Da Petronius ein erstaunliches Gedächtnis besaß, so wiederholte er einige Absätze des Hymnus und hob die schönsten Wendungen hervor, während Lukanus, der wegen des Hinweises auf seine Eifersucht gar nicht zürnte, sein Schicksal beklagte, das ihn neben einen so großen Dichter gestellt hatte. Auf Neros Antlitz spiegelte sich stille Wonne und bodenlose Eitelkeit, die nicht nur an Dummheit grenzte, sondern ihr schon ganz ähnlich war. Er fing nun selbst an, die Verse hervorzuheben, die ihm als die schönsten erschienen, und tröstete schließlich sogar Lukanus; er sprach ihm Mut zu und sagte, dass jeder nur das sei, als was er geboren werde.
Darauf erhob er sich, um Poppäa hinauszugeleiten, die sich in der Tat unwohl fühlte und sich zurückzuziehen wünschte. Er befahl den Festteilnehmern, Platz zu behalten, seine Rückkehr ankündend. Wirklich erschien er auch bald wieder, um sich an dem ihm gestreuten Weihrauch zu berauschen umd sich an den weiteren Festvorstellungen zu ergötzen, die von ihm, von Petronius oder von Tigellinus zur Verherrlichung des Festes vorbereitet waren.
Von der Decke fielen fortwährend Rosen herab, und der halb trunkene Vinicius sprach zu Lygia: »Ich sah dich im Hause des Aulus an der Fontäne, und ich liebte dich. Götter und Menschen suchen Liebe! Birg dein Haupt an meiner Brust und drücke die Augen zu!«
Lygia erschrak, sie glaubte in einen Abgrund zu versinken, Vinicius, von dem sie Rettung erhofft hatte, er selber war es, der sie in diesen Abgrund zog. Eine unendliche Bangigkeit ergriff sie, und wenn es ihr auch war, als flüstere ihr Pomponias Stimme zu, sie solle sich retten und fliehen, so sah sie sich doch vergebens nach einer Möglichkeit um, von hier zu entfliehen. Sie wußte, dass unter Androhung kaiserlicher Ungnade niemand sich erheben durfte, ehe der Kaiser vom Tisch aufstand, aber wenn auch dem nicht so gewesen wäre, so hätte sie nicht mehr die Kraft dazu besessen.
Das Gastmahl war indessen noch lange nicht beendet, Sklaven trugen immer neue Gerichte auf und füllten unermüdlich die Becher, und vor dem in Hufeisenform aufgestellten Tisch erschienen zwei Athleten, um vor den Gästen einen Ringkampf aufzuführen.
Gleich begann der Ringkampf. Die muskulösen, von Öl glänzenden Gestalten der Ringenden schienen beim Ringkampf einen einzigen Klumpen zu bilden; die Glieder knackten unter der eisernen Umarmung, aus den zusammengepreßten Kinnladen drang ein unheilverkündendes Knirschen. Mit Kennerblick und voll Entzücken folgten die Augen der Römer dem Spiele der schauerlich angespannten Rücken-, Waden- und Armsehnen. Doch der Kampf währte nicht lange, denn Kroton, der Meister und Vorsteher der Gladiatorenschule, galt nicht umsonst für den stärksten Mann im ganzen Reiche, sein Gegner begann immer rascher zu atmen, dann röchelte er, das Gesicht nahm eine bläuliche Farbe an; er warf Blut aus und sank wie leblos zu Boden.
Ein Beifallssturm belohnte das Ende des Kampfspiels, und Kroton stützte den Fuß auf den Rücken des gefallenen Gegners, kreuzte die mächtigen Arme über der Brust und ließ den triumphierenden Blick im Saale umherschweifen. Nach ihm traten Tier- und Tierstimmen-Nachahmer auf, Gaukler und Possenreißer, die aber nur wenig Beachtung fanden, denn der Wein begann den Blick der Zuschauer zu trüben. Das Gastmahl artete allmählich in ein wüstes Trinkgelage, in eine wahre Orgie aus.
Petronius war noch nüchtern. Nero jedoch, der anfangs aus Rücksicht auf seine »Götterstimme« nur wenig getrunken hatte, leerte schließlich Becher auf Becher und berauschte sich ganz und gar. Umsonst versuchte er nochmals einige Strophen aus seiner Dichtung vorzutragen, aber er hatte alles vergessen. Auch die ihn begleitenden Musiker fanden keinen Takt mehr, und allmählich waren alle am Tische, Männer und Frauen, schwer berauscht.
