Meinst, i sollt mir in der schönen Gegend, drei Stiegen hoch, unter an muffigen Dach, mit dir a Rendezvous geben, wann ich net wißt, daß das für uns zwei, ans wie’s andere, gefährlich is. Ibrigens hab’ i ja, Gott sei Dank, weil i halt immer a Glück haben muß, wann i schon amal auf Schleichwegen geh, auf der Treppen den Nathanael Jettel troffen, bin dem Herrn Hofschauspieler bei ei’m Haar direkt in die Arme g’rannt. Wird schon sorgen, daß das nicht unter uns bleibt, daß i di b’sucht hab.
Direktor Hassenreuter
Ich muß das Datum verschrieben haben: der Mensch behauptet, ha ha ha, ich hätte ihn ganz ausdrücklich für heut nachmittag herbestellt.
Alice Rütterbusch
Das war aber net etwa die einzige Bassermannsche Gestalt, der i auf die sechs Treppenabsätz begegnet bin, und was mir die lieben kleinen Kinderln, die auf die Stufen rumkugeln, nachgeschrien haben, das is dermaßen unparlamentarisch, das is von solche Kröten, noch net drei Käs’ hoch sind, schon die allergrößte Gemeinheit, die mir noch vorkommen is.
Direktor Hassenreuter
lacht, wird dann ernst.
Ja, siehst du: daran gewöhnt man sich: was so hier in diesem alten Kasten mit schmutzigen Unterröcken die Treppe fegt und überhaupt schleicht, kriecht, ächzt, seufzt, schwitzt, schreit, flucht, lallt, hämmert, hobelt, stichelt, stiehlt, treppauf treppab allerhand dunkle Gewerbe treibt, was hier an lichtscheuem Volke nistet, Zither klimpert, Harmonika spielt — was hier an Not, Hunger, Elend existiert und an lasterhaftem Lebenswandel geleistet wird, das ist auf keine Kuhhaut zu schreiben. Und dein alter Direktor, last not least , rennt, ächzt, seufzt, schwitzt, schreit und flucht, ha ha ha, wie der Berliner sagt, immer mitten mang mit. Ha ha ha, Mädel, mir ist es recht dreckig gegangen.
Alice Rütterbusch
Weißt ibrigens, wen i, wie i grad auf den Bahnhof Zoologischer Garten zusteuer, troffen hab? Den alten guten Fürst Statthalter hab i troffen. Und sixt, unverfroren wie i amal bin, bin i zwanzig Minuten lang neben ihm hergschwenkt und hab ihn in an langen Diskurs verwickelt und, auf Ehre, Harro, wie ich dir sag, so is es buchstäblich tatsächlich g’schegn. Auf’n Reitweg is plötzlich Majestät mit großer Suite vorübergritten. I denk, i versink! Und hat übers ganze Gesicht gelacht und Durchlaucht so mit dem Finger gedroht. Aber g’freit hab i mi, das kannst mir glauben. Aber jetzt kommt d’Hauptsach. Jetzt paß auf. — Ob i mi freun tät, hat mi Durchlaucht plötzli g’fragt, und ob i wieder nach Straßburg mecht, wann der Direkter Hassenreuter das Theater tät wieder übernehmen. Na weißt: beinah hab i an Sprung getan!
Direktor Hassenreuter
Er wirft seinen Überzieher ab und steht in seinen Orden da.
Du hast wahrscheinlich bemerken müssen, daß die kleine Durchlaucht vorzüglich gefrühstückt hat. Sessa! Wir haben zusammen gefrühstückt. Wir haben ein exquisites kleines Herrenfrühstück beim Prinzen Ruprecht draußen in Potsdam gehabt. Ich leugne nicht, daß sich vielleicht eine Wendung zum Guten im miserablen Geschicke deines Freundes vorbereitet.
Alice Rütterbusch
Liebster, wie a Staatsmann, wie a Gesandter, siehst du ja aus.
Direktor Hassenreuter
Ah, du kennst diese Brust voll hoher und höchster Orden noch nicht!? Klärchen und Egmont! Hier magst du dich satt trinken! —
Neue Umarmung.
Carpe diem! genieße den Tag! Sekt, kleine Naive, steht allerdings auf dem jetzigen Repertoire deines alten Direktors, Erweckers und Freundes nicht! — (Er öffnet eine Truhe und entnimmt ihr eine Flasche Wein.) — Aber dieser Stiftswein ist auch nicht von Pappe! — (Er zieht den Korken. Die Türschelle geht.) — Was? — Pst! — Wer hat denn die ungeheure Dreistigkeit, am Sonntag nachmittag hier anzuklingeln? — (Es klingelt stärker.) — Kleine, zieh dich doch mal in die Bibliothek zurück. — (Alice eilt in die Bibliothek ab. Es klingelt wieder.) — Donnerwetter noch mal, der Kerl ist ja irrsinnig. — (Er eilt nach der Tür.) — Gedulden Sie sich oder scheren Sie sich! — (Man hört ihn die Tür öffnen.) — Wer? Wie? „Ich bin’s, Fräulein Walburga?“ Was? Fräulein Walburga bin ich nicht. Ich bin nicht die Tochter! Ich bin der Vater! Ach, Sie sind’s, Herr Spitta! Gehorsamer Diener, ich bin der Vater! Ich bin der Vater! Was wünschen Sie denn?
