„Erst lass mich diesem Reuben danken, der mich zu dir geführt hat, Reuben, hier hast du den versprochenen Lohn in Gold, aber hier ist noch ein Papyrus, den ich dir gebe, darin habe ich geschrieben, dass die Ägypter dir Schutz gewähren, wenn du Schutz brauchst, das kann dir helfen.“
Reuben bedankte sich überschwänglich. In dem bürokratischen Ägypten war ein Schutzbrief, den ein Edler ausgestellt hatte, unbezahlbar und so hatte Moses seinen Führer übermäßig bezahlt.
Moses folgte nun Jochebed in ihre Hütte, die ebenso armselig ausgestattet war wie die anderen, Stroh lag auf dem Boden, auf den sie sich setzten und der Becher, in dem Jochebed ihm Wasser bot, war aus einfachstem Ton gebrannt. Moses aber schien das Wasser wie der köstlichste Wein, immerzu sah er seine Pflegemutter an.
„Moses, mein Moses“, begann sie, „erzähle mir, wie ist es dir ergangen?“
Und Moses erzählte, wie er aufgewachsen war am Hofe, und wie ihn seine Kameraden nie als vollwertig anerkannt hatten, weil er zur Hälfte Hebräer sei.
„Wieso zur Hälfte Hebräer?“, fragte Jochebed erstaunt.
„Es geht das Gerücht, und in Theben gilt es als sicher, dass die Tochter des Pharao einen Hebräer verführt haben soll und ich die Frucht dieser Liebesnacht bin. Ich gelte daher als direkter Abkömmling Pharaos, aber eben nur zur Hälfte.“
„Was für ein Unsinn!“ rief die Frau aus und schlug die Hände zusammen, „ein vollkommener Unsinn. Willst du wissen, wo du herkommst, auch wenn deine Herkunft dann nicht mehr so edel ist?“
Moses nickte. „Deshalb bin ich hergekommen, um zu erfahren, wer ich bin“, sagte er nur.
„Hör zu, Moses, du bist mein Sohn und Amram, mein Mann, ist dein Vater.“
„Aber warum bin ich dann nicht bei dir geblieben?“, fragte Moses zurück.
„Das waren schwere Zeiten damals“, antwortete sie, „Wir Hebräer sind im Gegensatz zu den Ägyptern schon immer und auch jetzt noch sehr fruchtbar. Die ägyptischen Könige und vor allem dieser, der jetzt Pharao ist, Sethos, haben uns schon immer mit größtem Misstrauen beobachtet. Trotz der Sklavenarbeit, die wir hier tun müssen, haben wir uns immer mehr vermehrt. Ich wohnte damals mit Amram in Theben und Amram schuftete an der Baustelle für Pharaos Grab, als ich schwanger wurde. Pharao war ärgerlich und ängstlich, weil die Hebräer immer mehr wurden und befahl, dass alle neugeborenen hebräischen Jungen sofort nach der Geburt den Behörden ausgeliefert und dann ertränkt wurden. Was sollte ich tun? Ich verheimlichte also meine Schwangerschaft vor allen, auch den Hebräern, und als meine Zeit gekommen war, bist du geboren, Moses, mein Junge. Eigentlich hätte ich dich nach Pharaos Befehl den Behörden ausliefern sollen, aber ich hatte mir schon vorher vorgenommen, das sollte auf keinen Fall geschehen. Ich hatte einen Schilfkorb geflochten und den mit Pech abgedichtet, das Amram mir von der Baustelle mitgebracht hatte. Ich wusste, wann und wo Pharaos Tochter im Nil zu baden pflegte. Ihr wollte ich dich anvertrauen, sie war eine Frau, sie würde einem Neugeborenen nicht widerstehen können, so hatte ich überlegt.
Und so legte ich dich in den Schilfkorb und diesen zwischen die Papyruspflanzen, die am Nil da standen, wo die Königstochter baden ging. Ich versteckte mich in der Nähe und beobachtete, was geschah.
Tatsächlich, Pharaos Tochter Thermutis fand dich, sie zeigte dich ihren Gespielen und an ihren Freudenrufen erkannte ich, dass sie von dir bezaubert waren, wie ich das erwartet hatte. Thermutis nahm dich auf und reichte dich an eine Dienerin weiter.
Das nächste, was ich am Nachmittag hörte, war, dass am Hofe eine Amme gesucht wurde, also meldete ich mich und bekam dich so wieder in meine Obhut. Nun war alles gut und du warst gerettet.“
Moses hatte mit wachsender Spannung und atemlos zugehört.
„Dann bin ich also dein Sohn und nicht ein Königssohn?“ Seine Stimmung schwankte zwischen Enttäuschung, dass er nicht mit Pharao verwandt war und der Begeisterung, dass er nun seine wahre Herkunft kannte.
