Tim-Julian Schneider - Ohne Norden
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Und sicherlich ist das eng mit Personen verknüpft die meinen Weg gekreuzt haben, vielleicht auch mit einer bestimmten Person, vielleicht auch mit einem besonderen Mädchen, dass wenn du mir auf der Straße begegnen würdest und mich danach fragen würdest, ich vielleicht als gar nicht so speziell bezeichnen würde. Aber wir sind nicht auf der Straße, sondern in meinem Kopf, durch den Blut fließt – mit beträchtlichem Alkoholanteil. Man könnte auch sagen, durch den Alkohol fließt – mit einem beträchtlichen Blutanteil. Und jetzt sind die Gedanken wieder in Richtung In-der-Vergangenheit-leben abgeschweift. Zur Krankheit meiner Generation, unserer Gesellschaft. Wie erwähnt, ich bevorzuge schöne Wehmut. Und Rührei. Es gibt nichts was ich im Moment mehr bevorzugen würde als Rührei. "
Am Morgen seines 18. Geburtstages wacht die Hauptperson auf und stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens. Worum dreht sich eigentlich das große Ganze? Er fühlt nur eins: schöne Wehmut. Eine Mischung aus Ziellosigkeit, Sehnsucht, Freundschaft und Liebe. In dem Roman, der einzig und allein die Gedanken des Erzählers wiedergeben, begibt er sich auf eine Reise in die Vergangenheit. Seine Gedanken schweifen mal zu diesem, mal zu jenem Ergebnis. Es ist nicht bewusst, aber vielleicht findet er dort ja eine Antwort. Vielleicht gab es einen Moment, einen Mensch, der alles verändert hat.
So erlebt er wieder eine ungeahnte Freundschaft, die erste große Liebe und einen schweren Verlust. Er schweift von Erlebnis zu Erlebnis und versucht eine Antwort auf seine eigene Identität zu erhalten.
Mit seinem Romandebüt «Ohne Norden» schafft es Tim-Julian Schneider das Gefühl einer ganzen Generation auszudrücken. Die Authentizität mit der Schneider die Gedanken des Erzählers wiedergibt ist beeindruckend. Manchmal urkomisch, manchmal zum Heulen. Wie das Leben und die Jugend selbst. Schön und wehmütig.
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Am nächsten Morgen war ich vor lauter Aufregung, aufgrund der Tatsache, dass ich heute ein Spiel der Bayern in der AllianzArena sehen durfte, schon um sieben Uhr hellwach und konnte nicht mehr einschlafen. Sowohl meine Mutter als auch Daddy-Joe schliefen tief und fest. Bei meinem Vater war das immer sehr gut am rhythmischen Schnarchen zu erkennen, meistens ein Dreivierteltakt. Ich verbrachte die Zeit damit, ein bisschen am Fenster unseres Hotelzimmers zu stehen und die Szenerie zu beobachten. Von dort hatte man einen guten Blick auf den Haupteingang des Flughafens und es fühlte sich an, als würde dort ein Zeitrafferbild vor meinen Augen abgespult. Schätzungsweise zwei- bis dreihundert Taxis standen in einer langen Schlange vor dem Eingang und warteten darauf, ankommende Passagiere zu ihrem jeweiligen Ziel zu befördern. Jede Sekunde, so schien es, strömten Leute in die Taxis und die Autos kamen nie zum Stillstand. Hätte man dieses Treiben von noch weiter oben betrachtet, hätte es wahrscheinlich wie eine richtige Schlange ausgesehen, die sich unweigerlich um den Haupteingang von Terminal eins schlängelte. Im Hintergrund gingen im Minutentakt Flugzeuge in die Luft oder landeten. Ich beobachtete dieses Schauspiel gebannt und merkte gar nicht, wie der Dreivierteltakt meines Vaters langsam unregelmäßiger wurde und meine Eltern aufwachten. Ich hatte gut eineinhalb Stunden damit verbracht, einfach nur den Haupteingang des Münchner Flughafens zu beobachten, ohne dass