„Meine Taschenlampe!“, schießt es ihm durch den Kopf, als ihm bewusstwird, was so laut scheppernd zu Boden gefallen war.
Sofort lässt er sich auf die Knie sinken und tastet alles nach ihr ab. Aber der Boden unter ihm ist schwarz wie die tiefste Nacht und er kann noch nicht einmal seine suchenden Hände auf dem kalten Stein sehen. Dennoch sucht er fieberhaft weiter, findet aber außer ein paar Steinen und seltsam schlierigen Pflanzenwucherungen nichts.
Er setzt sich enttäuscht und mutlos auf den kalten Boden. Tränen der Verzweiflung und Angst verschleiern ihm den Blick und er versucht sie niederzukämpfen. Er will nicht weinen. Er darf auch gar nicht weinen. Er muss seine Taschenlampe wiederfinden. Irgendwo muss sie doch sein!
Erneut rafft er sich auf und kriecht tastend den ganzen Boden ab. Seine Hose trieft vor Nässe und an seinen Handflächen fühlt er matschigen Schleim, der in den winzigen Rissen, die er sich durch spitze Steine zugezogen hat, brennt. Die Höhle scheint etwas zu einer Seite abzufallen. Wahrscheinlich ist die verdammte Lampe irgendwohin gerollt.
Gerrit kriecht auf allen Vieren weiter und sucht mit seinen Händen erneut den dunklen Grund ab.
Er ist schon bis auf der anderen Seite der Höhle angekommen, als ein Geräusch ihn zusammenfahren lässt. Schnell reißt er den Kopf hoch und spürt einen kalten Luftzug, der ihm, mit einem seltsamen Geruch vermischt, ins Gesicht bläst. Gerrit streckt vorsichtig tastend eine Hand aus und fühlt über den kalten Stein der Wand. Plötzlich reißt er erschrocken seine Hand zurück, die einen Moment ins Leere griff und erstarrt. Vor ihm muss ein weiterer Gang sein, zu klein für ihn, aber groß genug, dass sich dort etwas anderes verbergen kann.
Er horcht angestrengt. Irgendwie meint er, Geräusche zu vernehmen, kaum hörbar und vielleicht auch nur seiner Fantasie entsprungen.
Gerrits ganzer Körper zittert vor Anspannung und seine Handgelenke und Knie schmerzen von dem Gewicht, weil er sich die ganze Zeit auf allen Vieren vorwärtsbewegt hatte.
Plötzlich hört er ganz deutlich ein Knurren und zwei große, grüne Augen blitzen ihn eine Sekunde lang an.
Einen Augenblick denkt er, das kann nur die verdammte Katze sein. Aber er hat gar keine Lust, es drauf ankommen zu lassen. Zumal er auf allen Vieren kniend sein Gesicht direkt in der Höhe des Loches hat.
Er springt auf die Füße, was ihn fast über seinen Rucksack stolpern lässt, dessen Riemen er um einen seiner Füße geschlungen hatte und sucht gehetzt nach etwas, wohin er sich wenden kann. Er glaubt, dass jeden Moment die Katze oder ein anderes schreckliches Vieh über ihn herfällt.
Er packt seinen Rucksack und taumelt durch die Dunkelheit, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Dennoch kann er vor sich nichts weiter ausmachen als einen erneuten Luftzug, der kräftiger ist als alles Vorherige.
Gerrit tastet die Wand ab und findet ein Loch. Es scheint ein weiterer Gang zu sein, der auch irgendwie nicht ganz so schwarz scheint, wie das Loch mit den grünen Augen.
Ohne weiter zu überlegen, rennt Gerrit los, gefolgt von dem bösartigen Knurren. Die Angst treibt ihn vorwärts und er stolpert, die Arme weit vor sich gestreckt, durch die Dunkelheit. Seltsame grünliche und gelbe Ablagerungen leuchten von den Wänden wieder, und lassen seine Umgebung nicht ganz so tiefschwarz und undurchdringlich wirken. Wo mehr von diesen seltsamen Punkten die Wände bedecken, ist es sogar so grau um ihn herum, dass er den Grund vor seinen Füßen sehen kann. Durch die seicht schimmernden Wände kann er den Weg erahnen und schneller laufen.
Ein kurzes Jaulen echot durch den Gang und er wagt nicht zurückzusehen. Aber immer deutlicher vernimmt er, außer seinen eigenen polternden Schritten, das Stampfen vieler kleiner Füße, die nur so über den Boden fliegen. Sie kommen so unheilvoll schnell näher, dass Gerrit schon die Reißzähne im Genick zu spüren glaubt. Der Gang scheint endlos und Gerrit strauchelt voran. Mittlerweile quält ihn heftiges Seitenstechen und er keucht laut vor Anstrengung. Die Füße hinter ihm sind schon so dicht, dass sie ihm fast auf die Hacken treten müssen. Gerrit wagt aber nicht sich umzudrehen, aus Angst, dann ins Stolpern zu geraten. Aber die Füße sind so dicht hinter ihm, dass er bestimmt jeden Augenblick von der Wucht des sich auf ihn stürzenden Tieres zu Boden geschleudert wird.
