LUNATA
Hands up!
Hands up!
Kriminalroman
© 1928 by Edgar Wallace
Originaltitel The Gunner
Aus dem Englischen von Friedrich F. Pütsch
© Lunata Berlin 2020
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Also du willst ihn wirklich heiraten, Margaret?«
Es lag eine Erregung in der Stimme Rex Leferres, die beinahe seine Schwester erschreckte. Es lenkte sie auf jeden Fall im Augenblick von dem Ärger ab, der langsam in ihr gegen ihren unpünktlichen Bräutigam aufstieg.
»Wie kommst du darauf?« fragte sie. »Meinst du vielleicht, daß ich meine Verlobung auflösen soll, weil Luke ein unhöflicher Gastgeber ist und uns schon zehn Minuten warten läßt?«
Sie befanden sich in dem Wintergarten des Ritz-Carlton, und glücklicherweise waren die übrigen Gäste mit ihren Cocktails beschäftigt und schienen Lukes schlechte Manieren noch nicht bemerkt zu haben.
Margaret stand mit dem jungen Mann, der ihr einziger Verwandter war, abseits, und kein Fremder, der sie gesehen hätte, wäre auf den Gedanken gekommen, daß er Bruder und Schwester vor sich hätte. Rex war ein fahriger, rothaariger, junger Mann mit ausgesprochen schwachem Kinn, der die nervöse Angewohnheit hatte, seine schwarze Krawatte jeden Augenblick in Ordnung zu bringen.
Margaret Leferre hatte Haltung und Figur der großen Dame; mit ihrem reinen Teint, den wunderbar gezeichneten Gesichtszügen, ihren klaren, blauen Augen war sie ein Modell kalter Würde. Niemals hatte sie daran gedacht, ihr Haar, der Mode folgend, kurz schneiden zu lassen. In prächtigen Flechten lag es um den Kopf, so daß sie eine Krone von mattem Golde zu tragen schien.
»Ich weiß nicht...« Rex knabberte an seinen Nägeln – eine häßliche Angewohnheit, die er nicht ablegen konnte –, »Luke ist sicher ein netter Kerl – manchmal 'n bißchen zugeknöpft –«
»Was willst du mit ›zugeknöpft‹ sagen?« fragte sie und sah ihn fest an.
»Ja – ich meine – er sitzt ein bißchen sehr auf seinem Gelde. Er gibt mir ja Tips und sonstige gute Ratschläge, aber es ist mir eigentlich nie gelungen, mich zur richtigen Zeit bei irgendeiner Sache beteiligen zu können ... selbstverständlich mein eigener Fehler.«
Er suchte ihren Blick zu vermeiden, aber sie war der stärkere Teil.
»Hast du Geld geliehen – schon wieder?« fragte sie, und er zuckte unbehaglich mit den Schultern.
»I wo – Unsinn! Danty und ich hatten ein Geschäft vor und...«
In diesem Augenblick sah sie sich um. Sie hatte das Gefühl, daß der dunkeläugige Danton Morell sie beide beobachtete. Danton war eigentlich ein lieber Mensch, und sie hatte sich daran gewöhnt, ihm zu vertrauen. Er schien ihre Unruhe gefühlt zu haben, denn er löste sich aus einer Gruppe heraus und kam langsam auf sie zu.
»Ach, halt doch den Mund, Margaret – erwähne bloß nichts zu Morell über diese Sache – wenn du vielleicht hier Szenen machen willst...«
Mit einem Achselzucken drehte er sich um und ließ sie stehen, als Danty zu ihnen trat.
Danty, dieser erfahrene Weltmann, lächelte über ihre Befürchtungen. Er war ein stattlicher, amüsanter Junggeselle an der Grenze der Vierzig, dessen Bekanntschaft sie durch ihren Bruder Rex gemacht hatte.
»Nein, ich glaube nicht, daß er Geld geborgt hat – Rex ist ein unbedachtsamer junger Mensch, der innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht aus seinen Schulden herauskommen wird. Dann wird er sich auch einmal Mühe geben und sicherlich Erfolg haben. Ihr Bräutigam kommt eigentlich ziemlich spät.«
Instinktiv fühlte sie, daß er Luke Maddison nicht leiden konnte, hatte es immer gewußt. Luke stammte aus sehr gutem Hause und war verwandt oder stand auf bestem Fuße mit beinahe jeder großen Familie in England. Er hatte nur einmal etwas wegwerfend über Danty gesprochen.