Im Gange erscheint wiederum der Direktor, geleitet von Erich Spitta, einem einundzwanzigjährigen jungen Menschen, der Brille und Zwicker trägt und übrigens scharfe und nicht unbedeutende Züge hat. Spitta gilt als Kandidat der Theologie und ist entsprechend gekleidet. Er hält sich nicht gerade, und seiner Körperentwicklung ist die Studierstube und mangelhafte Ernährung anzumerken.
Direktor Hassenreuter
Wollten Sie meiner Tochter Walburga hier auf dem Speicher Privatstunde geben?
Spitta
Ich fuhr im Pferdebahnwagen vorüber und glaubte wirklich, ich hätte Fräulein Walburga unten durch das Portal in’s Haus eilen sehen.
Direktor Hassenreuter
Gar keine Ahnung, mein lieber Spitta. Meine Tochter Walburga ist augenblicklich mit ihrer Mutter in der englischen Kirche, ich glaube, zu einem liturgischen Gottesdienst.
Spitta
Dann verzeihen Sie vielmals, wenn ich gestört habe. Ich nahm mir die Freiheit, heraufzukommen, weil ich mir sagte: eine Begleitung in dieser Gegend, vielleicht auf dem Rückwege nach dem Westen, wäre Fräulein Walburga am Ende nicht unangenehm.
Direktor Hassenreuter
Wohl, wohl, aber sie ist nicht hier, bester Spitta. Ich bedauere sehr. Ich selber bin nur zufällig hier: der Post wegen! und ich habe auch leider andere dringende Sachen vor. — Wünschen Sie sonst was, mein guter Spitta?
Spitta putzt seinen Kneifer und gibt Zeichen von Verlegenheit.
Spitta
Man gewöhnt sich nicht gleich an die Dunkelheit.
Direktor Hassenreuter
Sie benötigen vielleicht Ihr Stundengeld. Schade: ich habe leider die Gewohnheit, nur mit einem Notpfennig in der Westentasche auf die Straße zu gehn. Ich muß Sie schon bitten, sich zu gedulden, bis ich wieder in meiner Wohnung bin.
Spitta
Hat durchaus keine Eile, Herr Direktor.
Direktor Hassenreuter
Ja, das sagen Sie so: aber ich bin ein gehetztes Wild, guter Spitta ...
Spitta
Und doch möchte ich, da ich dieses Zusammentreffen wirklich als eine Art höherer Fügung ansehen muß, um eine Minute Ihrer kostbaren Zeit bitten. Dürfte ich, kurz, eine Frage tun?
Direktor Hassenreuter
mit den Augen auf der Uhr, die er gezogen hat.
Genau eine Minute. Die Uhr in der Hand, bester Spitta.
Spitta
Frage und Antwort wird, denk’ ich, kaum von so langer Dauer sein.
Direktor Hassenreuter
Also los!
Spitta
Habe ich wohl Talent zum Schauspieler?
Direktor Hassenreuter
Um Gottes willen, Mensch, sind Sie denn irrsinnig? — Verzeihen Sie, bester Herr Kandidat, wenn ich in einem solchen Fall bis zur Unhöflichkeit außer dem Häuschen bin. Es heißt zwar natura non facit saltus , aber Sie haben da einen unnatürlichen Sprung gemacht. Da muß ich mal erst zu Atem kommen. Und nun Schluß davon! Denn glauben Sie mir, wenn wir beide jetzt über diese Frage zu diskutieren anfangen, so würden wir in drei bis vier Wochen, sagen wir Jahren, darüber noch nicht zum Schluß gekommen sein.
Sie sind doch Theologe, mein Bester, und stammen aus einem Pastorhaus: wie kommen Sie denn auf solche Gedanken? wo Sie doch Konnexionen haben und Ihnen die Wege zu einer behaglichen Existenz geebnet sind.
Spitta
Ja, das ist eine lange innere Geschichte, eine lange Geschichte schwerer innerer Kämpfe, Herr Direktor, die allerdings bis zu dieser Stunde nur mir bekannt und also absolutes Geheimnis gewesen sind. Da hat mich das Glück in Ihr Haus geführt und von diesem Augenblick an fühlte ich, wie ich dem wahren Ziel meines Lebens näher und näher kam.
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