Am nächsten Tag, es ist Sonntag, stehe ich schon sehr früh auf, naja, immerhin schon zehn Uhr, aber für meine Verhältnisse, ich bin Langschläfer, ist es das zumindest. Ich dusche schnell, putze mir die Zähne, ziehe mich an und ertappe mich dabei, wie ich zwischendurch immer wieder mein Handy kontrolliere. Nichts, keine Nachrichten, keine entgangenen Anrufe, gar nichts! Nachdem ich die Kaffeemaschine angeworfen habe, kommt Lena in ihrem Schlabberhemd hereingeschlurft und sieht mich missgelaunt an. „Musst du so einen Lärm machen?“, nörgelt sie mich an und setzt sich an unseren kleinen Esstisch. „Hab ich das? Entschuldige, war mir nicht bewusst“, antworte ich überrascht und sehe wieder auf mein stummes Handy. „Warum bist du schon auf? Dich sieht man sonntags doch sonst nie, vor zwölf“, labert sie weiter und gähnt herzhaft. „Konnte nicht mehr schlafen, hab die halbe Nacht, kein Auge zugemacht“, antworte ich schlechtgelaunt und sie nickt verstehend. Ich hasse es, wenn sie das macht, so altklug dabei aussehend, weil sie mich mal wieder durchschaut hat. „Dich hat`s ja ganz schön erwischt, was?“, meint sie prompt. „Blödsinn!“, raune ich ärgerlich und drehe ihr demonstrativ den Rücken zu. „Ach Mäxchen!“, seufzt sie nur. Ich nehme zwei große Tassen von den Haken und gieße den duftenden Kaffee ein. Ohne sie anzusehen, stelle ich beide auf den Tisch und setze mich ebenfalls. Lena schaufelt sich zwei Löffel Zucker in ihren Becher, gießt Milch bis zum Rand dazu und rührt ungerührt dessen, dass der Kaffee nun natürlich überläuft, um. „Hast wieder zu viel reingetan“, meint sie nur und schlürft etwas von der hellen Brühe ab. „Hättest ja vorher umrühren können, vor der Milch“, schnappe ich zurück und sie verdreht genervt ihre braunen Augen. „Hör mal, Maxim, niemand wünscht dir mehr als ich, dass du endlich mal wieder einen abkriegst! Wird echt mal wieder Zeit! Wie lange ist das jetzt her?“, sagt sie überlegend, „fast ein Jahr?“ Ich nicke stumm, während ich in meinem Kaffee rühre. Ich erinnere mich nicht gern, an die Zeit mit Mario zurück, wir waren immerhin zwei Jahre zusammen und ich war wirklich in ihn verliebt. Bis ich herausfand, dass er mich die ganze Zeit über, betrogen hatte. Auch noch mit einer Frau! Er hat ein regelrechtes Doppelleben damals geführt, pendelte zwischen uns beiden hin und her und ich Idiot habe ihm in meiner Verliebtheit natürlich jede seiner Ausreden geglaubt. Wenn er mal wieder eine längere `Dienstreise´ machen musste oder ein wichtiges `Seminar´, an den Wochenenden hatte. Ja, bis sie schwanger von ihm wurde und er mir endlich alles beichtete. Ich war völlig geschockt damals und meine kleine, heile Welt zersprang in tausend Stücke, genau wie mein armes, junges Herz. Danach hatte ich erst einmal die Schnauze voll, von Beziehungen und die ersten Monate zog ich mich völlig zurück, doch zum Glück, hatte ich Lena. Sie war in dieser schweren Zeit immer für mich da, Tag und Nacht, hat sie sich mein Gejammer angehört und mir Mut zugesprochen, mich irgendwann einfach mitgeschleppt, auf irgendwelche Events oder Konzerte, in Clubs und Bars. Und schließlich gelang es ihr, mich aus meinem Schneckenhaus hervorzulocken und mich wieder für das Leben zu begeistern. Ich weiß wirklich nicht, was aus mir geworden wäre, ohne sie und ihre Hartnäckigkeit und dafür liebe ich sie bedingungslos. „Elf Monate und vierundzwanzig Tage“, antworte ich dann doch, „nächste Woche, ist es genau ein Jahr her, dass wir getrennt sind.“ Sie ergreift meine Hand und drückt sie aufmunternd. „Dieser Arsch ist es nicht wert, dass du auch nur noch einen Gedanken an ihn verschwendest! Entschuldige bitte, ich hätte nicht davon anfangen dürfen, war blöd von mir! Aber der Typ gestern, kam mir irgendwie nicht koscher vor, ehrlich! Der sah echt schnucklig aus, echt hammermäßig und ich kann dich ja verstehen, dass du auf ihn abfährst, aber bitte, stürze dich nicht gleich wieder in was rein!“ „Tue ich doch gar nicht“, sage ich leicht aufgebracht, „und wahrscheinlich, meldet der sich gar nicht! Du hast vollkommen recht, er ist echt hammermäßig und was will so einer schon von einem Durchschnittstypen, wie mir!