ich je auf die Uhr geschaut oder Langeweile bekommen hätte. Währenddessen waren geschätzte dreißig Maschinen abgehoben oder gelandet. Irgendwie faszinierend. Als ich meinen Blick lösen konnte, fiel mir aber wieder ein, was der eigentliche Grund für meine frühe Schlaflosigkeit war und meine positive Aufregung war schlagartig wieder da. Es waren noch gut sechs Stunden bis zum Spiel, aber ich wollte so früh wie möglich in die Arena, um die Atmosphäre vor dem Spiel mit aufzusaugen. Was mich seitdem und über die Jahre hinweg immer wieder fesselt und packt an diesen Spieltagen, an denen man vor Ort ist, ist dieses Gefühl, von dem man glaubt, nachdem man es so oft erlebt hat, es würde irgendwann in Alltag übergehen, als würde man es gar nicht mehr wirklich registrieren. Dieses Gefühl, das man nur hat, wenn man selbst dabei ist, ein Ticket in der Tasche und auf dem Weg zum Stadion. Es ist ganz anders, als zu Hause auf dem Sofa zu sitzen und die Spiele von dort zu verfolgen. Ich behaupte sicher nicht, dass es nicht diese Tage gibt, an denen ich diese Variante einem Stadionbesuch vorziehe. Heute wäre ein gutes Beispiel dafür und es ist wieder eine ganz eigene Atmosphäre, wenn Würstchen auf dem Grill brutzeln und man sich mit seinen Freunden auf einen Fußballtag zu Hause vorbereitet. Alles hat seine ganz speziellen Eigenheiten, die es besonders machen, aber in der Stadt zu sein, in der man später ein Fußballspiel besuchen wird, ist für mich, auch wenn ich zum hundertsten Mal ins Stadion gehe, immer wieder ein einzigartiges Erlebnis, das wie in München, manchmal schon mit dem Frühstück anfängt. Während ich mir Rostbratwürstchen und Pfannkuchen auf meinen Teller lud, hörte ich, wie sich neben mir am Buffet zwei Männer über die Partie unterhielten und sich austauschten. Der eine trug schon sein Bayern-Trikot, der andere schien Fan der gegnerischen Mannschaft zu sein. Er ließ einen Spruch in der Art: „Heut Mittag gibt‘s aber ganz schön auf’n Sack“ und der andere grinste nur und konterte: „So sollte man nicht über seine eigene Mannschaft reden.“ An der Art, wie sie danach miteinander redeten, merkte man schon, dass sie eigentlich Fremde waren, aber das Spiel heute Mittag verband sie auf eine Weise. Würden die beiden einfach nur Urlaub machen, dann käme keiner auf die Idee, den anderen am Buffet anzusprechen, einen Spruch zu lassen und dann zurück an seinen Tisch zu gehen. Das wäre dann irgendwie unpassend und würde wahrscheinlich mit Naserümpfen und einem nicht gerade verständnisvollen Blick bedacht werden. Aber durch die am Nachmittag anstehende Partie erschien das als witzelnder Smalltalk, der die Stimmung irgendwie allgemein auflockerte. Irgendwie verdeutlicht das in kleinem Ausßam, was bei einer WM passiert, dass man sich plötzlich geeint und als Nation fühlt, dass man etwas hat, was einen verbindet und auf das man stolz sein kann, ein Team mit dem man mitfiebert und leidet, ein Ereignis, das eine Lawine an Emotionen auslöst, mit dem man vielleicht bestimmte eigene Erfahrungen verbindet. So wie ich, dem ja diese Tage in München irgendwie was bedeuten, kann man sagen, obwohl ich mich im Moment anhöre als würde ich über jemand anderen reden und nicht über mich selbst, was irgendwie komisch klingt. Sei’s drum, das Spiel war nur die Rahmenbedingung für das, was ich mit dieser Stadt und diesem Gefühl verbinde. Es war der Anlass für eine Zeit, in der noch viel mehr passiert ist, an das ich mich erinnere und das hängt auch mit diesem Gefühl zusammen. Auf dieses Phänomen hat