»Wo ist denn der hergekommen? Ich habe noch niemals von ihm gehört«, hatte er sie gefragt.
Sie hätte ihm erzählen können, daß Danton den größeren Teil seines Lebens in Argentinien verbracht hatte, aber das Wegwerfende in seinem Ton, als er über den Freund ihres Bruders – und ihren eigenen sprach, hatte sie etwas verletzt. Und dann hatte Luke die Sache noch schlimmer gemacht.
»Er ist ein merkwürdiger Vogel. Es sollte mich gar nicht überraschen, wenn er zu jenen langfingerigen Burschen gehörte, die der Polizei bekannt sind – man sollte eigentlich Erkundigungen einziehen.«
»Warum tust du es denn nicht?« hatte sie eisig erwidert.
Dies hatte sich lange vor jenem Tage ereignet, als sie sich endlich entschlossen und einen beglückten Luke Maddison nach Hause geschickt hatte.
Während sie auf Dantons Worte lauschte, blickte sie gedankenlos auf den Diamantring an ihrem Finger, das äußere und sichtbare Zeichen ihrer Verlobung.
»... Rex ist leichtsinnig und wenig beständig – manchmal kann er nicht schlecht genug über Maddison sprechen, und dann hebt er ihn wieder in den Himmel ... na, da haben wir ja unseren liebenswürdigen Wirt!«
Luke Maddison kam mit langen Schritten durch die Halle des Hotels, blieb einen Augenblick stehen, um seinen Mantel und Zylinder abzulegen, die er dem Diener beinahe zuwarf, und machte einen Schritt in der Richtung der Tür. In diesem Augenblick glitt er auf dem Marmorfußboden aus und wäre sicherlich gefallen, wenn nicht eine Hand seinen Arm ergriffen hätte.
Der Mann, der ihn hielt, mußte außergewöhnlich kräftig sein, denn im wahren Sinne des Wortes und anscheinend ohne jede Anstrengung hielt er Luke Maddisons Fall auf und stellte ihn auf die Füße. Mit einem halb ärgerlichen Lächeln drehte Luke sich herum und blickte in ein finsteres Gesicht mit scharfen Falten, tiefbraun gefärbt, und in zwei kühle, ausdruckslose Augen.
»Danke Ihnen – vielmals!«
Der Fremde nickte.
»Das hätte ein schlimmer Fall werden können. Ich bin Ihnen außerordentlich verbunden!«
»O bitte, gern geschehen«, sagte der Unbekannte.
Er war im Abendanzug, tadellos angezogen, und sein gepflegtes Äußere ließ die Sorgfalt eines geschulten Kammerdieners ahnen. Maddison sah in dem Gesicht scharfe Linien, die nicht die Natur hineingezeichnet hatte. Er konnte nicht wissen, daß die beiden Narben, die die rechte Wange des Mannes entstellten, Erinnerungen an ein lebhaftes Zusammentreffen mit dem verstorbenen Lew Selinski in New York waren. Wenn Lew ärgerlich war, pflegte er ein Messer zu gebrauchen. Und er war außerordentlich ärgerlich über diesen elegant gekleideten Mann gewesen, als er die Zeichen auf dem Gesicht seines Feindes zurückließ.
»Ich bin froh, daß ich gerade in der Nähe war. Glücklicherweise warte ich immer in der Halle, wenn ich Bekannte eingeladen habe. Guten Abend.«
Er drehte sich um, als ob ihm die Aufmerksamkeit, die er selbst erregt hatte, peinlich wäre, und Luke ging voller Entschuldigungen zu seiner eigenen Gesellschaft.
Zwei Leben berührten sich in dieser Januarnacht im Ritz-Carlton – berührten sich und liefen wieder auseinander, um später, im Augenblick einer großen Krisis, wieder zusammenzukommen. Schwere Wege waren es: ein bitterer, herzzerreißender Weg für den einen, eine fortwährende Hölle für den weniger begünstigten anderm, der ihn mit dem zynischen Lächeln durchlaufen mußte, mit dem Gunner Haynes jedem Unglück begegnete.
Für Luke Maddison war das Leben eine verwirrende Menge von Pfaden, die einander kreuzten, die nebeneinander herliefen. Wenn er in einen Irrtum fiel, so war es der, daß er glaubte, sein eigener Pfad wäre der große, breite Hauptweg, zu dem alle anderen hinliefen, von dem alle anderen abzweigten.
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