Ich kann ihn nur anstarren und spüre, dass mir fast schwindelig wird, bei diesem Anblick. Seine Augen leuchten geradezu in einem undefinierbaren Graublau-Grünton und sein sinnlicher Mund lädt einen förmlich ein, ihn darauf zu küssen. Lena hakt sich plötzlich bei ihm unter, zieht ihn einfach zum nächsten Bild weiter und ich tapse alleingelassen hinterher. Wir stehen nun vor einem völlig schwarzen Bild und Lena sieht uns an. „Was empfindet ihr dabei?“, fragt sie. Ich kann nur mit den Achseln zucken, doch er, der Verräter, nickt. „Leere irgendwie, aber auch Furcht“, antwortet er und beißt sich auf die volle Unterlippe. „Es heißt: `Innere Leere!´“, sagt Lena und zieht ihn weiter. Wir stehen vor einer völlig grellgelben Leinwand. „`Schrei´, heißt dieses Gemälde“, sagt sie und weiter geht es zum nächsten. Es zeigt eine grüne Fläche, doch dieses Mal in verschiedenen Tönen, aus hellen und dunklen Grüntönen, die harmonisch in einander übergehen. „`Hoffnung´, sagt Lena und sieht uns an. Wieder lächelt er und dieses Mal erreicht es auch seine Augen. „Ich glaube, jetzt habe ich es begriffen“, meint er und strahlt sie an. „Lena“, erwidert sie nur und streckt ihm ihre rechte Hand entgegen. „Nathaniel“, antwortet er darauf, aber wie! Er spricht seinen Namen englisch aus und bei dem TH, blitzt seine Zungenspitze zwischen seinen ebenmäßigen weißen Zähnen hervor und ich bin einfach nur hin und weg. „Und, ich bin schwul“, höre ich ihn wie aus der Ferne sagen und registriere es gar nicht richtig. „Ich habe mir angewöhnt, lieber gleich mit offenen Karten zu spielen, wenn ich eine hübsche Frau kennenlerne“, sagt er weiter. „Echt? Na super!“, meint Lena begeistert und schüttelt seine Hand. „Mäxchen hier, nämlich auch!“ Hat sie das wirklich gesagt? Hatte ich schon erwähnt, dass sie manchmal einfach nur unmöglich ist? Fassungslos starre ich sie an und spüre, wie ich erneut rot anlaufe. „Na dann, will ich mal nicht länger stören“, sagt sie grinsend, „lasst die Bilder noch auf euch wirken!“, meint sie nur und haut einfach ab. Ich wage es kaum aufzusehen und trinke erstmal mein Glas leer. „Ähm, ja“, ist alles, was ich wie ein Idiot von mir gebe. „Mäxchen?“, fragt er und grinst amüsiert. „Eigentlich Maximilian, aber meine Freunde nennen mich Maxim“, antworte ich und muss mich räuspern. „Außer Lena, wie mir scheint! Ist sie deine Schwester?“, fragt er, nimmt mir mein leeres Glas ab und tauscht es gegen ein volles, dass er von einem Tablett angelt, als eine Kellnerin vorbeischwebt. Ich schüttle meinen Kopf. „Nein, wir teilen uns eine kleine Wohnung und sind gut befreundet, sehr gut, sogar, naja, irgendwie, sind wir schon ein wenig, wie Geschwister“, antworte ich ein wenig stammelnd und komme mir erneut, wie ein Trottel vor. Wieso macht er mich eigentlich so nervös? Ist doch sonst nicht meine Art, eigentlich bin ich ein sehr offener und gesprächiger Typ, aber bei ihm habe ich irgendwie eine Bremse im Kopf. Mein Hirn scheint nicht mehr richtig zu funktionieren und einige Augenblicke lang, starre ich ihn nur wieder an. Er blinzelt plötzlich und weicht meinem Blick aus, indem er leicht verlegen nach unten sieht und ich spüre, wie meine Hände auf einmal schweißnass werden. Das ist mir zum letzten Mal als pubertierender Teenie passiert und ich komme mir in diesem Moment auch genauso vor. „Ja, ähm, kommst du öfter hier her?“, frage ich. Was rede ich denn da? Was für eine blöde Frage, wir sind schließlich in einer Galerie und nicht in einer Kneipe! Prompt schüttelt er seinen hübschen Kopf. „Nein, ich bin mit jemandem da“, antwortet er und trinkt einen größeren Schluck. Wie auf Kommando ruft just in diesem Augenblick jemand seinen Namen und er dreht sich danach um. „Oh“, mache ich nur und sehe in die gleiche Richtung. Ein Mann um die fünfzig steht im Eingangsbereich und winkt ihm auffordernd zu. Sag was Vernünftiges, schießt es mir durch mein ratterndes Hirn, gleich ist er weg! „Dein Vater?