Im Grunde genommen gibt es sehr viele verschiedene Süchtige, die sich nur aufgrund ihres anfänglichen Geldes unterscheiden. Es gibt Spieler, die verspielen am Tag 10.000 Euro und am nächsten wieder und am nächsten Tag wieder und den darauffolgenden Tagen wieder, über Jahre hinweg. Andere verspielen innerhalb eines Jahres ihr gesamtes Hab und Gut, und können sich im Nachhinein weder das Leben, noch das Spielen leisten.
In diesem Leben gibt es keine Gerechtigkeit und wer spielt, verliert. Womöglich spielt so mancher Spieler noch weitere 15 Jahre im selben Takt weiter, aber feststeht, dass er verliert. Letzten Endes ist „Spieler sein“ auch nur ein Job von 8 Uhr morgens bis 17 Uhr abends, die Stunden werden dabei nur immer noch dunkler. Sucht kennt keine Grenzen oder Religionen, sie ist farbenblind und niemand ist dagegen immun.
Wer sein Glück herausfordert und tatsächlich hin- und wieder etwas am Automaten „gewinnt“, ist auf dem besten Weg, sein Leben zu verspielen. Bei manch einem dauert dies länger, bei anderen bedeutet es innerhalb kürzester Zeit das sichere Ende.
Machen wir uns nichts vor, der Tag wird kommen, an dem man deutlich mehr verspielt, als einem lieb ist. Bei mir war der erste etwas höhere Verlust ungefähr 500 Euro, an dem Tag war ich fest davon überzeugt, dass ich nie wieder spielen würde. Bereits einen Tag später, ach was sage ich – nicht einmal ganze 24-Stunden später, stand ich bereits wieder am Automaten und forderte mein „Glück“ heraus. „Gute Vorsätze“ sind zwecklos, wenn sie nicht ernst gemeint sind. Es ist wie ein Traum und leider verlieren wir uns darin – täglich. Wir leben in einer Welt, in der wir danach bezahlt werden, wie lange wir arbeiten, unser Leben ist in jeglicher Sicht von Zeit bestimmt. Wir leben wie Sklaven in einem bürokratischen Regime und jeder der daran erkrankt, ist nach etwas süchtig. Wir lassen Sucht gedeihen, um das kranke Regime in unserem halbwegs noch gesunden Kopf ignorieren zu können – und wenn es auch nur für einen kurzen Moment ist. Doch die Gesellschaft ist längst schwer von Habgier und Kurzsichtigkeit gezeichnet, dennoch versuchen wird die Stimmen mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen. Bis unsere Seele nicht mehr Herr der Lage ist und Sucht gefolgt von Suizid die einzige Alternative zu sein scheint. Ganz ehrlich, ich suchte nicht nach dem Automatenspielen, es fand mich. All die Wut, die Trauer und der alltägliche Schmerz wirkten wie ausgelöscht. Die Gesellschaft wirkte für mich akzeptabler, solange ich mich durch das Spielen isolieren konnte. Was ich nicht bemerkte, war die Tatsache, dass ich mich nicht „nur“ isolierte, ich versuchte mich vollständig zu vernichten. Doch wieso eigentlich? Natürlich kam die Erkenntnis nicht, immerhin spielte ich noch Jahre weiter, klar – ich wusste zwar, was zu tun war, wollte jedoch nicht einsehen, warum ich meinen Fehler als solchen betiteln sollte. Ich wusste nicht einmal, ob es tatsächlich meine Schuld war oder ob ich es womöglich einem Anderen in die Schuhe schieben könnte. Ich feilschte nicht nur mit anderen, sondern auch mit mir selbst. Solange man als Spieler eine Möglichkeit sieht, die einem die Sucht harmlos erscheinen lässt, wird man seine Chance nutzen, um die Lücke im System ausnutzen zu können.
Es ging nie ums Geld, wer behauptet, es ginge beim Zocken einzig und allein um den Gewinn, möchte seine Sucht schönreden, wer als Nicht-Spieler behauptet, es ginge allem Anschein nach nur um Geld, hat die Spielsucht bislang nicht verstanden. Es geht um das Spiel, es geht darum, täglich das Hamsterrad wieder am Laufen zu halten. Das ist das Schwierige daran, denn das Spielen an sich, ist verdammt teuer.