Vinicius war nicht minder betrunken als die andern. Zu der aufflammenden Begierde gesellte sich die Händelsucht, wie immer, wenn er das Maß überschritt, sein bräunliches Antlitz war bleich und seine Zunge unsicher, als er in lautem, befehlendem Tone sagte: »Reiche mir deine Lippen zum Kusse! Heute oder morgen, das ist gleich! Der Kaiser nahm dich dem Aulus, um dich mir zu schenken, verstehst du? Morgen in der Dämmerstünde sende ich um dich, verstehst du?... Reiche mir deine Lippen! ... Du mußt mein sein!«
Er umschlang sie mit seinen Armen, aber Akte schützte sie, und auch Lygia verteidigt sich mit dem Rest ihrer Kräfte. Doch umsonst mühte sie sich, mit ihren Händen seine Arme von sich fernzuhalten. Sein nach Wein riechender Atem fauchte sie an, und sein Gesicht kam dem ihren schon ganz nahe. Sie fühlte sich verloren, doch in diesem Augenblick wurden die Arme des Vinicius von des Mädchens Nacken mit einer Leichtigkeit losgelöst, als ob es die Arme eines Kindes wären, er selbst aber wurde zur Seite geschoben wie ein dürres Zweiglein oder ein welkes Blatt. Vinicius rieb sich die erstaunten Augen, schaute empor und sah die Riesengestalt des Lygiers Ursus vor sich stehen, der ihm vom Hause des Aulus her bekannt war. Der Lygier stand ruhig und sah mit seinen blauen Augen Vinicius so sonderbar an, dass dem jungen Manne das Blut in den Adern stockte. Dann nahm der Sklave sein Königskind auf den Arm und verließ mit gleichen, ruhigen Schritten das Triklinium. Akte folgte gleich nach.
Vinicius saß einen Augenblick wie versteinert, dann aber sprang er auf, um ihm nachzueilen. Doch überwältigt von seiner Trunkenheit begann er zu schwanken. Er strauchelte und stürzte zu Boden.
Der größte Teil der Gäste lag schon unter den Tischen. Andre lagen schlafend auf den Polstern an der Tafel und schnarchten. Und auf diese ganze bekränzte und betrunkene Menge, auf diese allmächtige und doch schon dem Untergange geweihte Welt fiel aus dem goldenen Netz an der Decke Rose auf Rose herab. Draußen graute der Tag.
Niemand hielt Ursus auf, niemand fragte nach seinem Tun. Die Gäste, die noch nicht unter dem Tische lagen, nahmen längst ihre Plätze nicht mehr ein, und als daher die Dienerschaft den Riesen mit einer Festteilnehmerin auf dem Arm erblickte, hielt man ihn für einen Sklaven, der seine ihrer Sinne nicht mehr mächtige Herrin hinwegtrug. Zudem ging Akte mit ihnen, und deren Anwesenheit ließ vollends jeden Verdacht schwinden.
Inzwischen waren sie bis in das kleine Atrium gelangt, das zu Aktes Wohnung gehörte. Hier ließ Ursus das erregte Mädchen auf einer Marmorbank in der Nähe des Springbrunnens nieder, und Akte bemühte sich, sie zu beruhigen, sie davon zu überzeugen, dass ihr hier keine Gefahr drohe, da die betrunkenen Gäste sicher bis zum Abend schlafen würden. Doch Lygia wollte sich lange nicht zufrieden geben; sie preßte beide Hände gegen die Schläfen und wiederholte wie ein Kind immer wieder: »Nach Hause zu Aulus und Pomponia!«
Ursus war bereit. Bei den Toren standen zwar Prätorianer, aber er kam schon durch. Die Soldaten hielten ja die Fortgehenden nicht auf. Vor den Toren waren Sänften, und die Leute begannen scharenweise heimzuziehen. Niemand würde sie zurückhalten. Sie konnten sich unter die Menge mischen und direkt nach Hause zurückkehren. Was die Königstochter befahl, das mußte geschehen. Dazu war er ja hier.
Doch Akte mußte für beide Überlegung haben. Hinauskommen würden sie wohl leicht, und niemand dächte daran, sie aufzuhalten. Aber es war nicht gestattet, aus dem Hause des Herrschers zu entfliehen, und wer es tat, beleidigte seine Majestät. Hinaus konnten sie wohl, doch schon am Abend würde ein Centurio dem Aulus das Todesurteil überbringen und Lygia in den Kaiserpalast zurückschleppen, wonach es keine Rettung mehr für sie gab.
Mutlos ließ Lygia ihre Hände sinken. Ach, es gab keinen Ausweg! Sie hatte nur zu wählen zwischen dem Verderben der Pflegeeltern und ihrem eigenen. Als sie zum Festmahl ging, hatte sie noch Hoffnung, dass Vinicius und Petronius sich für sie verwenden und Pomponia zurückgeben würden. Nun wußte sie genau, dass gerade diese beiden den Kaiser überredet hatten, sie von Pomponia wegzunehmen. Nur ein Wunder konnte sie dem drohenden Abgrund entreißen.
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