Niemand, so wurde gemunkelt, habe von diesem Vorfall etwas mitbekommen, weil die Leibwächter schon zu ihrem eigenen Schutz eisern geschwiegen hätten. Nach fünf Monaten sei es aber nicht zu verheimlichen gewesen, Thermutis sei schwanger gewesen, rund wölbte sich schon ihr Bauch unter dem leichten Leinen, das sie in Zeremonien tragen musste. Sie habe sich dann ihrem Bruder Ramses offenbart, der sehr erbost gewesen sei, aber doch seine Schwester zu sehr liebte. Er habe eine Geburt im Verborgenen organisiert und das Früchtchen seiner Schwester, seinen Neffen, zu Hebräern in Pflege gegeben, bis zum fünften Lebensjahr, danach sei das Kind „Sohn“, eben Moses, genannt und in den Palast genommen worden, wo er bei ägyptischen Pflegeeltern aufgenommen wurde und aufwuchs.
Moses also war, wenn das alles richtig hinter den Rücken der Herrscher und der Betroffenen erzählt wurde, von einer Herkunft, die vornehmer nicht sein konnte, aber eben auch der Sohn eines Hebräersklaven, niedrig von Geburt.
Am Hofe begegnete ihm die Königsfamilie mit Freundlichkeit, Thermutis besonders hatte sich seiner angenommen, ohne aber jemals über das hinaus zu gehen, was sie anderen Günstlingen auch gewährte. Einerseits war Moses stolz auf die Gerüchte, die ihm Verwandtschaft zur königlichen Familie nachsagten, stolz auch darauf, dass er jederzeit Zugang zum königlichen Plast hatte, andererseits verzweifelt über die Unklarheit seiner Herkunft. Wie klar und geregelt waren doch Vergangenheit und Zukunft seiner Kameraden, wie ungewiss seine eigene Zukunft. Früh lernte Moses, für sich allein zu sein, weil in den Gesichtern der anderen die leise Frage nach seiner Existenz zu lesen glaubte. Nur mit Setaou verband ihn eine enge Freundschaft, zu der sich aber Setaou nicht bekannte, wenn sie sich im Kreise ihrer Altersgenossen bewegten. Moses hätte sich gewünscht, sein Freund würde offen zu ihm stehen, auch unter den anderen, dieser Wunsch war aber nicht zu erfüllen.
4.
Und nun war er hier, in Pitom, auf der Suche nach seinen Pflegeeltern, die irgendwann von Theben nach hier geschickt worden waren, ohne dass Moses das mitbekommen hatte und auf der Suche nach seinem Volk, seinen Vätern und war bereit, das Befremden in den Gesichtern der königlichen Beamten zu ertragen.
Moses ging langsam, würdevoll, in Begleitung der zwei hebräischen Kundschafter und zweier Soldaten des Königs, auf denen Ptoma zu seinem Schutz bestanden hatte, aus der Stadt, nach Osten, auf der Suche nach den hebräischen Dörfern. Zwei Stunden waren sie jetzt in der Sonne unterwegs, die, sie waren am frühen Morgen losgegangen, jetzt schon mit unbarmherziger Glut auf sie herunter brannte. Sie trugen das weiße Leinen, das die Sonne und das Ungeziefer von der Haut fernhielt, sie hatten leichte Perücken aufgesetzt, die den Kopf vor der Glut schützten, und dennoch war der Gang fast unerträglich, Moses wurde ausschließlich von seinem Willen, auf die Suche nach den Pflegeeltern zu gehen, angetrieben, seine Begleiter von seinem Befehl. Kein Baum, kein Schatten, nichts milderte die Hitze der Sonne ab, die auf sie hinab strahlte. Endlich, nach einer weiteren halben Stunde, sahen sie eine Ansammlung von Palmen und Bäumen am Rande des Wegs, schattenwerfende Pflanzen, an denen, wie sie aus der Ferne erkannten, eine Gruppe Menschen lagerten. Moses beschleunigte seine Schritte, in der Hoffnung auf eine Ruhepause und auf einen Schluck Wasser, der sich dort finden würde.
Schon von weitem erkannte er, dass er sich einer Wasserstelle näherte, an der ägyptische Soldaten lagerten und in einiger Entfernung eine weitere Gruppe, offenbar hebräische Arbeiter. Ein einzelner Mann kam von den Hebräern auf Moses zu, der nun seinen Leibwächtern und den hebräischen Kundschaftern weit vorausgeeilt war.
