Sabine von der Wellen - Eine unglaubliche Welt

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In Ankum verschwinden Kinder. Einfach so. Spurlos. Gerrits Schwester Nina ist das einzige Mädchen unter den Vermissten und Gerrit hat eine dunkle Ahnung, dass eine Katze mit dem Verschwinden zu tun hat. Auch er folgt dem Tier und bricht an einer Senke in einem Waldstück in den Erdboden ein, wo einst ein Fluch ein Gasthaus im Erdreich versenkte. Gerrit landet in einem Höhlenlabyrinth und gerät zwischen die Fronten der unterirdisch lebenden Völker, die in einen Krieg über die Macht in ihrer Welt verstrickt sind. Gerrit erkennt bald, dass Mut alleine oft nichts ausreicht, sondern dass Vertrauen und Freundschaft das höchste Gut sind. Und er erfährt, dass die Kinder aus Ankum sich auch in dieser Welt befinden. Gerrit macht sich auf die Suche nach ihnen und hofft seine Schwester retten zu können, die wie er, zu einem Spielball zwischen den Mächten geworden ist.

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Benommen und nach Luft japsend gleitet er zur Seite und wird wieder ohnmächtig.

Ein schrecklicher Geruch schlägt ihm entgegen und etwas Nasses berührt sein Gesicht, als er die Augen wieder aufschlägt. Schnell schließt er sie wieder und kneift den Mund zusammen.

Über ihm steht dieses seltsame Wesen und leckt ihm das Gesicht ab.

Angeekelt setzt sich Gerrit schnell auf, um dem zu entgehen. Dabei purzelt das Etwas von ihm herunter und steht hechelnd und schwanzwedelnd wie ein dunkler Schatten vor ihm.

Der Junge blinzelt benommen. Sein Gefängnis scheint nicht mehr so dunkel zu sein. Etwas um ihn herum lässt seine Welt heller wirken.

Gerrit starrt das Tier vor sich widerwillig an. Das ist kein Hund! Das ist auch ganz sicher keine Katze! Dem seltsamen Schwanz nach zu urteilen, den das Tier auf den Rücken legt, wenn es gerade nicht damit herumwedelt, könnte es ein riesiges Eichhörnchen sein. Doch der Kopf ähnelt einem Fuchs mit einer ausgesprochen langen Schnauze und die seltsamen hellen Streifen auf dem dunklen Fell gleichen einem Dachs.

Nun steht dieses seltsame Tier vor Gerrit und hält in seiner Bewegung inne. Es scheint abzuwarten. Der Junge war ihm nicht besonders freundlich begegnet, obwohl es ihm das Leben gerettet hatte.

Gerrit ist sich dennoch nicht sicher, ob dieses haarige Etwas Freund oder Feind ist.

Als das Tier vor ihm wie ein Hund zu hecheln beginnt, entblößt es große, spitze Zähne in dem langen Maul, die selbst in dieser grauen Düsternis mächtig gefährlich aufblitzen.

Gerrit erschauert. Doch mit einem Mal senkt das Tier den Kopf und leckt über seine Hand. Erwartungsvoll sieht es ihn wieder an und wedelt mit dem buschigen Haarstrang am hinteren Ende des kleinen Körpers.

Das Tier ist viel zu sehr Hund, als dass es Gerrit noch länger Angst einjagen kann. Außerdem hat es ihn gerettet und hätte ihn schon längst beißen können. Aber bisher war es ihm nur freundlich begegnet.

So streckt er vorsichtig eine Hand aus, um den neuen Freund zu streicheln. Doch bevor Gerrit das drahtige Fell berühren kann, geht das Tier ein paar Schritte zurück und verschwindet dadurch fast gänzlich in der Dunkelheit, die die seichten Punkte an der Wand nicht zu erhellen vermag.

Gerrit hört ein leises Knurren.

Sofort zieht er die Hand wieder zurück.

Das Tier kommt erneut näher und setzt sich auf die Hinterbeine. Dabei wirkt es wirklich in dieser dämmrigen Dunkelheit wie ein großes Eichhörnchen.

Gerrit wünscht sich nichts mehr, als besser sehen zu können. Nun, da das Wesen nicht mehr so dicht vor ihm steht, ist es nur wieder ein Schemen … einem Schatten gleich. Somit ist er sich auch nicht mehr sicher, ob es ihm noch freundlich gesinnt ist.

„Nah, du Kleiner! Du bist doch bestimmt ein ganz Lieber?“, flüstert er mit zittriger Stimme, worauf das Tier aufspringt, mit der langen Schnauze seinen Rucksack packt und ihn hinter sich herzieht.

Gerrit sieht ihm erschrocken hinterher, einen Moment unfähig, sich zu rühren. Sein Rucksack verschwindet so schnell in der Dunkelheit, dass er kaum Zeit zum Reagieren hat.

„Halt!“, schreit er und rappelt sich, mit beiden Händen den dicken Schlangenlaib von sich schiebend, hoch.

Dieses seltsame Tier zieht den Rucksack durch eine kleine Öffnung in der Wand und ist verschwunden.