“, meine ich schmollend und sie rollt wieder mal mit ihren Augen. „Mäxchen! Du bist `ne echte Sahneschnitte! Du siehst echt heiß aus und wenn du hetero wärst, dann würden die Mädels wahrscheinlich Schlange stehen, bei dir! Hm?“, raunt sie lächelnd und ich quittiere es mit einem schweren Seufzer. „Mädels! Ich steh aber auf Kerle! Und? Siehst du hier irgendeinen, der Schlange steht? Mich ruft ja nicht mal einer an“, schmolle ich erneut und sie lacht herzlich. „Dann geh doch mal wieder in `nen Schwulenclub! Du wirst sehen, da schlägst du ein, wie `ne Granate und kannst dich vor lauter Dates und Anrufen, gar nicht mehr retten!“, schlägt sie mir vor, doch ich schnaube nur zynisch. Ich war schon ewig nicht mehr in einer Schwulenbar, eben, seit meiner Trennung von Mario. „Keinen Bock! Und außerdem läuft es da meistens eh nur, auf das Eine raus!“, erwidere ich genervt. „Na und? So ein kleiner Quickie, zwischendurch, wäre doch gar nicht schlecht! Würde dir sicher mal guttun! Hast du nicht langsam die Schnauze voll, vom ewigen Handbetrieb? Und, wer weiß? Vielleicht triffst du ja da doch einen, der was Festes sucht, kann man nie wissen“, kontert sie und ich sehe sie für einen Moment schockiert an. Klar, mache ich es mir hin und wieder selbst, aber darauf angesprochen zu werden, auch noch von seiner Mitbewohnerin, berührt mich dann doch ziemlich peinlich. „Maxim“, fährt sie fort, „du musst einfach mehr rausgehen! Ohne mich! Versteh mich nicht falsch, ich bin gerne mit dir unterwegs, aber so kriegen wir nie einen ab! Die denken doch alle, dass wir ein Paar sind! Wir gehen zusammen ins Kino, zum Essen und wenn wir in einem Club sind, tanzen wir miteinander! Wir hängen andauernd, zusammen!“ Ich sehe sie fast beleidigt an und kann es kaum glauben, was sie da eben gesagt hat. Doch dann muss ich mir eingestehen, dass sie irgendwie schon recht damit hat. Selbst hier im Haus, denken die meisten von unseren Nachbarn, dass wir ein Paar sind. So gut wie nie, verlässt einer von uns beiden die Wohnung, ohne den anderen. Schon gar nicht, an den Wochenenden. Wir gehen sogar gemeinsam einkaufen! Oh Mann, sie hat recht, irgendwas, muss sich ändern! Ich bin jetzt schon fünfundzwanzig, schließe in ein paar Wochen mein Studium als Grafikdesigner ab und habe sogar schon einen megatollen Job in Aussicht. „Und, wie stellst du dir das vor?“, frage ich trotzdem, „gehen wir in Zukunft, getrennte Wege?“ „Max! Jetzt spinn nicht rum! Natürlich nicht! Das hat doch nichts mit unserer Zukunft als Freunde zu tun! Ich meinte doch nur, wenn du ständig mit mir rumhängst und dass auch noch in normalen Kneipen, wie sollen dann die Typen, auf die du stehst, an dich rankommen? Steht schließlich nicht auf deiner Stirn geschrieben, dass du schwul bist!“ „Dafür habe ich ja dich“, knurre ich sie über den Rand meiner Tasse an, „hast es dem Typ von gestern ja auch gleich unter die Nase gerieben! Musste das sein?“ „Naja, er hat doch damit angefangen!“, verteidigt sich Lena, „und da dachte ich, es wäre ok! Da wusste ich ja noch nichts, von seinem angeblichen `Vater´!“ „Fängst du schon wieder davon an? Und überhaupt, hab ich jetzt echt keinen Bock mehr, darüber zu reden! Der ruft sowieso nicht an, also vergiss es, ja“, werfe ich ihr noch an den Kopf, bevor ich aufstehe und schleunigst unsere kleine Küche verlasse. Ich habe echt keinen Bock mehr, mir diesen Mist weiter anzuhören und verziehe mich in mein Zimmer. Wieso denkt sie eigentlich, dass ich unbedingt einen Freund brauche? Sehe ich etwa notgeil aus, denke ich schmollend und werfe mich aufs Bett. Wahrscheinlich, wegen gestern! Ach, er war aber auch süß, Nathaniel! Der Name zergeht mir förmlich auf der Zunge und ich kann einfach nicht aufhören, an ihn zu denken. Seufzend träume ich noch eine Weile vor mich hin, raffe mich aber doch noch einmal auf und schlurfe zurück in die Küche, weil mein Magen mittlerweile heftig knurrt. Von Lena ist weit und breit nichts zu sehen und sie antwortet auch nicht, als ich nach ihr rufe. Gut, dann eben nicht! Mache ich mir halt alleine etwas zu essen! Ich hole die Bratpfanne aus dem Schrank, mache mir ein paar Rühreier mit Speck und setze mich damit vor den Fernseher. Ich esse alles auf, bringe meinen Teller zurück in die Küche und spüle ab, auch unsere Kaffeetassen, die Lena mal wieder nur neben das Spülbecken gestellt