Er atmete unglücklich aus und musste sich sichtlich von meinem Anblick losreisen. Ich sah ihm nach, als er mit meinen Männern das Gebäude durch eine Geheimtür verließ, die in einen Fluchttunnel führte. Wir konnten alle nur hoffen, dass Janek sie nicht in eine Falle laufen ließ.
Ich blieb zurück. Mit Janek. Teils, weil ich befürchtete, im Tunnel würde eine Falle lauern, teils, weil ich mich danach sehnte, meinen Feinden endlich im Kampf entgegen zu treten.
Ich wandte mich dem Tor zu und zog mein Schwert, nachdem Derrick ohne einen weiteren Blick verschwunden war, die Tür zum Tunnel blieb offen.
Janek trat neben mich. Er passte mit seinem drahtigen, kleinen Körper besser in die Soldanrüstung der Elkanasai als ich mit meiner großen und muskulösen Barbarengestalt.
Mit neunzehn Jahren war ich noch nicht ausgewachsen und überragte bereits jetzt schon Derrick, der alles andere als klein war. Manolo der Berg wurde früher auch Manolo der Siebenfuß genannt, weil er sieben Fuß hoch war, mittlerweile hatte ich Manolo fast eingeholt. Meinem allmächtigen Gott sei dank, war ich aber nicht so fett wie er.
Mit dem Blick auf die Türen, deren Holzlatten langsam nachgaben und deren Splittern das Rammen gegen die Tür übertönte, sagte ich drohend: »Sollte dies hier eine Falle sein, werde ich dich töten.«
Janek erwiderte ruhig: »Wenn es keine Falle ist, schuldet Ihr mir etwas.«
Ich schnaubte herablassend. »Ich schulde niemanden etwas ... außer mir selbst, vielleicht.«
Lächelnd legte Janek einen Pfeil in den Bogen. »Überlebe ich das hier, schulde ich Euch nicht nur mein Leben, wisst Ihr?«
Gib einem Mann die Möglichkeit, Rache zu nehmen, und du hast seine lebenslange Treue inne. Dieser Satz stammt von mir, eine Weisheit, die ich selbst erkannt hatte und deren Wahrheit von den Männern unterstrichen wurde, die mir zur Seite standen, obwohl ich ein ziemliches Arschloch sein konnte.
»Wir sind zu zweit«, sagte Janek mit einem nervösen Blick auf mich. »Und sie zu hundert.«
Ich umfasste den Griff meines Schwerts mit beiden Händen und richtete die Spitze meiner silbernen Klinge auf die Tür. »Fürchtest du den Tod?«
»Nur das Sterben, Herr«, antwortete Janek.
Unwillkürlich zuckte mein Blick kurz zur Seite auf den nervösen Elkanasai, er zappelte, doch der Bogen in seinen Händen schien so unbeweglich wie die Mauern, die uns umgaben. Ich rechnete es ihm wirklich hoch an, dass er mich ›Herr‹ nannte, das gefiel mir.
Janek hatte keine andere Wahl gehabt, als mit mir hier zu bleiben, denn ich hatte es so beschlossen. Wenn er vorhatte, mir in den Rücken zu fallen, um sich wieder die Gunst seiner Landsleute zu sichern, wollte ich ihn lieber nicht aus den Augen lassen. Natürlich traute ich es Derrick zu, dass er einen Verräter rechtzeitig erkannte und unschädlich machte, aber ich riskierte nicht das Leben meines besten Mannes ... Nun ja, jedenfalls nicht solange es keinen höheren Nutzen hatte. Ich brauchte Derrick dort draußen, denn ihm konnte ich vertrauen. Allerdings hatte Janek trotz meines Plans keine Einwände erhoben, als ich verkündet hatte, dass er bei mir bleiben würde, während die anderen in Sicherheit flohen. Ein weiterer Aspekt, der dazu führte, dass ich eine gewisse ... nennen wir es mal Sympathie für ihn entwickelte.
Als die erste Holzlatte brach und ich den ersten aufblitzenden Metallhelm durch das Loch erspähen konnte, nickte ich Janek kurz zu.
Der junge Elkanasai spannte den Bogen und zielte. Der kurz darauf abgefeuerte Pfeil traf einen Soldaten durch das Loch mitten ins Auge. Janek legte einen zweiten Pfeil ein.
Ein weiteres Loch. Ein weiterer Pfeil.
So dezimierte Janek für mich fünf, vielleicht sechs oder sogar sieben Soldaten, bis die Hohlköpfe hinter der Tür endlich die Visiere ihrer Helme herunterklappten. Ich stand währenddessen recht gelangweilt da und stützte mich auf mein unbenutztes Schwert, nachdem mir bewusstgeworden war, dass dieses Spektakel noch etwas andauern würde ...
Doch dann brach die Tür. Nicht gänzlich, aber ein Teil gab nach und eine Flut Soldaten wurde regelrecht in den Raum gespült, als habe man mit einer Axt eine Spalte in ein Bierfass geschlagen.
»Es sind zu viele!« Janek schüttelte den Kopf, feuerte aber brav weiter Pfeile ab. Er wich langsam zurück, während ich vollkommen ruhig dastand.
