»Oh, seht doch, wir haben sogar Eier!« Siri hatte die Käfige in Augenschein genommen und zog einige daraus hervor. Als sie Currann entdeckte, zögerte sie, doch dann ging sie auf ihn zu. »Was meinst du, sollten wir nicht die Milch unter den Einwohnern verteilen?«
»Ich finde, das ist ein guter Einfall.« Ouray war längst mit dem Melken fertig. Er hatte zwei ganze Kübel gefüllt, von der Kuh und den Ziegen.
»Dann lass es uns so machen«, nickte Currann. Sie warteten, bis es hell wurde, um zu sortieren, was sie behalten und was sie den Bewohnern geben sollten. Sobald die Sonne aufging, packten sie die Sachen zusammen. Currann ging zu Siri, die Nathan beruhigend auf den Rücken klopfte. »Ich möchte, dass du mitkommst. Gib du ihnen die Milch.«
»Du willst, dass ich..« Siri versteifte sich. Ihr Gesicht wurde bleich. Noch nie hatte sie sich freiwillig in die Siedlung gewagt, immer nur in großer Not.
»Du gibst ihnen von der Nahrung deines Kindes«, drängte Currann und hielt ihr die Arme hin.
»Es wird sie auf eure Seite bringen«, versuchte es nun auch Sinan. Mit Erfolg.
Siri übergab Nathan zögernd an Currann und griff sich die Kübel. »Bleib in meiner Nähe«, bat sie leise.
Sinan und Kiral blieben im Fort, doch alle anderen begleiteten sie zum Tempel. Es war auch gut so. Kedar öffnete ihnen, und ihm gefiel es gar nicht, wer dort vor ihm stand. Siri interessierte es nicht. Flankiert von Currann und Ouray drängte sie ihn einfach beiseite.
Die Bewohner starrten ihnen sprachlos und reserviert entgegen, doch das währte nur solange, bis Siri die Kübel abstellte und sie des Inhaltes gewahr wurden. Freudige Ausrufe erklangen. Sofort waren sie umringt, und Currann konnte spüren, wie viel Kraft es Siri kostete, dort und vor allem ruhig zu bleiben. Er blieb dicht an ihrer Seite, bildete zusammen mit Ouray einen Schutzwall gegen die drängenden Bewohner, sodass sie in der Lage war, ruhig Schluck für Schluck zu verteilen und sogar das eine oder andere Lächeln zu schenken. Es wurde voller Dankbarkeit erwidert. Siri wurde von den Frauen sogar umarmt, und nicht nur eine vergoss Freudentränen angesichts dieses Geschenks. Sie begann bei den Kindern und endete bei den Erwachsenen, während die Kameraden die übrige Beute hereinschleppten. Sobald die Bewohner ein wenig gesättigt waren und es bemerkten, war das Interesse schnell von ihnen abgelenkt. Siri konnte aufatmen.
Strahan interessierte sich besonders für die fremde Frucht. »Das sollten wir versuchen anzubauen, meint Ihr nicht?«, sagte er zu den anderen und drehte sie in den Händen.
Siri sah sich unterdessen suchend um. Wo waren Mari und Goran? Da hatte sie die beiden entdeckt. Sie saßen abseits der aufgeregten Menge auf einem Stapel leerer Körbe. »Currann, kommst du mit mir?«, flüsterte sie und füllte eine weitere Schale ab. Schnell sah sie zu ihrem Onkel hinüber, doch der war völlig damit beschäftigt, sich wichtig zu machen. Keinen Augenblick später stand sie vor ihrer Cousine. Sie umarmten sich. »Hier, trink schnell, bevor er etwas merkt.« Mari trank hastig, den Blick immer in Richtung ihres Vaters gerichtet. Sie war blass und dünn wie sie alle, und Currann war erleichtert, dass er keine Male auf ihrem Gesicht entdecken konnte.
Siri begann mit Mari zu flüstern. »Geht es dir gut?«, war das einzige, was Currann verstand. Er stellte sich so hin, dass er die beiden mit seinem breiten Rücken vor den Blicken der anderen schützte, und hielt Goran allein mit seiner Anwesenheit auf Abstand zu Siri. Dessen Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Sein Blick schnellte zwischen Siri und Currann und dem Kind auf seinem Arm hin und her. Schließlich richtete Siri sich auf. »Du kannst auch gerne eine Schale haben«, sagte sie zu Goran, ein Friedensangebot, das Currann wunderte, aber er wusste ja auch nicht, was Mari ihr gerade erzählt hatte.