der Fußball sicher kein Monopolrecht. Ich denke, wahrscheinlich hat jede Sportart die Möglichkeit auf diese Weise zu wirken. So zum Beispiel beim Wintermärchen der Handballer 2006, die im eigenen Land Weltmeister wurden. Ich selbst, kein besonders interessierter Handball-Zuschauer, hab mich packen lassen von der Atmosphäre in den Hallen und hab am Ende jedes Spiel gebannt verfolgt. Und was in den Staaten jährlich beim Superbowl immer los ist, das ist eine Kategorie für sich. Das unverwechselbare Kribbeln im Bauch geht beim Frühstück in diesem Moment los und beim ersten Mal wusste ich es noch gar nicht richtig einzuordnen, hab es auch auf gewisse Weise nicht richtig wahrgenommen oder eventuell auch verdrängt, aber als wir dann im Taxi saßen und in der Innenstadt schon Fans in Richtung des Schlauchboots, wie mein Vater die AllianzArena nannte, pilgerten, spürte ich diese positive Nervosität. Es ist schwer, das Gefühl zu beschreiben, aber positive Nervosität passt für mein Empfinden irgendwie besser als Vorfreude. Und spätestens wenn du dann vor dem Schlauchboot stehst, selbst in der Pilgerschaar vertreten bist und darauf wartest, durch die Kontrolle zu kommen, merkst du, wie es langsam ansteigt. Mir kommt eine Spannungskurve in den Sinn, wie wir sie in Deutsch im Unterstufenunterricht gelernt hatten, um einen ordentlichen Aufsatz zu schreiben. Sie steigt immer weiter an, immer weiter, bis zum Höhepunkt und danach geht es sachte wieder runter. Aber wenn du vor dem Stadion die Fans „Wir holen die Meisterschaft“ singen hörst, denkst du zwar, dass du schon relativ weit oben auf der Kurve bist, doch im Stadion geht die Steigerung dann noch deutlich nach oben. Es war erst Mittag und die Arena war noch nicht erleuchtet und trotzdem machte sie einen majestätischen Eindruck. Ich trat ein und vor mir tat sich ein ähnliches Gewusel wie in der U-Bahn auf, auch wenn die Leute hier deutlich gesprächiger und besser gelaunt schienen, was ich persönlich auch gut nachvollziehen konnte. Vor den Snackbuden bildeten sich meterlange Schlangen, an den Bierbuden waren es offenbar mehrere Kilometer. Es war ziemlich dunkel und kühl in der Arena, was auch ein bisschen an die U-Bahn erinnerte, mit einem Unterschied, der mein Herz höher schlagen ließ und der auf der Spannungskurve nochmal einen deutlichen Satz nach oben verursachte. Hinter den Schlangen von hungrigen und durstigen Fußballfans konnte man durch eine schmale Öffnung einen ersten Blick auf das Innere der Arena und des Heiligen Rasens erhaschen. Ich schob mich langsam durch die Menschenmengen immer weiter hin zu dieser Öffnung. Langsam war wohl das falsche Wort, denn ein Fan, den ich, meiner Auffassung nach, sanft beiseitegeschoben hatte, hätte beinahe seine acht Bierbecher, die er mit Mühe an die Brust gepresst hatte, auf dem gesamten Boden der Arena verteilt. Ich schätze, das hätte seine Stimmung etwas getrübt. Wie aus weiter Entfernung hörte ich seine lautstarke Beschwerde über mein rüdes Verhalten, da mein Blick und mein Gehör nur auf den Eingang zur Tribüne gerichtet waren. Ich trat aus dem Halbdunkel der Vorhalle und gleisendes Sonnenlicht blendete meinen Blick. Während sich meine Augen noch an das Licht gewöhnen mussten, hörten meine Ohren schon die hallenden Fangesänge der Südkurve. Ich blinzelte ein paar Mal und sah dann in das weite Rund der Arena. Auf der Gegengerade konnte man Menschen wuseln sehen, die so groß wie Ameisen erschienen. Meine Eltern hatten wohl meinen tranceartigen Zustand registriert und schoben