“, brabble ich hervor. Nathaniel sieht mich kurz überrascht an, dann grinst er und nickt. „Ja, ist mein alter Herr sozusagen!“ Ich schnaufe unwillkürlich erleichtert auf. „Aha! Ja, ähm, hast du Lust, noch was trinken zu gehen? Mit mir? Und Lena, nach der Vernissage, vielleicht?“ Trottel, wieso Lena? Er lächelt mich richtig nett an. „Sehr gerne, aber ich kann leider nicht! Mein Vater“, er macht eine kleine Pause, „er ist nicht oft, in der Stadt und wir haben später noch sowas wie ein Familientreffen“, antwortet er und wirkt nun irgendwie verlegen. „Aber Morgen, vielleicht?“, sagt er fast schüchtern und ich kann es kaum glauben. Habe ich wirklich richtig verstanden? Dieser süße Wahnsinnstyp möchte sich echt mit mir verabreden? Ich nicke nur, schnell, viel zu schnell und strahle ihn an, wie ein Honigkuchen Pferd. „Nathaniel!“, schallt es von seinem Vater ziemlich ungeduldig herüber, „nun komm endlich!“ Nathaniel hebt kurz seine Hand, nickt ihm zu und sieht mich erneut an. „Gibst du mir deine Nummer? Dann ruf ich dich an“, sagt er schnell und zückt sein Handy. „Ja, klar“, antworte ich, ziehe meines ebenfalls aus meiner ausgebeulten Jackentasche und lese ihm die Zahlen vor. Normalerweise habe ich meine Nummer im Kopf, aber irgendwie ist mein Hirn heute wie leergefegt. Er tippt sie ein und schenkt mir nochmal sein wundervolles Lächeln. „Ich muss“, sagt er leise, „also, bis dann, ja?“ Wieder kann ich nur nicken und starre ihm doof grinsend hinterher, als er auf seinen Vater zu schlendert, der ihm seltsam besitzergreifend anmutend einen Arm um die Taille legt und an sich zieht. Nathaniel versteift sich augenblicklich und rückt sogar ein kleines Stück von ihm weg, fällt mir noch auf, da hakt sich Lena plötzlich bei mir ein. „Und? Was geht?“, fragt sie aufgeregt und sieht erwartungsvoll zu mir hoch, da sie trotz ihrer hohen Absätze noch immer etwas kleiner ist, als ich. „He, Erde an Maxim! Hallo? Nun hör schon auf, ihn so anzuglotzen! Und mach den Mund zu, du sabberst gleich!“, raunt sie amüsiert und stößt mich mit ihrem Ellenbogen in die Rippen. „Hm?“ „Hör auf zu sabbern! Mann! Echt süß, der Kleine, aber noch lange kein Grund, ihn so anzuschmachten!“, meint sie und zwickt mich in den Arm. „Aua! Mensch Lena, das hat wehgetan“, sage ich leicht schnippisch und sehe sie endlich an. „Musste sein, du warst ja richtig weggetreten! So kenne ich dich gar nicht, was ist denn los, mit dir?“, will sie wissen und ich grinse sie dämlich an. „Nichts! Er wollte meine Nummer und will mich anrufen“, sage ich verzückt zu ihr, dann muss ich einfach erneut zu ihm hinsehen. „Echt? Ist ja supi gelaufen! Und wer ist der Typ da, bei ihm?“ „Sein Vater“, antworte ich beinahe zärtlich, „ist das nicht süß?“ „Der sieht ihm aber gar nicht ähnlich“, meint Lena skeptisch den Kopf zurücknehmend. Und wirklich, sie hat recht. Erst jetzt fällt auch mir auf, wie unterschiedlich die beiden aussehen. Der Mann, der Nathaniel noch immer im Arm hält, ist etwas kleiner als er und wirkt leicht untersetzt. Sein dunkles Haar ist schon leicht ergraut und wird am Oberkopf schon etwas schütter und auch vom Gesicht her, kann ich keinerlei Ähnlichkeiten zwischen ihnen feststellen. „Na und? Soll vorkommen, vielleicht geht er ja mehr, nach seiner Mutter“, erwidere ich und wundere mich selbst, über den schnippischen Unterton in meiner Stimme. Nathaniel sieht noch einmal zu uns her, lächelt irgendwie schüchtern, zwinkert dann aber nochmal schelmisch und folgt seinem Vater brav nach, der bereits die Türe für ihn aufhält. „Er hat mich angelächelt“, flöte ich, „und mir zugezwinkert!“ „Ja, du Esel und jetzt komm wieder runter! Der hat dich verarscht, merkst du das nicht? Das war nie und nimmer, sein Vater! Jede Wette!“, höre ich sie ziemlich hart sagen, doch ich fühle mich, wie auf Wolke sieben und starre immer noch zum Ausgang hin, obwohl er längst aus meinem Blickfeld verschwunden ist.
Читать дальше