Am unteren Rand des Blattes standen noch drei Zeilen, mit blauem Farbstift geschrieben:
»A. Bone starb am 14. Februar. Harry, der Barmann, 18b Calle Rosina, B. A., sehr krank.«
Peter Dewins Augen glänzten. Ohne Zögern faltete er die Papiere wieder zusammen, steckte sie in seine Tasche und wollte den Bauplan eben in die Schublade legen, als er den Namen des Architekten und das Datum las. Warum hatte Joe Farmer diesen Plan so lange aufgehoben? Ohne Gewissensbisse schob Dewin auch den Plan in seine Tasche. In diesem Augenblick hörte er ein Klopfen an der Haustür. Er schaute sich schnell noch einmal im Zimmer um, schob dann die Rolljalousie des Schreibtisches hoch und schloß ab, bevor er Oberinspektor Clarke die Haustür öffnete. Das Gesicht des Beamten zog sich merklich in die Länge, als er den Reporter erblickte.
»Donnerwetter, Sie verlieren aber wirklich keine Zeit«, sagte er. »Wer ist außer Ihnen hier in der Wohnung?«
»Niemand«, entgegnete Dewin gelassen. »Die Haushälterin ist ins Kino gegangen – sie schaut sich den neuesten Kriminalfilm an.«
»Hören Sie mit dem Blödsinn auf!« Oberinspektor Clarke betrat die Wohnung, seine Beamten folgten ihm, »Haben Sie etwa schon hier herumgeschnüffelt und etwas gefunden?«
»Ich bin erst vor ein paar Minuten gekommen«, log Dewin frech drauflos, »und ich überlegte eben, ob ich hier nicht etwas mitgehen lassen könnte, als ich durch Ihr Klopfen wieder auf den Pfad der Tugend zurückgeführt wurde.«
Clarke brummte etwas Unliebenswürdiges und begann dann mit der Durchsuchung der Räume. Dewin ging bescheiden hinter ihm her.
»Vermutlich haben Sie diesen Schreibtisch geöffnet und alle Papiere angesehen«, sagte der Inspektor, während er geschickt das Schloß aufdrückte und die Schubladen herauszog.
Dann bückte er sich und hob einen Blaustift vom Boden auf.
»Ist der Ihnen aus der Tasche gefallen?« erkundigte er sich ironisch.
Peter Dewin wurde klar, daß die Notiz auf der Rückseite des einen Blattes erst kürzlich geschrieben worden war. Es war ein neuer Farbstift, frisch angespitzt. Die Holzspäne lagen auf dem Teppich, und das offene Federmesser auf dem Tisch zeigte blaue Spuren.
»Keine Spur von gefiederten Schlangen, wie?« meinte Clarke, als er seine Untersuchung beendet hatte. Dann ließ er sich dazu herbei, Dewin einige Informationen zu geben.
»Farmer wurde mit einer automatischen Pistole erschossen, die wahrscheinlich einen Schalldämpfer hatte wir fanden eine leere Patronenhülse mitten auf dem Gartenweg. Er hatte ein Taxi benutzt; der Wagen wurde an der Ecke des Grosvenor Square gesehen und bog dann in die Grosvenor Street ein. Mr. Crewe gab an, es sei ein kleiner Wagen gewesen, aber seine Beschreibung stimmt nicht mit der anderer Zeugen überein. Der Mann, der Farmer tötete, fuhr in diesem Auto mit – vielleicht war es der Chauffeur selbst. So, das können Sie veröffentlichen, Peter. Sie dürfen aber nicht schreiben, daß Farmer noch eine halbe Stunde vor seinem Tode mit Crewe telefonierte – ich erzähle Ihnen das nur deshalb, weil Sie es wahrscheinlich doch erfahren werden. Farmer sagte, daß er etwas über die gefiederte Schlange in Erfahrung gebracht habe und Crewe aufsuchen wolle, um es ihm mitzuteilen.«
»Wieso interessierten sich die beiden eigentlich für die gefiederte Schlange?« fragte Dewin. Der Oberinspektor sah ihn nachdenklich an.
»Wollen Sie mich bluffen? Sie wissen doch ganz genau, daß Crewe und Farmer diese mysteriösen Karten erhalten haben. Wie erklärt man sich die Geschichte eigentlich auf Ihrer Redaktion?«
»Wir haben die Sache bis jetzt nicht ernst genommen – es sah zu sehr nach Sensationsmache aus. Daß so etwas in Wirklichkeit nicht passiert, das wissen Sie doch am besten, Clarke.«
»Dafür hat sich dieser Mord aber wirklich zugetragen«, entgegnete Clarke grimmig.
