1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Der Weg wurde jetzt zunehmend schlechter. Der Damm, auf dem er bisher geführt hatte, endete nach kurzer Zeit und nun bewegten sie sich auf einer weiten Ebene, die durch mageren Graswuchs gekennzeichnet war, Gras, das jetzt nur schütter und braun stand, weil es lange nicht vom Nilwasser getränkt war. Hochsommer war es und die Menschen warteten sehnsüchtig darauf, dass der Nil über seine Ufer trat, dann würden auch diese Pflanzen sich sehr schnell erholen und grün werden. Einige Male begegneten sie hebräischen Hirten, die kleine Herden von mageren Schafen hüteten, so mager, dass sie außer dem Fell und den Knochen aus Nichts zu bestehen schienen. Reuben sprach sie an, um ihnen seinen Weg und seinen Auftrag zu erklären. Voll Stolz erzählte er ihnen, er habe den Auftrag, diesen ägyptischen Edlen zu führen, wohin, dürfe er nicht sagen. Einmal kamen sie an einem verendeten Schaf vorbei, das die Hirten einfach hatten liegen lassen. Schon von weitem spürten sie den Verwesungsgestank und passierten den aufgedunsenen Kadaver, indem Moses sich ein Tuch vor den Mund hielt, das aber den Gestank nicht abhielt.
Nach mehr als einer Stunde kamen sie an eine Ansammlung von Hütten, vor denen hebräische Frauen gingen, saßen oder standen. Schon als sie sich näherten, kamen ihnen Scharen von Kindern entgegen, schreiend, quietschend und laufend, um zu sehen, wer da in ihr Dorf kam. Als sie Moses sahen, der aufrecht, gerade und vornehm hinter Reuben ging, verstummten sie, bildeten ein Spalier bis zu den ersten Hütten, die am Rande des Dorfes standen und betrachteten den Ankömmling neugierig, mit erschreckten Gesichtern. Noch nie hatten sie gesehen, wie ein ägyptischer Edler zu Fuß in ihr Dorf kam. Sonst kamen sie mit Streitwagen, in Hundertschaften, um die Hebräer für angebliche Verbrechen zu strafen oder um Arbeiter zu suchen, die geflüchtet waren.
Langsam und würdevoll schritt Moses auf das Dorf zu und sah die ängstlichen Gesichter der Kinder und die Feindseligkeit bei den Erwachsenen.
„Nun, Reuben, meinst du, dass Amram in diesem Dorf wohnt?“ fragte er seinen Begleiter
„Warte, ich frage eine von diesen Frauen hier, am besten bleibst du hier auf der Straße und ich gehe zu ihnen.“
Reuben ging auf eine Gruppe von Hebräern zu, die, in dunkle schmutzige Wollumhänge gekleidet, vor einer Hütte standen, zu ihnen herübersahen und tuschelten.
Moses sah sich um. Das Dorf enthielt ungefähr fünfundzwanzig dieser Hütten, primitiv errichtet, aus einem Gestell aus Palmenstämmen, und mit Wedeln von Palmen- und Papyrusblättern belegt. Sie waren auf dem blanken Boden errichtet, Moses schauderte, wenn er daran dachte, wie es hier aussehen würde, wenn der Nil kam. Überall auf dem Weg zwischen den Hütten lag Unrat herum, Abfälle von Lebensmitteln, auch magere Fleischreste, darüber Wolken von Ungeziefern, Mücken, dicke Fliegen, Wespen, Heuschrecken, brummend, summend durcheinander fliegend und sich dann wieder niederlassend. Ratten huschten über den Weg auf der Suche nach Nahrung und jetzt, wie Moses Blick von einer davonhuschenden Ratte angezogen war, die er verfolgte, glaubte er hinter einer Hütte das Gesicht eines jungen Mannes zu erblicken, der aber schnell zurückgezogen wurde, so schnell, dass Moses nicht sicher war, ob er den Hebräer gesehen hatte.
„Nein, Amram kennt hier niemand, Herr", meldete Reuben, der von seinen Erkundigungen zurückgekommen war, „aber die Frauen haben Angst um dich. Du siehst reich aus, in deinem vornehmen Leinenkleid, und gerade heute sind drei von einer hebräischen Jugendbande im Dorf, die von den Ägyptern gesucht werden. Sie haben sich zusammengetan, zwanzig junge Männer aus drei Dörfern, und überfallen kleine Gruppen von Ägyptern, um sie auszurauben. Du bist in Gefahr, Herr, lass uns lieber morgen weiter suchen.“
Moses überlegte. Eigentlich hatte er keine Furcht vor drei hebräischen Jugendlichen, aber er war allein und unbewaffnet und seine Kleidung konnte wohl eine Versuchung sein, ihn zu überfallen. Also stimmte er zu.
„Gut, Reuben, wir gehen zurück und setzten unsere Suche morgen fort. Bring mich jetzt zurück zu der Wasserstelle und morgen treffen wir uns dort zur gleichen Zeit.“
Reuben nickte und grinste kriecherisch.
„Herr, und meine Belohnung?“
„Sei nur ganz ruhig, wenn ich mit dir zufrieden bin, wirst du mit der Belohnung auch zufrieden sein.“
5.
