Der Golan-Marathon
Yassin Nasri
Autos finden alleine ihren Weg nach Hause zurück, Häuser ändern beliebig ihre Farben und Polizeidrohnen fliegen über die Köpfe der Bürger. Doch damit nicht genug: Im Jahre 2033 herrscht auch im Mittleren Osten ein dauerhafter Frieden und die dortigen Staaten sind einschließlich Israel in der Ugarit Union vereint. Die gesamte Region, insbesondere Syrien, hat sich ökonomisch, ökologisch und gesellschaftlich zu einem Vorbild für die ganze Welt entwickelt.
Als der junge Deutsche Andy im Herbst 2033 geschäftlich nach Aleppo reist, trägt er ein völlig veraltetes Bild von der Heimat seiner Eltern im Kopf. Seine Eltern verließen Syrien noch vor dem Krieg, um in Deutschland ein Leben frei von Diktatur und religiösem Fanatismus aufzubauen. Überrascht von dem orientalischen Charme und von dem gesellschaftlichen Fortschritt verlängert er seinen Aufenthalt und begibt sich auf eine Entdeckungsreise ins Innere des Landes. Dort lernt er nicht nur interessante Persönlichkeiten und eine vermeintliche Liebe kennen, sondern er erfährt auch die Wahrheit über die Vergangenheit seiner Eltern, bisher ein von ihnen gut gehütetes Geheimnis.
Andy beschließt, an dem berühmten Friedensmarathon durch die Golanhöhen teilzunehmen, mit einem unvorhersehbaren Ende.
YASSIN NASRI, geboren 1966 in Damaskus, Syrien. 1987 wanderte er nach Deutschland aus und studierte Architektur an der TU Braunschweig. Neben seinen schriftstellerischen Aktivitäten ist Yassin Nasri auch als internationaler Business Development Consultant tätig. 2011 veröffentlichte er im VAT-Verlag seinen ersten Roman „Ich will kein Flachdach sein“.
Originalausgabe 2015
Herausgeber: Yassin Nasri
Lektorat: Petra Seitzmayer, Mainz
Umschlaggestaltung und Satz:
Malika Wichtendahl,
gestaltungsraum wichtendahl, Dresden
Manuela Vock, vockdesign, Dresden
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2015
ISBN: 978-3-7375-5476-3
Obgleich dieser Romans in der Zukunft spielt, beruht er auf historischen Fakten. Es wird dabei auf real existierende politische Ereignisse und Personen Bezug genommen. Davon ausgenommen sind die Figur des Protagonisten, seine Familie sowie seine Freunde und Bekannte. Hier ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Schilderungen, diese Personen betreffend, eine reine Fiktion sind. Jede Ähnlichkeit mit Namen oder Schicksalen lebender oder verstorbener Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
www.golanmarathon.com
„Heimatlosigkeit ist das schöne Gefühl, in der Welt zu Hause zu sein.“
Der Heimatlose
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Dresden, Herbst 2033
Im Elternhaus
Die schwere Last der Vergangenheit
Der Heimatlose
Das Himmelsfenster von Aleppo
Die Verlängerung
Das Museum der Zukunft
Lina
Der Atheist
Selma & Aaron
Munas Geheimnis
Osamas Geheimnis
Der Golan-Marathon
Epilog
Prolog
Drei Schüsse waren auf dem Platz der Könige Israels in Tel Aviv zu hören. Die Schwerkraft zog einen Mann zu Boden. Er starb und mit ihm wurde die Zuversicht auf Frieden begraben. Eine Mauer wurde gebaut - ein Grabmal der Hoffnung. In einem fernen Land statteten zwei Passagierflugzeuge zwei Türmen einen tödlichen Besuch ab. Eine Mischung aus Blut, Öl, Feuer und Asche ebnete dem Hass seinen Weg, der in den fernen Nahen Osten führte. Ein tunesischer Mann konnte das Unrecht nicht mehr ertragen. Er zündete sich auf offener Straße an. Sein Tod markierte die Geburt eines Arabischen Frühlings, der keiner war. Diktatoren fielen und neue kamen. Der Hartnäckigste unter ihnen thronte über Damaskus. Er dachte über alles nach, nur nicht darüber abzutreten. Menschen tanzten auf den Straßen bis die Kugeln des Herrschers ihre Körper durchlöcherten. Eine Bombe suchte und fand ihr Ziel. Das war alles kein Problem. Aus einer Bombe wurden tausende. Ein ganzes Land versank in Chaos, Trauer und Hass. Religiöser Fanatismus gewann die Oberhand und die Tränen nahmen eine ungewöhnliche Farbe an – die Farbe Rot.