Gerrit steht hilflos vor dem kleinen Loch. Er sieht sich um und erkennt, dass er an einem dicken Stein abgeprallt war, der den gesamten Gang versperrt. Aber an einigen Stellen füllt die Masse des Steins den Gang nicht ganz aus und durch diese mehr oder weniger großen Öffnungen sieht er eine graue Helligkeit auf der anderen Seite des Ganges, die auch seinen Gang immer mehr erhellt.

„Da geht es nach draußen!“, denkt er überrascht und versucht den Stein wegzudrücken. Aber der rührt sich keinen Millimeter.

Es gibt nur den einen Weg, und zwar den, den dieses seltsame Tier auch genommen hatte.

Gerrit legt sich flach auf den Boden und streckt erst einen Arm und dann den Kopf durch die schmale Öffnung. Er quetscht sich durch das Loch, bis er endlich nur noch die Beine nachziehen muss. Dabei geht ihm die ganze Zeit die Hoffnung nicht aus dem Kopf, dass er bald in Freiheit sein wird, auch wenn er damit rechnet, dass dieses seltsame Tier Zeit genug hatte, um mit seinem Rucksack auf nimmer wiedersehen zu verschwinden. Aber das wäre ihm natürlich seine Rettung wert.

Umso überraschter ist er, als er sich endlich erschöpft aufrappelt, dass er ein Winseln hört und vor sich seinen Rucksack und dieses komische Tier sieht. Wieder wedelt der buschige Schwanz hin und her und wirbelt etwas Staub auf.

Gerrit sieht sich um. Es ist zwar alles um ihn herum viel heller, aber dennoch befindet er sich in einem weiteren Gang. Noch immer sieht er nur Steinwände und mit feuchtem, grün und gelb schimmerndem Moos bedeckte Felsen.

Die Enttäuschung drückt auf sein Gemüt, dass eben noch so voller Hoffnung war. Niedergeschlagen sieht er sich weiter nach einem Ausgang um.

Wenigstens ist es in diesem breiten Gang so hell, dass er etwas mehr erkennen kann. Es gibt nach wenigen Metern riesengroße Felsen, die mitten im Raum stehen.

Gerrit sieht nach oben und erwartet hoch über sich wenigstens etwas blauen Himmel. Doch dort ist nur, in etwa vier bis fünf Metern Höhe, ein seltsames Wurzelwerk zu sehen, das hier und da etwas Licht in die Höhle lässt.

In Gerrit steigt erneut Hoffnung auf. Er scheint ganz dicht an einem Ausweg nach draußen zu sein.

Seinen Blick auf das seltsame Wurzelwerk richtend, sucht er sich einen Weg. Um weiter in die Höhle vordringen zu können, muss er über einen uralten, schon fast vollständig vermoderten Baumstamm klettern, der scheinbar vor Urzeiten einmal mit samt seinem Wurzelwerk eingebrochen war. Doch die anderen Bäume haben mit ihren Wurzeln das große Loch wieder verschlossen und Laub und abgebrochene Zweige verdichten die kleineren Zwischenräume.

„Nur eine Frage der Zeit, wann der nächste hinunterkracht“, murmelt Gerrit vor sich hin und geht vorsichtig weiter. Leider kann er darauf nicht warten.

Tatsächlich besteht diese Höhle aus lauter großen, glatten, bis zur Decke reichenden Steinen auf denen mit ihrem verworrenen Wurzelballen, Erd- und Laubschichten große Bäume stehen. Hier und da fällt Tageslicht in die Höhle und spiegelt sich in den Wassertropfen an den Wänden und auf dem Boden tausendfach wider. Wie schön das hier unten ist, sieht Gerrit aber nicht. Er starrt nur auf das ihm so wundervoll erscheinende Licht, das von oben hereindringt und das er so gerne über der Erde erleben möchte.

Wo er sich wohl gerade befindet? Wenn er laut genug ruft, vielleicht hört ihn jemand?

„Hilfe!“, schreit er aus Leibeskräften.

Schon purzeln ihm einige Steinchen entgegen.

Der seltsame Vierbeiner, der die ganze Zeit bei dem Rucksack gehockt hatte, springt auf und verzieht sich winselnd unter einer steinernen Ausbuchtung in der Wand.

„Hallo, hört mich denn keiner? Ich bin hier u…“

Über Gerrit knackt es laut und eindringlich. Der Boden scheint leicht zu erbeben. Er sieht sich gehetzt um und findet den kleinen Vierbeiner unter dem Steinversatz geduckt hocken und ihn ängstlich anstarren.

„Ich soll besser nicht so schreien, meinst du?“, flüstert Gerrit ihm zu und erntet dafür ein kurzes Schwanzwedeln. Er sieht zur Decke hoch und blickt sich voller Tatendrang um.

„Ich muss da aber hoch! Das muss doch irgendwie gehen!“

Er schaut an einem großen Felsen hoch und versucht ihn zu erklimmen. Aber das jahrhundertelange Rinnen von Regenwasser hatte die Steine glattgeschliffen und rutschig gemacht und keine Wurzel reicht tief genug hinab, um sich daran hochzuziehen. Er hat keine Chance. Außerdem wird er es nicht schaffen, durch das dichte Wurzelwerk, das sich wie ein dichter Teppich verwoben hat, an die Oberfläche zu kriechen.

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