Moses erschrak, als er dem Ankommenden entgegen ging und ihn aus der Nähe ansehen konnte. Leicht gebückt ging der Hebräer und humpelte. Die Gestalt war gewissermaßen zusammengezogen, ein riesiger Buckel wuchs aus seinem Rücken und krümmte den Oberkörper und verursachte das Humpeln der im Verhältnis zu dem Oberkörper zu kurzen krummen Beine. Den Kopf hielt der Hebräer schief und sah so, von unten und der Seite hinauf Moses an.
„Woher kommst du, edler Herr?“, fragte er und seine Stimme war heiser, der kriecherische und schmeichlerische Eindruck der Stimme wurde verstärkt dadurch, dass er sich zu verbeugen schien.
„Ich bin Moses und von Pharao geschickt, um ihm über den Fortgang der Arbeiten hier zu unterrichten“, Moses richtete sich innerlich auf und die Antwort fiel arroganter aus als er eigentlich wollte, so, wie ein ägyptischer Edler mit einem buckligen Hebräer eben üblicherweise redete.
„Ich suche in den Hebräerdörfern ein Ehepaar, sie heißen Amram und Jochebed, kennst du sie?“
Der Mund in dem hässlichen Gesicht des Hebräers verzog sich zu einem süßlichen Grinsen.
„Amram suchst du, edler Herr? Amram, lass mich nachdenken“, und der Hebräer legte seine Stirn in angestrengte Falten, um zu zeigen, wie sehr er nachdachte, „Ja, Amram kenne ich, er wohnt in einem der nächsten Dörfer dort drüben“, er machte eine unbestimmte Bewegung mit seinem schlenkernden Arm nach Osten, „du kannst sie von hier aus nicht sehen, aber ich kann dich hinbringen und mit Amram bekannt machen, was willst du denn von ihm?“ Neugierig sah ihn der Hebräer an.
„Was ich von ihm will, fragst du? Geht dich das wohl etwas an?“ Moses hob die Stimme, „wie heißt du, Mann? Soll ich dich an die Soldaten übergeben?“
Erschrocken verbeugte sich der Hebräer nun wirklich trotz seiner Behinderung sehr tief.
„Reuben heiße ich, Herr, und warum du Amram suchst, nein, das geht mich nichts an, wirklich, willst du, dass ich dich hinführe?“
Moses nickte. „Wie lange brauchen wir, um hin zu kommen?“
„Wohl zwei Stunden, wenn wir berücksichtigen, dass ich nicht so schnell gehen kann wie du.“
„Und hast du sonst nichts zu tun? Wieso kannst du hier an der Wasserstelle herumlungern und arbeitest nicht?“
„Herr, meine Arbeit würde wohl niemandem nutzen, ich bin schwach, ich kann kaum etwas tragen, gehen kann ich auch nicht, und so begleite ich manchmal Ägypter, wenn sie sich in den Dörfern meines Volkes nicht auskennen.“
„Gut, Reuben, dann wollen wir an der Wasserstelle etwas trinken und dann gehen wir los.“
Mittlerweile waren die Begleiter Moses herangekommen und sahen ihn mit dem Buckligen stehen und hörten, dass Moses mit ihm allein weiter gehen wollte. Die hebräischen Kundschafter nahmen das teilnahmslos hin, sie waren gewohnt, die Entscheidungen ihrer ägyptischen Herren zu akzeptieren, ohne nach Sinn und Verstand zu fragen, die Leibwächter, die Ptoma Moses mitgegeben hatte, protestierten.
„Allein willst du in das Hebräerdorf gehen, Herr?“, fragte der eine, „weißt du nicht, wie es dort zu geht? Schmutzig, krank sind sie, die Hebräer, du holst dir leicht eine Seuche in deren Dörfern, und dann sind sie ein Volk von Kriminellen, ein Menschenleben bedeutet ihnen nichts, wie leicht kann dir da etwas geschehen.“
„Sieh hier, dafür habe ich meine Arme“, Moses ließ die kräftigen Muskeln spielen, „und gegen Krankheit sind wir alle nicht gefeit, gegen eine solche Krankheit schützt mich auch eure Begleitung nicht. Aber hab Dank für deine Fürsorge, ich werde sie dem Gouverneur zu berichten wissen.“
Und mit einem Kopfnicken entließ Moses seine bisherigen Begleiter und wendete sich Reuben zu. „Komm, gehen wir“, sagte er nur und Reuben ging gehorsam voran.
Nachdem sie an der Wasserstelle ihren Durst gestillt und Moses einige Worte mit dem Befehlshaber der Ägypter gesprochen hatte, machten sie sich auf die Suche. Immer noch war es unerträglich heiß, aber Moses hatte seine Perücke mit Wasser getränkt, so dass er die erste Zeit etwas leichter ging.
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