„Jetzt hat es mich!“, denkt er noch und schließt einen Moment entsetzt die Augen.
Seine Ohren hören längst, was sein Kopf nicht so recht wahrhaben will. Als Gerrit schnell die Augen aufreißt, hört er, wie etwas an ihm vorbeischießt. Kurz blicken ihn die grünen Augen an und er hört das Keuchen und Hecheln wie bei einem Hund und sieht dessen schemenhafte Gestalt. Dann läuft das komische Tier weiter den Gang entlang.
Gerrit wird sofort langsamer und sieht kurz noch in der Finsternis einen wild wedelnden buschigen Schwanz, der aber sofort darauf von der Dunkelheit verschluckt wird.
Er bleibt stehen, beugt sich keuchend vornüber und stützt seine Hände auf die Knie ab.
„Das gibt es doch gar nicht“, murmelt er kopfschüttelnd. „Da renn ich wie ein Bekloppter weg und das Vieh tut mir gar nichts.“
Der Junge erhebt sich stöhnend und reibt sich die Seite, in der es bei jedem Atemzug höllisch zieht. Er lehnt sich an die Wand und schließt erleichtert einen Moment die Augen.
Ihm ist nichts passiert und er hatte so eine Angst!
Plötzlich hört er erneut ein beunruhigendes Geräusch, das ihn zusammenfahren lässt. Es scheint ihm, als hätte jemand einen Stein auf dem kalten Boden verschoben.
Gerrit sieht den Gang zurück. Doch in der grauen Dunkelheit kann er noch nicht einmal in zwei Meter Entfernung einen Bären erkennen. Aber irgendetwas scheint sich ihm schnell zu nähern und sofort springt sein Adrenalinspiegel erneut in die Höhe und lässt ihm den Schweiß auf die Stirn treten.
Sein Herz beginnt zu rasen und er weiß nicht, ob er abwarten oder gleich davonrennen soll.
Plötzlich nimmt er eine Bewegung, oder ist es nur ein Geräusch, in dem Höhlengang wahr. Etwas Großes, dicht am Boden kriechendes, kommt schnell näher. Nun ist es schon so nah, dass Gerrit wirklich in der Dunkelheit eine Bewegung ausmachen kann.
Er überlegt nicht mehr länger und rennt los, weiter den Gang entlang, dem schon vorher dieses seltsame Tier genommen hatte, das in so panischer Angst an ihm vorbeigerannt war. Nun wird Gerrit klar, wieso.
Er hört ein Zischeln hinter sich und versucht, sein Tempo noch zu steigern. Kurz wirft er einen Blick zurück und glaubt, einen riesigen Schlangenkopf dicht hinter sich ausmachen zu können. Das Tier zischt mit seiner gespaltenen Zunge hinter ihm her und Gerrit sieht sich schon von dem Tier gebissen und vergiftet. Völlig verzweifelt rennt er um sein Leben.
Auf einmal scheint der Gang zu Ende zu sein. Vor ihm prangt etwas Riesiges, Graues empor. Noch bevor er abbremsen kann, prallt er aus vollem Lauf vor eine Mauer. Ihm wird schwarz vor Augen und er sinkt ohnmächtig zu Boden.
Ein seltsamer Schmerz durchfährt seine Glieder, als er sein Bewusstsein langsam wiedererlangt. Er braucht einige Sekunden, um zu erkennen, was eigentlich los ist. Doch länger auch nicht, da spürt er schon den dicken, ledrigen Leib einer Schlange um seinen Hals. Ein Teil dieses scheußlichen Tieres kann er wie einen grauen Schatten um seinen Bauch und um sein rechtes Bein sich winden sehen. Voller Entsetzen will er schreien, doch sein Körper ist wie gelähmt. Seine Knochen drohen der Kraft des Tieres nachzugeben und ihm bleibt die Luft weg. Der Schlangenkörper hat sich um ihn geschlungen wie ein Schraubstock und versucht ihn zu zerquetschen.
Gerrit schnappt nach Luft und schreit heiser keuchend auf. Da sieht er plötzlich einen Schatten aus einer Ecke preschen und sich auf die Schlange stürzen. Dem Jungen schwinden schon wieder die Sinne, als er noch wahrnimmt, wie dieses haarige Etwas seine langen Zähne direkt hinter dem Kopf der Schlange vergräbt und heftig zu schütteln beginnt. Etwas Feuchtes spritzt Gerrit ins Gesicht, doch er kann wieder besser atmen. Gierig zieht er die Luft in seine Lunge und spürt, wie der ganze Druck von seinem Körper abfällt.
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