„Nein“, bestätigte Jochebed, „kein Königssohn.“
„Aber warum bin ich dann am Hof aufgewachsen und nicht bei dir geblieben?“, fragte Moses.
Eine Wolke der Trauer überschattete Jochebeds Gesicht.
„Wir lebten zufrieden zwei Jahre als kleine Familie, Amram, ich und du, unser Sohn. Nach zwei Jahren hob Pharao das Gebot auf, die hebräischen Jungen zu töten, er sah, dass dieser Befehl keinen Erfolg hatte, stattdessen wurden wir noch mehr zur Fronarbeit gezwungen. Schon mit vierzehn mussten die Jungen zur Arbeit, kaum einer wurde älter als dreißig, sie starben bei der Arbeit.
Nach drei Jahren bekam ich einen weiteren Sohn, Aaron, und drei Jahre später eine Tochter, Miriam, und wir lebten jetzt als eine kleine glückliche Familie, Eltern und drei Kinder, die Unterdrückung in Theben war nicht so grausam wie hier, in Pitom. Aber wir waren rechtlos und zu sorglos gewesen. Nach fünf Jahren klopften die Palastbeamten an unsere Tür und forderten unseren Erstgeborenen, dich, Moses, für die Pharaotochter heraus.
„Thermutis begehrt ihren Sohn zurück“, sagten sie, „damit er am Hofe aufwachse und in den Lehren der Ägypter unterrichtet werde.“
Was sollten wir tun? Einerseits wollten wir dich keinesfalls weggeben, konnten aber gegen die schwerbewaffneten Beamten nichts ausrichten. Und dann war es ja für dich eine große Chance, am Hofe unterrichtet zu werden. Wenigstens einer von uns würde Mitglied der Herrscherfamilie sein, und wer weiß, sagten wir, was daraus noch für Segen erwachsen konnte. Und so gaben wir dich schweren Herzens her.“
Jochebed schwieg und sah ihren Sohn unverwandt an, der die Augen zu Boden gerichtet hatte. Tränen tropften aus seinen Augen, Tränen der Trauer um seine Vergangenheit, um seine zweifelhafte Herkunft, die jetzt nicht mehr zweifelhaft war, aber eben doch wieder, war er doch Hebräer, Angehöriger dieses verachteten und rechtlosen Volkes.
„Und wieso seid ihr aus Theben weggezogen und hierher, nach Pitom, gekommen?“, fragte er tonlos.
„Zwei Monate später erschienen wieder die bewaffneten Palastbeamten an unserer Tür, verbannten uns nach Pitom und verurteilten Amram zur Zwangsarbeit hier. Wir konnten nicht einmal das Notwendigste packen und wurden, Vater, Mutter, Sohn und Tochter, auf ein Schiff geladen und hierher gebracht, ohne die geringste Möglichkeit der Gegenwehr.“
Wieder entstand eine lange Pause.
„Also habe ich einen Bruder und vor allem, eine Schwester?“, fragte Moses dann leise.
„Ja, dein Bruder ist jetzt ungefähr vierzehn, wir erwarten jeden Tag, dass er zur Arbeit geholt wird von Dan, unserem Dorfältesten, der die arbeitsfähigen Männer den Ägyptern melden muss. Miriam ist zehn, sie spielt draußen mit ihren Freundinnen.“
Der Tag verging wie im Flug mit Erzählen und Zuhören, bis am Abend Amram nach Hause kam, ächzend zog er sich den
Schurz aus, den er bei der Arbeit getragen hatte und wusch sich mit Sand, aus dem der Hüttenboden bestand.
„So, du bist also unser Sohn Moses, den sie uns in Theben weggenommen haben und dem wir verdanken, dass wir hier in Pitom schuften müssen“, sagte er finster und sah den jungen Mann vor sich scharf an, „und woher wissen wir, dass er wirklich unser Moses ist und nicht ein ägyptischer Spion?“, fragte er seine Frau, „bei uns gibt es Gerüchte, dass die täglichen Leistungen erhöht werden sollen, unser Vorarbeiter Dan hat auf dem Rückweg davon gesprochen. Hier dieser Moses kann von den Ägyptern geschickt sein, um unsere Erschöpfung am Abend zu überprüfen.“
Moses wandte sich gekränkt ab, aber er verstand, was Amram meinte und konnte ihm schlecht erwidern. Aber Jochebed stand ihm bei.
„Amram", ermahnte sie ihren Mann, „sieh ihn doch genau an, sieht so ein Ägypter aus? Haben sie so helle Haut wie dieser da? Und spricht nicht dein Herz für ihn, wie meines sofort für ihn Partei ergriffen hat? Er sieht doch tatsächlich wie unser Sohn aus, sieh nur die Ähnlichkeit mit Aaron.“
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