Er hielt die Luft an, während sie sich mühsam an den Abstieg machten. Auf halbem Weg kamen ihnen mit ungläubigen Mienen Roars Männer entgegen. Phelan drängte sich entschlossen an ihnen vorbei, und nicht nur einer nickte den Jungen achtungsvoll zu. Sie hatten alles gehört.
Phelan zitterte erschöpft, als sie endlich in der Hütte ankamen. »Es tut mir leid«, flüsterte Jeldrik, während er ihm half. »Alles nur wegen mir!«
»Nein!«, protestierte Phelan schwach. Ihm war wieder schwindelig von der ganzen Anstrengung. »Du wirst dir nicht die Schuld wegen der Fehler deines Vaters geben, verstanden? Ich halte zu dir, koste es, was es wolle.«
»Er kann dich dafür hinauswerfen.« Jeldrik hob lauschend den Kopf, weil sie draußen Roars wütendes Gebrüll hörten.
Phelan hatte die Augen geschlossen. »Oh je, gleich kommt er«, murmelte er. Alles drehte sich in ihm, aber er schaffte es nicht mehr, die Augen aufzubekommen. Als die Tür aufflog und Roars Unheil verkündende Gestalt darin erschien, sackte sein Kopf zur Seite.
Jeldrik stand langsam auf. Er drehte sich um, und diesmal war er es, der sich schützend vor seinen Freund stellte. »Er ist bewusstlos, Vater.«
»Lasst mich durch!« Bajan drängte sich an ihm vorbei und beugte sich besorgt über Phelan. »Du hast recht.. das war viel zu viel für ihn.« Ohne auf die Mienen von Vater und Sohn zu achten, schob er sie hinaus. Er duldete nicht mehr, dass sich jemand anderes dem Jungen näherte außer der Heilerin. Auf einmal gewann Bajans Bedürfnis, Phelan zu schützen, die Oberhand. Er wurde nachdenklich, so nachdenklich, dass er sich an diesem Abend nicht zu den Männern ans Feuer begab.
Roar ertränkte seine schlechte Laune im Met. Dementsprechend übel gelaunt war er auch am nächsten Morgen. Da Jeldrik ihm jedoch aus dem Weg ging und Bajan Phelan nicht allein ließ, fand seine schlechte Laune kein Ziel. Clansführer Corin ließ ihm keine Zeit für eine weitere Auseinandersetzung mit seinem Sohn. Er rief die benachbarten Clansführer zusammen und stellte ihnen vor, was die Jungen herausgefunden hatten. Da Bajan seinem Schützling strengste Ruhe verordnete, war es Jeldrik, der von den Männern hinzugerufen wurde. Er war nach Phelans Zuspruch soweit wieder hergestellt, dass er sich vollends im Griff hatte, sprach ruhig zu den Männern, beantwortete geduldig ihre Fragen und ignorierte seinen finster dreinblickenden Vater völlig. Bajan sprach ihm hinterher ein ehrlich gemeintes Lob aus, das Jeldrik jedoch unwirsch zurückwies. Er wollte keine Almosen, auch wenn sie noch so gut gemeint waren.
Die restliche Zeit, bis Phelan wieder reisefähig war, verbrachten die Männer damit, in die umliegenden Siedlungen zu reiten und dort die Türme zu errichten, und sie nahmen Jeldrik stets mit.
Phelan blieb tagsüber völlig allein, denn auch Bajan ritt mit ihnen. Es war ihm mehr als recht. Er brauchte Ruhe vor diesen ganzen ungerechten Aufmerksamkeiten und Zeit zum Nachdenken, Zeit, ihre Lage von allein Seiten betrachten zu können. Zunächst war er wütend, furchtbar wütend auf Roar. Am liebsten hätte er ihn angebrüllt, was ihm eigentlich einfiel, seinen Sohn derart zu behandeln. Als die erste Wut verrauchte, kam die Nachdenklichkeit. Warum hatte Bajan Jeldrik nicht geholfen? Phelan wusste die Antwort sofort. Weil Bajan sich dadurch offen gegen Roar gestellt hätte. Es ging einmal mehr darum, dass der Clansführer nicht sein Gesicht verlor. Phelan erkannte, dass er zu einem Spielball geworden war, und dies wollte er unter keinen Umständen.
Aber was wollte er dann? Dies war die Frage, über die er am längsten nachgrübelte. Es war unendlich schwierig. Davonlaufen wie Jeldrik? Vielleicht sogar bei Regnar anheuern? Damit würde er Jeldrik nicht helfen, im Gegenteil. Es war keine Lösung, obwohl es ihn lockte, konnte er doch Althea und Noemi wiedersehen. Wollte er zu Bajan stehen? Natürlich! Roar? Hier kamen ihm Zweifel. Er verstand den Clansführer einfach nicht. Also eher nicht zu Roar.. aber damit schadete er Bajan.. es war zum Verrücktwerden! Phelans Gedanken drehten sich im Kreis. Es wurde so schlimm, dass er sogar fiebrig wurde.