Es wurde nicht honoriert. Goran wiegelte mit ausdruckslosem Gesicht ab: »Gib sie Mari, ich möchte nicht.« So ganz schien er sich noch nicht entscheiden zu können, wo er stand. Siri jedenfalls mochte er nicht in die Augen sehen. Sie kümmerte es nicht, ihre Sorge galt allein ihrer Cousine. Schnell holte sie noch eine Schale, bevor Kedar etwas davon mitbekam, dann gingen sie wieder zu den anderen hinüber und verteilten die restliche Milch unter den Kindern, bis die Kübel leer waren.
Als sich die Bewohner wieder etwas beruhigt hatten, sprach der Mönch ein Dankgebet und machte anschließend eine überraschende Ankündigung: Er legte für den nächsten Herrentag die große Versammlung fest, die längst überfällig war. Currann war sich fast sicher, dass er die gute Stimmung und die Tatsache, dass Kedar erneut auf verlorenem Posten stand, dafür nutzen wollte, einige Dinge zu ändern. Unter vielen Dankesbezeugungen wurden Currann und Siri verabschiedet.
In tiefem Schweigen stiegen sie zum Fort hinauf. Die Kameraden waren längst voraus gegangen, so lange hatte es unten gedauert. Sie brauchten nichts zu sagen, es wäre auch nicht gut gewesen, so aufgewühlt, wie Siri war. Currann dagegen war sehr zufrieden mit sich selbst und unendlich stolz auf sie. Er hoffte, dass er ihr das eines Tages sagen konnte. Das bohrende Gefühl, dass etwas Schlimmes geschehen würde, war verschwunden.
Dass dies ein Trugschluss war, merkte er, sobald er das Fort betrat. Er brauchte nur einen Blick auf die starren Mienen seiner Kameraden werfen, und er wusste, dass etwas nicht stimmte. Das Gefühl, bisher noch unbestimmt, steigerte sich zu einem Übelkeit erregenden Druck.
Yemon fasste sich schließlich ein Herz und sprach als Erster: »Wir haben etwas bei unserer Beute gefunden.«
Currann reichte Nathan sofort an Siri weiter. Zögernd trat er einen Schritt auf sie zu. »Was gefunden?«, fragte er voller böser Ahnungen.
Es war Ouray, der einen kleinen Gegenstand hinter seinem Rücken hervorholte. Er war in Fell eingewickelt. »Es.. es ist ein Messer. Aus Ferrium.«
Als er es auswickelte, war es, als hätte er es Currann gleich in die Eingeweide gerammt. Die Messerscheide und den Griff erkannte er sofort. »Das sieht ja aus wie deines. Haben dies die Sa..« Siri trat neugierig näher, doch sie verstummte erschrocken, als Currann mit versteinerter Miene das Messer umdrehte.
Auf seinem Griff prangte ein Zeichen. Es war der gildaische Buchstabe ›P‹.
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Saran
Zweites Frühjahr nach der Flucht
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»Siehst du schon etwas?« Phelan starrte in die mit Nebel verhangenen Berge hinauf und versuchte, etwas in dem grünen Dickicht des Waldes zu erspähen.
Für einen Moment fühlte sich Jeldrik um eineinhalb Jahre zurückversetzt. Als er den Kopf wandte, erwartete er fast Currann neben sich vorzufinden und den weiten Blick in eine neblige, kahle Ebene. Jeldrik schüttelte sich kurz, um das Trugbild loszuwerden.
»Ist etwas?« Abgelenkt sah sich Phelan kurz zu ihm um.
»Nein, nichts.« Wie so oft ließ Jeldrik seinen spontanen Regungen keine Erklärungen folgen. Phelan zuckte mit den Schultern. Inzwischen kannten sie sich beide gut genug und merkten genau, wann den anderen etwas beschäftigte, über das er nicht reden wollte, und sie hatten gelernt, sich in Ruhe zu lassen. Obwohl.. manchmal wünschte sich Phelan.. Er ließ seine Stute langsam voranschreiten, um den Gedanken loszuwerden. Philine. Er lächelte leicht, als er daran dachte, wer ihr diesen Namen gegeben hatte, und klopfte ihr beruhigend die Kruppe. In gespannter Erwartung spähte er vorwärts, alles andere verdrängend.
Endlich waren sie auf Reisen. Er hatte diesen endlosen Winter gründlich satt. Die alles durchdringende Feuchtigkeit machte die Kälte, die kaum jemals die Frostgrenze erreichte, viel schwerer erträglich als die klirrend kalten, aber trockenen Winter in Gilda. Kaum zu ertragen war auch ihre verräucherte Hütte. Sogar Bajan war seine Vorliebe für Holzfeuer verleidet worden, und das sollte schon einiges heißen.
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