Schwitzend, stinkend und frustriert kam Moses in den Palast des Gouverneurs zurück. Nichts hatte er erreicht, außer der Begegnung mit einem kriecherischen Hebräer und dem Anblick eines hebräischen Dorfes, das so schmutzig war, dass es ihn noch in der Erinnerung schüttelte vor Ekel. Hastig riss er sich, in seinen Räumen angekommen, die Kleider vom Leib und warf sie dem Diener zu, der auf ihn wartete.
„Ist ein Bad bereit?“ fragte er mit dem Ungestüm seiner fünfzehn Jahre und ging erleichtert, als der Diener bejahte, in die Badekammer. Dort fand er einen Zuber voll frischen lauwarmen Wassers, angereichert mit duftenden Sandelholzextrakten, denen ein leichter Hauch von Rosmarin beigegeben war. Aufseufzend ließ er sich in dem Zuber nieder und befahl dem Badediener, ihm die steif gewordenen Schultern zu massieren.
Dann lehnte er sich zurück und dachte über den Tag nach. Sollte er wirklich morgen noch einmal in diese schmutzige Welt eintauchen und sich der Gefahr aussetzen, dass er entweder Krankheiten von dort mitbrachte oder ausgeraubt wurde? War es alles das wert, herauszufinden, wo seine Pflegeeltern waren oder sollte er nicht lieber zurückkehren zu der Schule, an den Hof Pharaos und die Hänseleien seiner Kameraden über seine ungewisse Herkunft ertragen? Langsam dämmerte er in dem Wasser, das ihm jetzt angenehm die Glieder kühlte, in Gedanken und Gefühlen dahin, fühlte dem Ekel nach, den er angesichts der Hebräer empfunden hatte, fühlte die Wut in sich aufsteigen, wenn er daran dachte, wie seine Freunde ihn hänselten und richtete sich jäh auf: nein, keinesfalls wollte er die Suche aufgeben, nicht dem Drängen Ptomas nachgeben und sich darauf beschränken, den Fortgang der Bauarbeiten zu besichtigen und dann zurück fahren zum Hof, um Pharao zu berichten, dazu war er nicht her gekommen. Nein, er hatte die Reise angetreten, um Amram und Jochebed zu finden und kein Mensch, auch nicht der Gouverneur, und kein Gefühl, auch nicht der Ekel, würde ihn davon abhalten.
Moses rief den Badediener herbei und ließ sich abtrocknen und ankleiden. Seine besten Sachen ließ er sich geben, den Schurz von feinstem Leinen und den Überhang aus dem gleichen Stoff, um so die Abendgesellschaft des Gouverneurs, die er Moses wegen abhielt, zu besuchen.
Ungeachtet des leisen Misstrauens, das Ptoma seinem jungen Gast wegen dessen übersteigertem Interesse an den Hebräern entgegenbrachte, hatte der Gouverneur für den Empfang, den er dieses Gastes wegen gab, alles aufgefahren, was sein Haushalt hergab, handelte es sich schließlich um einen Abgesandten des mächtigen Pharao, auf den er einen guten Eindruck machen wollte.
Der große Festsaal der Residenz war am Abend reich geschmückt, Lichter waren an allen Wänden aufgehängt und aufgestellt, die den Saal taghell erleuchteten. Die offenen Fensterhöhlen ließen die linde Abendluft ein, die gekühlt wurde durch die verschiedensten Brunnen, die Ptoma an den Wänden zwischen den Lichtern und in kleinen Inseln im Raum hatte aufstellen lassen, Wasserspiele, die die Luft kühlten und die einen dezenten Duft von Lavendel, Zypresse und Sandelholz verströmten. Um die Quellen und von ihnen mit der nötigen Feuchtigkeit versehen waren Blumen aufgestellt, Strelitzien, Rosen, Gladiolen, Nelken, Lilien gaben dem Saal Glanz, Jasminblüten verwöhnten die Gäste zusätzlich mit ihrem betörenden Duft.
Zwischen diesen Inseln bewegten sich die Menschen. Reich gekleidete Ägypter, in feinstes Königsleinen gehüllt, die Köpfe mit wertvoll gearbeiteten Perücken bedeckt, Frauen in dünnes Gaze gehüllt, alle, Frauen und Männer, mit Goldschmuck reich ausgestattet, die Wangen mit Puder bedeckt und die Augenwinkel mit Tusche verlängert, unterhielten sich mit den Abgesandten ferner Völker. Der assyrische König hatte Hofbeamte nach Pitom geschickt, die von den Bauten Pharaos berichten sollten, Hethiter in ihrer heimischen Tracht, auch hier den kalten Temperaturen in ihrer Heimat Rechnung tragend in Wolle statt in Leinen gekleidet, Gäste an der Residenz Ptomas, Geiseln auch, die der hethitische König mit Pharao ausgetauscht hatte, um den Frieden zwischen den Ländern zu sichern. Nubier waren hier, zu deren kohlschwarzer Haut das schneeweiße Leinen auffällig kontrastierte und die durch ihren andersartigen Schmuck auffielen, Ringe durch Ohren gezogen aus Gold und schwer, und Ringe durch die Nasenflügel gebohrt.
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