"Deshalb also Ihre Maskerade als graue Maus?"
"Ja, deshalb", wisperte Angela. "Ich wollte mir nach der größten Enttäuschung meines Lebens nicht noch einmal die Finger ver-brennen. Darf ich jetzt gehen?"
"Bitte nicht!", sagte Hans leise. "Es war so schön mit Ihnen; der schönste Tag seit dem Tod meiner Frau. Lassen Sie uns noch ein Fläschchen Wein miteinander trinken und plaudern. Vielleicht tut es uns beiden gut, uns einmal aussprechen zu können."
Angela ließ sich überreden und blieb. Der Wein lockerte ihre Zungen, und so erfuhr Hans, dass ihre ganz große Liebe ein Heiratsschwindler gewesen war, der ihr alles abgeknöpft hatte, was sie besaß und dann auf Nimmerwiedersehen verschwand; und er erzählte ihr, warum er niemals wieder hatte heiraten wollen.
"Ich wollte einer Toten die Treue halten", sagte er abschließend, "und musste heute Abend erkennen, wie unsinnig das war. Ein Kind ohne Mutterliebe aufziehen zu wollen, ist fast schon unver-antwortlich. Es braucht sie wie das tägliche Brot. Aber auch der Vater sehnt sich nach ein bisschen Liebe. Nicht umsonst steht in der Bibel: 'Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei` - oder so ähnlich. Mir ist das heute Abend mehr als klar geworden; dank Ihnen, Fräulein Lohwein."
"Das sagen Sie doch nur aus einer sentimentalen Weihnachtsstimmung heraus", murmelte Angela ungläubig und wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. "Bis morgen haben Sie das längst wieder vergessen."
"Nie, Angela", sagte er und griff über den Tisch hinweg nach ihren Händen. "Ich habe zwar einen Kinderschreck gesucht, aber sehr wahrscheinlich eine neue Frau fürs Leben gefunden."
Und als sie am nächsten Morgen gemeinsam frühstückten, war nicht nur der kleine Andreas der glücklichste Mensch dieser Erde.
DER BANKÜBERFALL
heiterer Kurzkrimi
Wenn Claus und Irena Zansinger das Geld besessen hätten, das sie nicht besaßen, wären sie reiche Leute gewesen. Ein Berg Schulden hatte sich im Laufe der Jahre vor ihnen aufgetürmt. Da hatte es auch nichts genützt, dass sie, wenn ihnen die eine Bank nichts mehr gab, zur nächsten gegangen waren. Unter dem Strich hatten sich die Salden sämtlicher Konten letztlich zu einer gewaltigen Summe addiert. Und die dusseligen Banken bestanden dummerweise darauf, dass diese Schulden auch irgendwann zurückzuzahlen waren. Fragte sich nur, von was.
Nun gehörten Claus und Irena zwar zu den so genannten Besserverdienenden , da ihre Ansprüche aber schon immer größer als ihre Einnahmen gewesen waren, nützte ihnen das am Ende gar nichts. Der Pleitegeier kreiste mit grimmige Miene über ihrem schicken Bungalow, den sie ebenfalls auf Pump gebaut und aufs Feinste ausgestattet hatten, und wartete nur darauf, ihr Leben mit seinen gierigen und unnachsichtigen Krallen zu zerfleddern.
"Wir sind am Ende", sagte Claus eines Tages, nachdem der Gerichtsvollzieher wieder einmal unverrichteter Dinge gegangen war, zu seiner Frau. "Wenn uns nichts einfällt, wird unser Haus in vier Wochen versteigert. Dann sitzen wir auf der Straße, und alles andere, das uns lieb und wert geworden ist, ist ebenfalls verloren. Wir hätten etwas sorgsamer mit unserem Geld umgehen müssen."
Den ganzen Abend über beratschlagten sie, wie sie ihr Hab und Gut und damit auch ihr aufwendiges Leben retten konnten, und kamen schließlich zu der Erkenntnis, dass es dafür eigentlich nur eine einzige Möglichkeit gab:
Wenn die Banken ihnen freiwillig nichts mehr zugestehen wollten, mussten sie diese zwingen, etwas herauszurücken. Und diese Zwangsmaßnahmen bedeuteten, dass sie einen Banküberfall riskieren mussten.
"Die hiesige Zweigstelle der Privatbank & Co. eignet sich dazu meiner Meinung nach am besten", sagte Claus, nachdem sie sich geeinigt hatten, dass ein Banküberfall zur unbedingten Notwendigkeit geworden war. "Wir sind seit Jahren dort Kunden und kennen die Räumlichkeiten und Verhältnisse dadurch wie unsere eigene Westentasche. Außerdem ist es die Bank, die uns momen-tan die größten Schwierigkeiten macht. Es wäre mir eine Genugtuung, mich an ihr zu rächen und sie um einen ordentlichen Batzen zu erleichtern."