Als sie zusammen zum Bloomsbury Square gingen, schaute er Dewin immer noch ab und zu argwöhnisch von der Seite an und fragte schließlich:
»Haben Sie wirklich nichts gefunden?«
»Bestimmt nichts, was der Polizei irgendwie von Nutzen sein könnte«, erwiderte Dewin prompt.
»Das heißt also, daß Sie mich irgendwie aufs Glatteis führen wollen. Es wäre eigentlich meine Pflicht, Sie auf die Polizeiwache zu bringen und Ihre Taschen vollständig durchsuchen zu lassen.«
Als Peter Dewin in seinem Büro am Schreibtisch saß, war er sich schon klar darüber, wie er die Reportage über das Verbrechen abfassen wollte. Es waren inzwischen auch einige weitere Details der Zeugenaussagen gemeldet worden, und schließlich war der Bericht, den er den Lesern seiner Zeitung vorsetzte, derselbe, der am nächsten Morgen in jedem anderen Blatt zu lesen war.
Für gewöhnlich verbrachte Peter Dewin sein Wochenende in einem kleinen Landhaus an der Godalming Road. Gern hätte er auch diesmal die Gelegenheit wahrgenommen, in ländlicher Abgeschiedenheit über die verschiedenen Probleme nachzudenken, die sich ergeben hatten; aber diesmal konnte er sich beim besten Willen kein Wochenende gönnen. Für seine Verhältnisse ziemlich aufgeregt und bestürzt, fuhr er schließlich zu seiner Wohnung in Bayswater.
Wie Dewin aus langer Erfahrung wußte, war ein Mord fast immer eine sehr prosaische und unromantische Angelegenheit. Zum ersten Male hatte er hier über eine Tat zu berichten, die etwas geradezu Phantastisches an sich hatte.
Er saß auf dem Rand seines Bettes und zog seine Schuhe aus, als ihm plötzlich der kleine Geldbeutel einfiel, den ihm Daphne gegeben hatte. Er zog ihn aus der Tasche; es war eigentlich mehr ein flaches Etui aus weichem Leder, die Klappe wurde durch einen Druckknopf festgehalten. Im Innern fühlte er einen harten Gegenstand; als er öffnete, fand er einen Schlüssel, an dem ein Streifen Pappe hing.
Der Schlüssel gehörte anscheinend zu einem Patentschloss. Er war sehr klein und trug oben am Griff die Nummer 7916.
Daneben schien noch etwas eingraviert gewesen zu sein; es war dann aber ziemlich nachlässig wieder weggekratzt worden.
Er betrachtete den Pappstreifen, auf dem zwei Reihen Buchstaben standen:
F. T. B. T. L. Z. S. Y.
H. V. D. V. N. B. Z. A.
Entweder waren es Codeworte, oder es war der Schlüssel zu einer Geheimschrift. Die Pappe war ziemlich alt; die mit Tinte geschriebenen Buchstaben begannen bereits zu verblassen. Weiter fand sich nichts in dem Geldbeutel, und Peter wollte ihn gerade wieder in seine Tasche stecken, als er aus irgendeinem Grund, über den er sich selbst nicht im klaren war, seine Meinung änderte und ihn unter sein Kopfkissen legte. Dann zog er sich aus und ging ins Bett. Todmüde schlief er sofort ein.
Ein leichter Stoß gegen seine eiserne Bettstelle weckte ihn plötzlich auf. Durch die Spalten der Rollläden vor dem Fenster schimmerten Streifen gelblichen Lichts von der Straßenlaterne.
Er richtete sich auf. Die Tür seines Zimmers stand offen – er konnte das Fenster sehen, das auf der andern Seite des Ganges lag, seiner Zimmertür gegenüber. Angestrengt lauschte er und hörte plötzlich hastiges Atmen. Jemand stand dicht neben ihm!
Vorsichtig tastete Dewin nach der kleinen Taschenlampe, die stets auf seinem Nachttisch lag. Er knipste sie an und sprang aus dem Bett. Unklar erkannte er im Lichtkegel seiner Lampe eine zum Sprung geduckte Gestalt, deutlich sah er einen gesenkten Kopf mit stark gelichtetem grauem Haar. Im gleichen Augenblick bekam er schon einen so heftigen Schlag auf die Schulter, daß er die Lampe fallen ließ. Gleich darauf war er mit dem Einbrecher in einen heftigen Ringkampf verwickelt; mit Mühe machte er sich frei und holte zu einem kräftigen Stoß aus – stieß aber nur in die Luft. Dann krachte die Tür zu, und jemand drehte von außen den Schlüssel um. Das ganze Haus geriet in Aufruhr, Dewin hörte eilige Schritte auf der Treppe und hämmerte an die Tür.
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