiste Heimat. Es war aber nicht leicht, eine Arbeitsstelle zu bekommen, und so landete ich zu meinem Bedauern 30 Meilen nordöstlich entfernt von meinen Eltern bei einer kleinen Firma.
Wie fast überall in England wurde man bei der Arbeit mit dem Vornamen angesprochen, die Anstrengungen im Job wurden mit viel Sarkasmus bewältigt. Es gab auch einem gesunden Realismus, was die unsichere Zukunft der Firma betraf.
Meine Arbeitsstätte lag dort an der Pennines, wo jedes Antlantik-Tief zunächst auf Land über 300 Meter Höhe traf, die Wolken stauten sich an den Hügeln und es regnete; es war meistens nass und grau. Die Privatisierung der Textilindustrie hinterließ etliche leere Fabriken, die Industriegebiete waren wie Geisterstädte und die Arbeitersiedlungen verarmt. Die Leute waren nett und freundlich, aber ich fand es deprimierend und war einsam.
Ich suchte einen neuen Job, egal, wo. Ein großer deutscher Konzern suchte Ingenieure mit Berufserfahrung und ich wurde zu einem Vorstellungsgespräch nach London eingeladen. Drei Monate später hatte ich ein Stellenangebot in München.
Es war ein großer Schritt, aber ich hatte nichts zu verlieren.
Teil I - This is Germany calling!
Willkommen, bienvenue, welcome!
Montag
Beim Reiseantritt in Manchester herrschten minus 2 Grad und starker Wind. Ich musste meinem Vater beim Enteisen des Autos helfen. Meine Mutter machte sich Sorgen, ob ich warm genug angezogen war, in München wäre es wegen der Nähe zu den Alpen sicherlich kälter, vielleicht gäbe es dort sogar Schnee. Ein langärmliges Unterhemd, Rollkragenpulli, Fleecejacke, Wintermantel, Schal, Handschuhe und Mütze müssten aber sicher reichen, wie sie meinte.
Mein Hab und Gut hatte ich am Vorabend gepackt. Mein Vater schenkte mir den Koffer seines Vaters, einen riesigen Hartschalenkoffer, der mittlerweile etwas deformiert war. Er hatte zwei Klappverschlüsse, die sich nur schließen ließen, wenn sie millimetergenau aufeinander abgestimmt waren. Drinnen steckten Bücher, Kleidung und ein Carepaket aus englischen Teebeuteln, ferner hausgemachte Orangenmarmelade, Coleman's Senfpulver usw. (alles das, was ich vermutlich in München nicht würde kaufen können). Der Koffer war extrem schwer und wurde mit zwei bunten Sicherheitsbändern zusammengeschnürt. Ich sah ein bisschen aus wie auf der ersten Etappe einer Polarexpedition in den 30er Jahren.
Der Abschied am Flughafen war sehr emotional. Als ich durch die Gepäckkontrolle verschwand, flossen viele Tränen.
Ich fliege bis heute nicht gern und hatte also ein sehr mulmiges Gefühl, als das Flugzeug durch die Luft wackelte, als ich die frostbedeckten Hügel und Wälder hinter mir ließ und den Veränderungen entgegeneilte. Ein Flug dauert lange, wenn man beim jedem Luftloch einen Absturz erwartet, und er dauert noch länger, wenn man nicht sicher ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Als wir München anflogen, sah ich für einen kurzen Moment die schneebedeckten Alpen, aber um den Flughafen war alles grün und die Sonne strahlte. Beim Aussteigen herrschten 23 Grad, ich war wohl etwas zu dick angezogen. Ich zog zwei meiner Jacken aus und ging zum Bus. Er fuhr zu einem Gebäude, das mich an Kriegsfilme erinnerte.
Ich lief dann zur Gepäckannahme und suchte nach einem Wagen für meinen schweren Koffer. Ein etwas unfreundlicher Mann stand neben den Tragwagen und schaute mich seltsam an, als ich versuchte, einen Wagen von dem nächsten zu lösen. Irgendwie waren die Dinger in- und miteinander verbunden. Man musste gleichzeitig den Griff zusammendrücken und die Wagen auseinanderziehen. Es dauerte eine Weile, bis ich überhaupt begriff, was zu drücken und was zu ziehen war; als ich sie endlich befreit hatte, war ich ziemlich verschwitzt.
Als ich mich auf dem Weg zum Gepäck machen wollte, hielt mich der Mann auf und verlangte Geld. Vorsichtshalber hatte ich Geld in Manchester gewechselt und hatte mehrere 10-DM-Scheine. Leider wollte er aber keine Scheine, er zeigte mir Münzen, von denen er viele hatte, und wiederholte immer wieder: „Ich kann nicht wechseln!“ Ich versuchte zu erklären, dass er so viel Kleingeld hätte, dass dies doch eigentlich kein Problem sein dürfte, aber er war nicht zu überzeugen und war auch nicht sonderlich freundlich. Hinter mir zogen alle anderen nach müheloser Trennung der Wagen und mit passendem Kleingeld vorbei. Mittlerweile musste der Mann doch so viel Münzen haben, dass er sogar ein 100-DM-Schein hätte wechseln können, aber nicht für mich.
Ich gab auf, stellte mich an das Gepäckband und wartete auf meinen Koffer. Immer wieder wurde ich von anderen Passagieren, die ihre Gepäckstücke über meine Füße oder an meinem Schienbein entlangzogen, weggeschubst. Ich sprang hin und her und versuchte die Kofferschlacht zu überleben.
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