Die vorderste Front der Soldaten wurde von den hinteren niedergedrückt, die mit Eile in den Raum stürzten. Ich hörte, wie sie in ihrer Sprache, die ich nicht richtig verstehen konnte, riefen und brüllten. Vermutlich verkündeten sie gerade, dass ihr netter Anführer und einige ihrer Waffenbrüder ermordet worden waren. Oder aber, was wahrscheinlicher war, sie brüllten mir in ihrer Sprache Beleidigungen entgegen. Schwer zu sagen, immerhin waren all ihre Gesichter hinter Helmen verborgen, ich sah nur glänzende Rüstungen, die mit gelben und grünen Stoffen verziert waren.
»Namenloser!«, rief Janek, als ich mich noch immer nicht rührte. »Herr?«
Im letzten Moment packte ich mein Schwert, doch ich musste gar nicht viel tun, denn der erste Mann lief regelrecht in meine Klinge, als habe er sich nur zu gerne in den Tod stürzen wollen. Ein tragischer aber nicht seltener Unfall unter zu eifrigen Soldaten, die keine Rücksicht auf ihre Vordermänner nahmen und sie geradezu in das Schwert des Feindes rennen ließen. Meine Klinge aus scharfem Silber durchbohrte die einfache Rüstung ohne viel Kraftaufwand meinerseits. Ich stach sie dem Soldaten in den Bauch und sie kam mit einer Blutfontäne zum Rücken wieder raus.
Ich ließ das Schwert stecken und benutzte den schlaffen Körper als Schutzschild, obwohl mich dessen Gewicht fast in die Knie zwang.
Ich stemmte mich gegen den Körper, viele Männer rannten gegen mich und ich verwandelte mich zusammen mit der Leiche in einen Rammbock. Mit zusammengepressten Zähnen stemmte ich mich gegen den schlaffen Körper, meine Füße drohten auf dem dreckigen Boden wegzurutschen, aber schließlich gelang es mir, meine Angreifer zurück zu drängen. Mein Schwert, dessen Spitze herausragte, nahm weitere Opfer, ich sah nicht, wie viele, ich bemerkte nur das Blut auf dem Boden, das mich beinahe ausrutschen ließ.
Mit einem Ruck warf ich die Leiche von mir und zog mein Schwert wieder hervor. Einige Angreifer vielen rückwärts zu Boden und rissen andere Männer mit sich.
Ich ließ sie liegen, da ich mich gegen weitere Soldaten zur Wehr setzen musste. Meine Hände schwangen mein Schwert gekonnt, Derrick selbst hatte mich im Schwertkampf trainiert, und ich war nicht schlecht, wie er so schön sagte. Ich würde nie behaupten, dass ich hervorragend oder auch nur gut sei, aber ›nicht schlecht‹ traf es mittlerweile ganz gut.
Meine Stärke war auch nicht meine Geschicklichkeit, obwohl davon reichlich vorhanden war, sondern Zorn. Zorn war etwas Seltsames. Es befällt mich wie eine Krankheit und verwandelt alle meine Handlungen in unbegreifliche Brutalität.
Auch in jenem Moment, als ich mit jemanden kämpfte und mir von einem am Boden liegendem und bereits dem Tode geweihten Soldaten ein Dolch in die Wade gerammt wurde.
Ich brüllte auf. Vor Schmerz. Vor Zorn.
Der Angreifer wollte seine Chance nutzen und zielte mit seinem Schwert auf meinen Hals, wohl um mir den Kopf abzuschlagen. Obwohl ich aus dem Gleichgewicht gekommen war, konnte ich seinen Hieb gerade noch rechtzeitig abwehren, verlor aber deshalb meine Klinge. Der Soldat hob erneut sein Schwert, doch dann traf ihn ein Pfeil, mitten durch die winzige Schwachstelle am Hals. Er gurgelte und fiel auf die Knie, Blut spritzte aus seiner Wunde, in der noch der Pfeil steckte.
Und glaubt mir, ich übertreibe nicht. Trifft man die richtige Stelle, spritz das Blut mit einer Kraft hervor, die einem unwirklich erscheint.
Ich bückte mich nach meinem Schwert und drehte mich zu dem Mann am Boden um. In jenem Moment öffnete sich der Käfig in mir. Anders kann ich dieses Gefühl nicht beschreiben. Ich sah den halbtoten Mann am Boden liegen und ärgerte mich darüber, dass er mich verletzt hatte. Dieser halbtote Mann, dieser Niemand, hatte mich verletzen können! Ergriffen von dieser Wut war ich nicht mehr im Stande, mich selbst zurückzuhalten. Ich weiß nicht, ob es anderen auch manchmal so geht, ich weiß nur, dass es mir oft passiert. Der metaphorische Käfig, den ich bereits erwähnt hatte, war das Sinnbild meines inneren Zorns, der immer da war. Doch ich hatte es gut unter Kontrolle, meine Wutausbrüche, auch wenn der Zorn gelegentlich seine Hände und Arme durch die Gitter des Käfigs streckte und nach mir fasste, ich konnte ihn immer wieder zurückhalten. Jedoch geschah es manchmal, dass die Tür aufsprengte und der Zorn herauskam. Wie ein Dämon, oder wie eine Krankheit, die in wenigen Augenblicke von mir besitz ergriff. Ich spürte die Wut in meinem Inneren wie zähflüssigen Honig. Es war ein warmes Gefühl, ein seltsam warmes Gefühl.
Читать дальше