Die Menschen, die von meinem Titel „Wer gewinnt, wenn du verlierst?“ hören, fühlen sich abermals im Vorteil, wenn sie kurzsichtig antworten: „Die Betreiber gewinnen immer“. Doch ich habe nie gefragt, wer das Geld gewinnt. Welchen Vorteil besitzen Sie, wenn Sie chronisch Pleite durchs Leben wandern? – Es gibt keinen und dennoch spielen wir weiter. Wir wissen, dass wir Geld verlieren, doch wie gesagt, das Geldgewinnen ist mehr Schein als Sein. In Wahrheit wollen wir nur etwas mehr Spielzeit gewinnen, wobei genau dies einen äußerst großen Verlust darstellt. Am Ende des Tages, zählt nicht was du weißt, sondern was du tust. Ich habe vieles erzählt, an noch mehr geglaubt, gehofft und gebetet, doch das Einzige, was ich tatsächlich tat, war Geld verspielen. Ich wollte überall hinreisen, doch der einzige Ort, an dem man mich tatsächlich auffinden konnte, war in der Nähe oder direkt am Spielautomaten. Ich wollte auch immer in ein Haus investieren, mir etwas erschaffen, doch in das Einzige, worin ich in Wahrheit investierte, war in das Spielen am Automaten. Ich kenne noch heute Spieler, die mir von ihren angeblichen Freundinnen, Reisen und anderen waghalsigen Abenteuern erzählen, doch was gesagt wird, entspricht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Wunschvorstellung aus einer eigens erschaffenen Traumwelt.
Sie hat vielen Spielern das Leben gekostet; die Wahrheit. Mir persönlich hat sie das Leben gerettet, indem mir die Wahrheit mit einer nie dagewesenen Klarheit die Augen öffnete. Die Realität traf mich, wie ein Faustschlag ins Gesicht. Schmerzhaft, aber notwendig. Man weiß nie genau, was das Schicksal für uns geplant hat, aber eines steht fest, es gibt keine Zufälle, nichts geschieht grundlos. Ich war nicht immer ein Spieler, ich war einst glücklich, glaube ich zumindest. Wie gerne würde ich behaupten, dass ich ein erfolgreicher Spieler war. Aber nun ja, es war ein Traum und es wird immer nur ein Traum bleiben. Wenn man sich als Spieler seine Vergangenheit einmal durch den Kopf gehen lässt, ist es eigentlich pure Scheiße, kann womöglich schöner ausgedrückt werden, aber Scheiße, bleibt nun mal Scheiße und diese Erkenntnis ist mehr als beschissen.
Es gefiel mir am Automaten zu gewinnen, im Alter von 15-16 Jahren gewann ich bereits zum Teil das 10-fache an Geld, was andere in meinem Alter in ihren Job verdienten. Doch Geld war bzw. wurde plötzlich zur Nebensache, Hauptsache die Anerkennung blieb nicht aus. Ich fühlte mich durch das Spielen erwachsener, als ich in Wahrheit war. Der Automat gab mir das Gefühl von Freiheit. Das Problem im Leben eines Spielers ist die Tatsache, dass man anfangs oftmals gewinnt, und dieser zum Teil enorme Gewinn, wird wiederum nur zum Spielen eingesetzt. Dadurch konnte ich auf längere Sicht nicht gewinnen. Doch ich erschuf eine Parallelwelt, in der ich glaubte, immer zu gewinnen. In Wahrheit verlor ich täglich und egal wie hoch die Ausgaben auch waren, ich redete mir ein, dass ich im Gewinn stünde. Um meine Gier befriedigen zu können, reichten anfangs Gewinne im hunderter Bereich, nach ein paar Monaten mussten es Gewinne im tausender Bereich sein, alles darunter betrachtete ich nicht als Gewinn, sondern sah es mehr oder weniger nur als Zeitvertreib oder Zeitverschwendung an. Nach Jahren der systematischen Selbstzerstörung am Automaten, stumpfte ich so enorm ab, dass kein Gewinn mehr tatsächlich eine Befriedigung darstellte, dennoch spielte ich weiter. Teils als Gewöhnung und zum Teil auch deshalb, weil ich mir pausenlos einredete, ich müsste spielen, um jemand sein zu können.
Ich denke, je früher ein Mensch mit dem Spielen beginnt, desto schwieriger wird es für ihn zu erkennen, wer er tatsächlich ist oder wer er sein könnte. Stell mir einen Spieler vor und ich brauche nur 5 Minuten mit ihm zu reden, um herauszufinden, wie lange er bereits spielt. Denn je länger er spielt, desto selbstsicherer erzählt er von seinen angeblichen Gewinnsummen. Je länger ein Spieler von seinen angeblichen Gewinnsummen erzählt, desto stärker verstrickt sich der Spieler in seinen eigenen Lügengeschichten – ohne es selbst zu bemerken. Ein Spieler muss seine eigenen Lügen glauben – sonst würde er nicht weiterhin sinnlos sein Geld verspielen.
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