„Nein!“ Ein brüllendes und laut heulendes „Nein“ brachte den Himmel zum Weinen. Eine Welt wie diese konnten und wollten wir nicht akzeptieren. Die drei Geschosse prallten gegen die Sicherheitsweste von Isaak Rabin. Die Hülsen fielen der Schwerkraft gemäß zu Boden. Rabin überlebte.
Eine Mauer wurde nie gebaut und die Menschen hofften weiter, bis der Frieden kam.
In einem fernen Land berührten nur die Schatten zweier Passagierflugzeuge zwei Türme. Solche „Streicheleinheiten“ bekamen weltweit tagtäglich tausende Bauten. In Tunis zündete sich ein Mann auf offener Straße an. Sein Tod markierte die Geburt eines Arabischen Frühlings, der ein echter Frühling wurde. Diktatoren fielen. Doch Nachfolger gab es keine. Der Hartnäckigste unter ihnen dachte über alles nach, sogar über das Zurücktreten. Er beugte sich dem Druck der eigenen Bevölkerung sowie der Weltbevölkerung und dankte ab. Menschen tanzten Tag und Nacht auf den Straßen, bis das Land des Diktators frei und demokratisch wurde. Freiheit, Frieden und Demokratie besiegten den religiösen Fanatismus, die künstlichen Grenzen und bescherten dem gesamten Nahen Osten Wohlstand. Die Farbe Rot existierte weiter, wenn auch nicht in den Tränen der Menschen. Schließlich ist sie auch die Farbe der Liebe und der Leidenschaft.
Und wieder ein „Nein“, ein leises und nachdenkliches „Nein“. Die Vergangenheit können wir nicht ändern. Aber es liegt in unseren Händen, die Zukunft zu gestalten. Ja, Rabin ist tot. Auch wurde eine Mauer gebaut und der Arabische Frühling erwies sich als eine Missgeburt. Der Hartnäckigste unter den Diktatoren dachte nicht daran abzutreten. Menschen wurden von Kugeln durchlöchert und tausende Bomben trafen beliebige Ziele. Ein ganzes Land versank in Chaos und Trauer – ein idealer Nährboden für Hass und religiösen Fanatismus. Nur die Hoffnung war nicht tot, denn sie ist einfach unsterblich.
Dresden, Herbst 2033
Er atmete schnell und gleichmäßig. Sein Blick war nach vorne gerichtet, dennoch nahm er die Randbereiche des Weges wahr, als hätte er Fischaugen. Seine Ohren waren gespitzt wie die eines Wachhundes. Seine Nase nahm alle Gerüche des Waldes auf und er atmete sie genüsslich ein. Andy rannte. Er rannte im Wald – auf der Dresdner Heide. Das tat er täglich, bei jedem Wetter, jeweils für eine Stunde. Dabei ging es ihm um viel mehr als um das Laufen an sich. Er war von dem Wald mit all seinen Düften, Geräuschen und Eindrücken besessen, zumal er sich jeden Tag anders anfühlte, aussah und roch.
Andy joggte immer am späten Nachmittag in der Dämmerung und manchmal rannte er sogar im Dunkeln. Aus beruflichen Gründen konnte er nicht früher laufen gehen. Damit verpasste er zwar das imposante Lichtspiel der durch die Baumkronen fallenden Sonnenstrahlen. Dafür aber konnte er jene Unheimlichkeit des Waldes bei Einbruch der Dunkelheit genießen.
Berauscht von den Eindrücken des Waldes bog Andy in die Jägerstraße ein. Als er seine geräumige Wohnung in der Marinenallee im Preußischen Viertel erreichte, war es bereits spät am Abend.
Er trat ein. Ohne durch die Küche zu gehen, wo Carla das Abendessen vorbereitete, lief er ins Schlafzimmer, zog seine durchgeschwitzte Sportkleidung aus und sprang nebenan in die Dusche. Unter dem laufenden Wasser ließ er seinen Rausch abklingen. Während das Wasser über seinen Körper floss, dachte er über seine anstehende erstmalige Reise nach Syrien nach.
Mit halb getrockneten Haaren betrat er die Küche. Carla saß schon am gedeckten Tisch. Außer Brot, Salat und dem Üblichen aus dem Kühlschrank gab es nichts Besonderes. Mehr als ein knappes „Hallo“ sagten sie einander nicht. Schweigend begannen beide, ihre Brote zu schmieren.
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