mich langsam zu unseren Plätzen, darauf achtend, dass ich nicht stolperte, da mein Blick wie gebannt jeden Winkel des Stadions erkundete. Sobald wir saßen, sog ich jeden Moment in mir auf. Daddy-Joe stand zwischendurch mal auf und holte uns was Essbares. Als er wieder kam, erschrak ich, da ich seine Abwesenheit gar nicht bemerkt hatte, so sehr war ich damit beschäftigt, die Bayern-Spieler beim Warmmachen zu verfolgen, das Stadion dabei zu beobachten, wie es langsam immer voller wurde und der Südkurve zu lauschen, die das ganze Repertoire an Gesängen schon beim Warmmachen verlauten ließ. Meine Mutter stieß mich von links an. Ich wusste zuerst gar nicht, was sie wollte, weil ich auf den Rasen fokussiert war, aber nach ein paar Momenten sah ich, dass Leute durch unsere Sitzreihe gehen wollten und ich stand genervt auf. Ich achtete nicht besonders auf sie und war froh als sie direkt neben mir Platz nahmen, sodass ich wieder freie Sicht auf das Spielfeld hatte. Die Mannschaften schlenderten nun nach und nach in die Kabine, es würde also nicht mehr so lange dauern, bis es endlich losging. Noch ein kurzes Heißmachen in den Katakomben und dann würden sie auch schon einlaufen, es ging auf der Spannungskurve immer weiter nach oben. Ich ließ meinen Blick durch das weite Rund der Arena schweifen und hörte von links, wie die Leute, die sich eben an mir vorbeigedrängelt hatten redeten. Es waren zwei Frauenstimmen. Oh Gott, Frauen und Fußball, dachte ich, das konnte ja nichts geben. Ich versuchte angestrengt wegzuhören, was mir aber nicht wirklich gelang, also versuchte ich so zu tun, als würde ich das Stadion nach irgendjemand absuchen. „Hoffentlich lässt er heute mal wieder im 4-2-3-1, mit Schweini und Kroos auf der Sechs spielen“, sagte eine weiche Stimme direkt neben mir. „Die Zweikampfwerte von Tymoshchuk kann man wirklich vergessen in dieser Saison und die anderen pressen bestimmt heute.“ Überrascht von so vielen Fachbegriffen in zwei Sätzen aus einem weiblichen Mund über Fußball, blickte ich verwundert nach links. Dort saß ein Mädchen mit ihrer Mutter. Und der erste Gedanke, der mir kam, ohne dass ich irgendwas dagegen machen konnte, war, dass sie süß war, irgendwie. Sie hatte dünne braune Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sie hatte sie aber nicht ganz streng zurück, sondern einige ihrer dünnen Strähnen fielen ihr seitlich ins Gesicht, was den Eindruck erweckte, als wäre ihr Gesicht eingerahmt. Sie hatte blasse Haut, nicht die Blässe, die man hat, wenn man krank ist, es wirkte eher anmutig und elegant. Und grüne Augen. Das Zusammenspiel all dieser Faktoren machte sie süß, und zwar verdammt richtig süß. Sie trug ein Trikot des FC Bayern, aber nicht das offizielle, es war irgendwie eine Girlie-Version, wahrscheinlich das der Damenmannschaft des FCB, was ihr aber ausgezeichnet stand. Nun gut, rückblickend kann man sagen, dass ich sie wahrscheinlich auch im Trikot der Gästemannschaft ziemlich gut gefunden hätte, aber das machte sie noch ein paar Prozent sympathischer. Ich musste sie irgendwie eine Zeit lang angestarrt haben, ohne dass ich es wirklich gemerkt hatte, dann auf einmal schnipste sie vor meinen Augen mit dem Finger und sagte: „Ich bin Liz.“ Ich wurde rot, spürte es auch und wurde dann noch verlegener. Sie kicherte. „Auch Bayern Fan?