hat. Wer braucht denn hier wohl einen festen `Freund´? Ha! Wohl eher Lena, damit sie mal lernt, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen! Denke ich trotzig, während ich das abgetrocknete Geschirr einräume. Eigentlich kann sie doch froh sein, dass sie mich hat! Und wirklich, ich mache den Großteil des Haushaltes, mache die Wäsche, auch ihre, bügle sogar, spüle grundsätzlich ab und das Kochen übernehme meistens auch ich! Nur zu, Lenchen, such dir doch irgendeinen Kerl, mal sehen, ob der dann auch deine Schlüpfer wäscht, fauche ich in Gedanken und hänge das Geschirrtuch ordentlich zum Trocknen auf. Inzwischen ist es zwei Uhr nachmittags und ich renne wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung und habe tatsächlich angefangen, Staub zu wischen. Plötzlich geht mein Handy und ich springe ihm regelrecht entgegen. Oh! Ist nur Mama, was will die denn? Klar, geht’s mir gut, alles palletti! Ja, ich bereite mich natürlich, auf die Prüfungen vor und natürlich werde ich mich melden, sobald ich die Ergebnisse habe, ja Lena geht es prächtig und ja, wir werden bald mal wieder zu Besuch kommen, leiere ich herunter und fühle mich total scheiße, als ich das Gespräch beende. Obwohl meine Eltern wissen, dass ich schwul bin, hoffen sie tatsächlich noch darauf, dass Lena und ich ein Paar sind! Wobei wir wieder beim Thema wären und ich mich noch schlechter fühle! Scheiße! Lena hat definitiv recht, so kann es nicht weitergehen! Sogar meine Eltern nehmen mir nicht ab, dass ich auf Kerle stehe und zwar ausschließlich! Sehe ich vielleicht zu hetero aus? Nachdenklich betrachte ich mein Spiegelbild, dass mir entgegenstarrt, als ich vor unserem großen Garderobenspiegel stehe. Ich bin ein Meter sechsundachtzig groß, sehr schlank, sportlich gebaut und eigentlich sehe ich ganz passabel aus. Mein dunkelbraunes Haar trage ich kurz und ordentlich frisiert, was Lena ein wenig langweilig findet und seit der Trennung von Mario habe ich mir einen kurzen, gepflegten Vollbart wachsen lassen, der mich tatsächlich männlicher und reifer aussehen lässt. Die meisten Leute schätzen mich seither grundsätzlich ein paar Jahre älter, aber das macht mir nichts aus. Im Gegenteil sogar, denn seither fühle ich mich irgendwie ernster genommen und meinem angeschlagenen Selbstbewusstsein kam das nur zugute. Früher habe ich mein Gesicht immer als zu weich empfunden, mit meinen vollen Lippen und hohen Wangenknochen und meinen langen, schwarzen Wimpern, die mir einen leicht melancholischen Blick verleihen, wenn ich mein Gegenüber mit meinen fast schwarzen Augen ansehe. Mario sagte mir immer wieder, dass es genau dieser Blick gewesen wäre, warum er sich in mich verliebt hätte und er meine Zartbitterschokoaugen so sehr lieben würde. Arschloch! Denke ich mal wieder und seufze laut. Er war einen halben Kopf kleiner als ich, hat es geliebt sich an meine starke Schulter anzulehnen und ich habe es meinerseits genossen, ihm Halt zu geben und zu umsorgen. Bei mir konnte er diese andere Seite, die in ihm steckte, voll ausleben, sich einfach nur treiben lassen, sich um nichts kümmern, auch nicht im Bett, denn da war er stets der passive Part von uns und mir war das alles nur recht. Wie habe ich es geliebt, ihn zu verwöhnen und es ihn mit allen Sinnen genießen zu lassen, bei mir durfte er einfach nur mein kleiner Schnuffel sein, geht es weiter in meinem bescheuerten Hirn herum und ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Was ist nur los, mit mir? Jetzt ist aber Schluss, du Idiot, schalt ich mich selbst, wische nochmal kurz über den Spiegel und bringe das Staubtuch zurück ins Bad. Wütend auf mich selbst, beschließe ich einen Spaziergang zu machen und zwar ohne Handy! Ha! Bin ich denn blöd, darauf zu warten, ob der Typ von gestern anruft? Ist mir doch egal! Naja, einen Blick könnte ich vielleicht noch darauf werfen, bevor ich gehe. Kann ja sein, dass er eine SMS geschickt hat und ich es nicht mitbekommen habe, als ich auf dem Klo war… Nichts! Nicht mal Lena, hat mir geschrieben! Frustriert schalte ich das Mistding aus, lege es zurück auf den Tisch und schnappe mir meine Jacke. Als ich die Tür hinter mir zuziehe, denke ich: Geschieht euch recht!
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