Irena war naiv genug, mit allem, was ihr Gatte vorschlug, einverstanden zu sein. Er war schon immer der Denker und Lenker ihrer kleinen Familie gewesen, hatte stets einen Ausweg aus ihren diversen Dilemmas gefunden, und so vertraute sie ihm auch diesmal vorbehaltlos. Er würde die Sache schon schaukeln, da war sie ganz sicher, und sie würde ihn nach besten Kräften dabei unterstützen.
Der Plan, den Claus austüftelte, war einfach und entsprach dem, mit dem tausend andere Halunken schon versucht hatten, eine Bank um ihr Bares zu erleichtern:
Sie wollten am Tag X maskiert in die bewusste Zweigstelle ein-dringen, und während Claus die Angestellten und Kunden mit einer Pistole bedrohte, sollte Irena bei dem Kassierer eine größere Abhebung vornehmen. Für ihre Flucht würde draußen dann ein gestohlener Wagen mit laufendem Motor bereitstehen.
"Ist dir auch alles klar?", fragte Claus seine Frau noch einmal eindringlich, bevor sie den Überfall vornahmen.
"Hundertprozentig", beteuerte Irena. "Schließlich haben wir das Ganze seit acht Tagen mehrmals gründlich geübt. Es kann überhaupt nichts schiefgehen."
"Wollen wir's hoffen", seufzte Claus. "Dann mal los, Kleines."
Das Fluchtauto hatte Claus bereits am Abend zuvor organisiert. Es hatte keinerlei Probleme bereitet, da es immer genügend Mitmenschen gab, die ihren Wagen irgendwo unverschlossen parkten. Dieser brave Mitmensch hatte freundlicherweise sogar seinen Schlüssel stecken lassen.
Claus und Irena fuhren also zum Ort des Geschehens, zogen dort schwarze Kapuzen mit Sehschlitzen über ihre Köpfe und stürmten in die Bank. Das Auto blieb mit laufendem Motor vor der Bank stehen.
"Das ist ein Überfall!", plärrte Claus mit sich vor Nervosität überschlagender Stimme. "Los, los, los! Alle die Hände über den Kopf! Und keine falsche Bewegung, sonst knallt's!"
Die zu Tode erschrockenen Angestellten und Kunden folgten der unmissverständlichen Aufforderung des Neugangsters ohne Widerrede, und während sie brav ihre Arme in die Luft streckten, begab Irena sich zu dem hinter Panzerglas sitzenden Kassierer, überreichte ihm eine Plastiktüte und bat ihn höflich, alles einzupacken, was an Bargeld vorhanden war.
Der Kassierer, der kein Blutvergießen riskieren wollte, tat, wie ihm geheißen worden war, ersuchte Irena aber aus irgendeiner Eingebung heraus, ihm den Betrag zu quittieren, da sonst seine Kasse am Abend nicht stimmen würde.
Und die naive Irena quittierte! ----
"Irgend etwas muss ich falsch gemacht haben", sagte sie zu ihrem Mann, als die Bullen sie von zu Hause abholten und in der grünen Minna zum Haftrichter transportierten.
"Ja", erwiderte Claus mit dumpfer Stimme. "Du hättest ihm den Betrag niemals quittieren dürfen."
"Davon hast du nie ein Wort gesagt", verteidigte sich Irena. "Und er bat mich doch auch so nett darum. Ich konnte ihm seinen Wunsch einfach nicht abschlagen."
"Natürlich nicht", brummte Claus. "Und vielleicht hätte ich es ja auch getan, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre. Nur hätte ich nicht auch noch unsere Kontonummer auf den Beleg geschrieben!"
besinnliche Weihnachtsgeschichte
erstmals in einer hessischen Version in meinem Buch
HESSISCHES ADVENTSKALENNERBUCH
Mundartverlag Naumann, Hanau
erschienen
"Es ist wieder einmal Weihnachten, Elisabeth", sagte der alte Mann, während er mit zitternden Händen die Kerzen am kleinen Christbaum anzündete, der auf dem schneebedeckten Grabhügel stand. "Fünf Jahre muss ich dieses Fest nun schon ohne dich feiern, und es macht mir immer weniger Freude. Du fehlst mir halt, Elisabeth. An allen Ecken und Enden fehlst du mir.
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