“, fragte sie und lächelte dabei. Ich vergaß kurz zu antworten, weil ich so verzaubert von dem Lächeln war. Wenn ich jetzt so daliege und mir dieses Wort in den Kopf schießt, hört sich das irgendwie so gar nicht nach einem Gefühl an, mit dem ich mich brüsten würde und das ich benutze, wenn ich mit Freunden über Mädchen reden. „Man Alter, letztens in der Disko, die kleine mit dem tief ausgeschnittenen schwarzen Top, der ich ´nen Drink spendiert hab. Fuck, die hat mich echt verzaubert.“ Ich lache beinahe lauthals los im Bett, aber irgendwie war es damals so und das Wort passt. Sie hat es einfach getan und es geschah so beiläufig und unerwartet, dass es sich auch magisch anfühlte. Ich bemerkte, dass sie mich immer noch fragend ansah und deutete dann hastig auf mein Trikot. „Bist du stumm?“, fragte sie dann und hatte plötzlich eine ernste Miene aufgesetzt. „Ne“, krächzte ich hervor und es musste sich ungefähr so angehört haben, als würde ich mit meinen Fingernägeln über eine Tafel kratzen. Ich räusperte mich, versuchte mich zu entspannen und ein verschmitztes Grinsen aufzusetzen und sagte: „Nene, wollte nur meine Stimme für das Spiel schonen.“ War eigentlich ein ganz guter Konter, überlegte ich und klopfte mir innerlich selbst auf die Schulter. Normal hab ich das Problem, dass mir erst hinterher immer die coolen Sprüche einfallen und ich in den Gesprächen irgendwas Belangloses brabbele, aber damals, ich meine, das war ja echt nicht schlecht, oder? Gut, sie entgegnete dann: „Dann lass mal sehen“, und als der Stadionsprecher die Vornamen der Spieler vorlas und das ganze Stadion die Nachnamen brüllte, war sie ungefähr 20 Dezibel lauter als ich, was mich irgendwie beeindruckte und sie dazu veranlasste, sich über mich lustig zu machen. Während der ersten Halbzeit war sie dann total auf das Spiel fokussiert. In den ersten zehn Minuten blickte ich noch ein paar Mal zu ihr rüber, um ein Grinsen zu erhaschen, aber sie blickte wie gebannt auf den Rasen, was ich ihr dann gleichtat. Das Spiel war sehr zerfahren. Obwohl es kein spielerisches Gipfeltreffen war, war ich begeistert davon, alles live miterleben zu können. Ich sog jede Grätsche, jeden empörten Aufschrei der Fans, wenn der Schiedsrichter eine Entscheidung fällte, die ihnen nicht passte, jede Bewegung der Spieler und Trainer in mir auf, beschimpfte den Schiri selbst als Blinden, was mir von Liz ein belustigtes Lachen einbrachte. Es ging mit einem torlosen Unentschieden in die Pause. In der Pause erzählte mir Liz, dass sie in der U16 der Mädchenabteilung des FC Bayern kickte und auch in der Landesauswahl von Bayern war. Ich musste einen überraschten Eindruck auf sie gemacht haben, weil sie fragte, ob ich ihr das nicht zugetraut hätte. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass alle fußballspielenden Mädchen, die ich kannte, bei weitem nicht so gut aussähen wie sie und da wurde auch sie mal rot. Sie erzählte mir von ihrem Leben im Sportinternat, dass sie immer Freikarten bekam, wenn sie wollte und dass sie vielleicht sogar Karten fürs Champions-League Endspiel bekommen würde, das ja im Mai in München stattfand. Ich berichtete davon, wie sehr die Stadt mir gefiel, was wir alles hier schon unternommen hatten und fragte sie danach aus, wie es war, hier zu leben. Nach einer viertelstündigen Halbzeitpause, in der wir ununterbrochen redeten, wusste ich mehr über sie, als über manche Mädchen, mit denen ich seit der ersten Klasse zur Schule ging. In der zweiten Halbzeit legten unsere Bayern dann direkt mal los wie die Feuerwehr. Gomez tauchte allein vor dem gegnerischen Kasten auf, schob das Ding aber hauchzart am linken Pfosten vorbei. Schweinsteiger zimmerte ein Ding gegen die Latte, dass das Tor am nächsten Tag noch