»Du zu schwere Sorgen«, rügte die Ethenierin denn auch jedes Mal, wenn sie ihn besuchte. Seit sie alleine waren, gab sie sich offen und gar nicht ängstlich.
Phelan wurde etwas von seinen Sorgen abgelenkt. »Ich hätte Wunsch, ich weiß deinen Namen«, flüsterte er mit zusammengebissenen Zähnen, denn sie löste gerade die Verbände.
»Nicht sagen kann. Ist Schwur..«
»Ein Schwur?« Phelan merkte auf. Sie nickte. »Aber wie ich dich dann nennen darf? Ich nicht will respektlos sein.«
»Oh, du niemals respektlos, Phelan aus Gilda!«, lächelte sie. Sie sah auf. »Du ehrenvoll, wie auch dein Vater.«
»Mein Vater..« Er bemühte sich um eine möglichst ausdruckslose Miene. Sie ahnte ja nicht, an welcher Wunde sie mit diesen Worten rührte. Er schloss lieber die Augen, als würden ihn ihre Verrichtungen allzu sehr schmerzen.
Dennoch schien sie etwas zu ahnen. »Verzeih«, flüsterte sie leise.
»Braucht dir nicht leidtun. Ist sehr schwierig Lage wir hier! Ach verdammt, ich wünschte, ich könnte richtig mit dir reden!«, brach es auf Gildaisch aus ihm heraus. Sie verstand zwar nicht die Worte, aber den Sinn dahinter und nickte. Phelan verstand es als Zeichen, dass sie etwas offener wurde, und traute sich zu fragen: »Warum du nennst Jeldrik Geisterauge?«
Durch sie ging ein Ruck. Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nicht sprechen, niemals!«
»Warum nicht? Bitte, ich sehe alle Ethenier Angst haben vor Jeldrik, will verstehen.«
Sie wich zurück, ließ ihn sogar mit halb verbundenem Oberkörper sitzen, was noch nie vorgekommen war. »Ich nicht wie andere Ethenier, ich nicht kann sagen, holt hierher blaues Licht!«
»Blaues Licht?« Phelan erstarrte. Das hörte sich ja fast an.. »Hast du schon mal..«
»Nein, nicht!!!« Sie schrie auf und presste sich die Hände an die Schläfen. Ihre Augen flackerten, sie warf den Kopf in den Nacken, ihr Mund öffnete sich.. Phelan rappelte sich mühsam auf. Jetzt würden ihre Augen schwarz werden.. aber das waren sie ja schon, doch sie wurden so weit, dass man fast nichts anderes mehr erkennen konnten. Sie begann sich vor und zurückzuwiegen, murmelte Worte in einer fremden Sprache. Trotz seines Schreckens wusste Phelan, was er zu tun hatte. Er kniete sich vor sie und hielt sie mit seinem gesunden Arm fest, damit er sie auffangen konnte, falls.. da brach sie auch schon zusammen und blieb als gekrümmtes Bündel in seinem Arm hängen. Phelan blieb nichts anderes übrig, als sie vorsichtig zu Boden gleiten zu lassen und in eines der Felle einzurollen. Mit schmerzenden Knochen blieb er neben ihr sitzen und passte auf, dass sie ruhig atmete, während seine Gedanken sich überschlugen.
Sah sie dasselbe wie Althea? Wenn dem so war, dann musste er unbedingt mehr herausfinden. Die andere Möglichkeit jagte ihm einen eiskalten Schrecken ein. Sie könnte auch eine Dienerin des Bösen sein. Aber dann würde sie das doch verbergen! Wie sollte ihm gelingen, mehr von ihr zu erfahren, ohne dass er Gefahr lief, ihr allzu viel von den Ereignissen in Gilda zu verraten? Noch mehr Fragen, die sich in seinem Kopf drehten. Er musste unbedingt Fürst Bajan sprechen, so schnell wie möglich!
Bevor er aufspringen konnte, hielt ihn sein Gewissen zurück. Ihr Wohl war jetzt wichtiger. Wenn er recht behielt, dann würde sie binnen kürzester Zeit wieder aufwachen und dann Durst haben.
Er musste fast lachen, als sie bald darauf die Augen aufschlug und verwirrt auf den Becher vor ihrer Nase starrte. Nichtsdestotrotz trank sie ihn sofort in einem Zug leer. Erst dann bemerkte sie, dass sie auf dem Boden lag. Sie fuhr hoch, starrte den dicht vor ihr sitzenden Phelan ungläubig an.
»Du haste eine.. Traum«, sagte er vorsichtig, um sie nicht weiter zu verschrecken.
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