wackelte. Ich war aufgestanden, schon zum Jubeln bereit, aber als der Ball vom Aluminium zurück ins Feld geschleudert wurde, konnte ich mir nur noch die Haare raufen. Liz sah mich ungläubig an. In der sechzigsten Minute war es dann soweit: Nach einer Ecke von Arjen Robben schraubte sich der belgische Abwehrrecke Daniel van Buyten nach oben, er stand in der Luft und nickte problemlos ein. Es ist immer ein komischer Moment - voller Ruhe und Stille. Würde man genau in dem Moment die Welt anhalten, indem ein Ball das Netz berührt, würde man im ganzen Stadion eine Stecknadel fallen hören. Dieser Moment, in dem sich jeder bereit macht zum Jubeln oder zum Trauern. Und dann war er auch schon vorüber. Ich sah Leute überall um mich herum von ihren Sitzen gehen und aufspringen. Ich wollte mit Liz abklatschen, aber sie fiel mir um den Hals und jubelte Arm in Arm mit mir. Zurückblickend kann ich sagen, dass das wohl der Höhepunkt der Spannungskurve war. Ich genoss das sehr, wie sie sich so an mich drückte, sie roch gut, irgendwie vanillig, aber dann war es auch schon wieder vorbei. Das Spiel plätscherte nach dem Tor ein bisschen dahin, die Bayern spielten es abgezockt runter. Nach dem Spiel musste Liz direkt los. Wir verabschiedeten uns mit einer flüchtigen Umarmung. „Vielleicht sehen wir uns ja mal, wenn du wieder in der Stadt bist“, sagte sie, aber es lag eine gewisse Traurigkeit in ihren Augen, weil irgendwie klar war, dass die Chance darauf so groß war, wie auf einen Gewinn im Lotto. Ich saß da, während die Spieler ihre Ehrenrunde drehten und warf meine letzten Blicke auf die Allianz Arena von innen, die Kurve ging langsam nach unten, es war an der Zeit die Rückreise anzutreten. Beim Hinausgehen suchten meine Augen die Menschenmenge ständig nach Liz ab, in der Hoffnung, irgendwie vielleicht noch einen Blick von ihr zu bekommen, aber ich fand sie nicht. Vom Auto aus verrenkte ich mir ewig den Kopf, um die strahlendrot erleuchtete Arena nicht aus den Augen zu verlieren, aber dann ging es auf der Autobahn um eine Kurve und weg war sie. Auf der Rückfahrt schlief ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten auf einer Autofahrt nicht ein, sondern ließ das gesamte Wochenende noch einmal Revue passieren. Es ist schon komisch, dass obwohl man erst so eine kurze Zeit irgendwo verbracht hat, sich schon wie zu Hause fühlt. Mich ergriff wieder dieses Alles-Hinter-Sich-Lassen-Gefühl, dass ich schon am Flughafen hatte. Was wäre so schlimm daran, morgen hierher zu ziehen? Ich wollte einfach nicht weg, ich war sauer, dass ich in einem Scheißkaff geboren war und nicht in der tollsten Stadt der Welt, in der eines der tollsten Mädchen der Welt wohnte, das ich bisher kennenlernen durfte. Ich war verknallt. In die Stadt, in Liz, in das Leben, das ich dort ein paar Tage lang genießen durfte. In ein paar Stunden würde ich daheim in mein Bett fallen und morgen früh aufstehen, in die Schule gehen und die ganzen alten Gesichter sehen. Ich fühlte mich ungerecht behandelt, wollte zurück. Ich war kurz davor meinem Vater zu befehlen, dass er umkehren sollte, konnte mich dann aber gerade so noch beherrschen. Aber gleichzeitig weiß man auch irgendwie, dass man in ein paar Tagen wieder im Alltag ist und dann nur noch vereinzelt daran denkt, dass einen die Freunde und die Fußballmannschaft auffangen, total unbewusst, weil sie vielleicht gar nichts Spezielles machen, aber einfach da sind - so wie immer und das ist eigentlich ganz gut.
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