»Ich will nur helfen!«, schnappte Tamas.
» Du willst etwas ähnlich Heldenhaftes schaffen wie Currann«, entgegnete Ouray ungewohnt schneidend. Tamas klappte seinen Mund, den er eben zum Protest geöffnet hatte, überrascht wieder zu. »Das wird so aber nicht gelingen. Kedar ist gewalttätig, Tamas! Du bringst sie in Gefahr, wenn du dich einmischst, und leider liegen die Dinge nun einmal so, dass er das Recht auf seiner Seite hat.« Er seufzte und kam näher, als Tamas betreten schwieg. »Unsere Anwesenheit hat ihn dazu gezwungen, seine Maske fallen zu lassen. Die Leute sehen ihn nun, wie er wirklich ist, und er selbst leider auch. Deswegen wird er alles tun, um seine Achtung vor sich selbst nicht zu verlieren, und übt die Macht dort aus, wo er sie noch hat.«
»Mari!«
»Genauso ist es. Der ganze Vorfall um Siri hat nur ein Gutes: Auch ihr Bruder hat endlich erkannt, wie Kedar wirklich ist. Er wird ihr helfen, so gut er kann.«
»Das wird aber nicht reichen!«, flüsterte Tamas voller unterdrückter Wut.
Beinahe schon mitleidig sah Ouray ihn an. »Doch, der Rest muss von ihr selbst kommen.«
»Aber sie kann doch nicht..« Tamas war sofort dabei, sie ihn Schutz zu nehmen, wurde jedoch von Ouray unterbrochen.
»Doch! Wenn sie stark genug ist, dann kann sie es. Und wenn sie es schafft«, seine Mundwinkel zuckten, »dann ist sie es auch wert, eines Tages Fürstin von Nador zu werden. Gib dir keine Mühe«, er klopfte Tamas wie beiläufig auf die Schulter, »wir wissen alle, wie es um dich steht. Gute Nacht.« Und damit ließ er ihn stehen.
Tamas wusste hinterher nicht, wie lange er dort gestanden hatte. Er kam wieder zu sich, als Currann ihm eines der Übungsschwerter in die Hand drückte. »Ich könnte etwas Bewegung vertragen. Du vermutlich auch.« Er antwortete nicht, sondern ging sofort zum Angriff über. Als sie Stunden später, so schien es ihnen jedenfalls, schneebestäubt und verschwitzt wieder ins Warme kamen, waren sie in der Lage, trotz unruhiger Gedanken für den Rest der Nacht Ruhe zu finden.
Am Morgen brüteten Tamas und Currann vor sich hin, und dementsprechend schweigsam waren auch die anderen. Currann war sogar derart in Gedanken versunken, dass er erst bemerkte, dass etwas anders war, als alle plötzlich die Köpfe hoben und auf einen Punkt hinter ihm starrten. Er fuhr herum. »Siri..« Ihm stockte der Atem. Sie stand in der Tür zum Kommandantenraum, Nathan fest im Arm, und sah unsicher in die Runde. Er erhob sich ganz langsam, um sie nicht zu erschrecken.
»Ich.. ich dachte mir, ich esse mit euch.«
»Ja natürlich.. setz dich doch!« Alle sprangen gleichzeitig auf und machten ihre Plätze frei. Siri zuckte ein wenig zurück, unmerkbar für die Kameraden, aber für Currann, der es gewohnt war, selbst im Dunkeln jede ihrer Regungen zu erkennen, war es deutlich zu sehen. Er hob die Hand. »Ich glaube, für Nathan ist es das Beste, dicht am Feuer zu sein.« Er holte einen Stuhl und stellte ihn neben seinen eigenen an das Kopfende des Tisches. Alle einschließlich Siri akzeptierten seine Entscheidung und setzten sich. Currann holte noch rasch Nathans Körbchen, damit sie in Ruhe essen konnte.
Siri bekam von Yemon eine Schale mit Eintopf und etwas zu trinken vorgesetzt. Sie sah darauf herab. Bisher hatte sie sich noch nicht an dieses Zeug herangetraut.
»Es sieht etwas merkwürdig aus, aber es schmeckt ganz gut«, entschuldigte sich Yemon schnell. Sie warf ihm einen unsicheren Blick zu, dann gab sie sich einen Ruck und begann langsam zu essen. Alle beobachteten sie gespannt. Siri kaute vorsichtig, doch plötzlich riss sie überrascht die Augen auf. »Es ist gut!«, sagte sie anerkennend in die Runde, und als alle etwas ungläubig schauten, bekräftigte sie: »Nein, wirklich. Hast du das gekocht, Yemon?«
»Jaah..« Er wurde doch tatsächlich rot. Die Kameraden, die normalerweise in schallendes Gelächter ausgebrochen wären, schwiegen unsicher. Sie wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
Siri legte ihr Schweigen völlig anders aus. Sie dachte, ihnen wäre ihre Anwesenheit unangenehm. Sie senkte innerlich beschämt den Kopf und aß schweigend weiter, während sie sich verzweifelt fragte, worauf sie sich da nur eingelassen hatte.
Tamas wurde das Schweigen zu lang. Er hatte noch genug mit sich selbst zu tun, dies hier wurde ihm zu viel. Er stand auf. »Ich geh dann mal«, sagte er und machte eine entschuldigende Handbewegung nach draußen.
»Nein, bitte geh nicht!«, entfuhr es Siri. Sie kam damit unwissentlich Currann zuvor, dem schon eine scharfe Rüge auf der Zunge gelegen hatte. Sie sah nun offen in die Runde, auch wenn es ihr noch so schwerfiel. »Ich will etwas mit euch bereden.« Tamas ließ sich langsam auf seinen Sitz zurückfallen. Alle warteten gespannt, was nun kommen würde.
Sie hob hilflos die Hände. »Ich.. ich verstehe, dass es schwierig für euch sein muss, mich hier zu haben und..«
»Schwierig?! Siri, wovon redest du?«, fragte Kiral, der direkt neben ihr saß. In die Kameraden kam Bewegung. Sie sahen sich fragend und kopfschüttelnd an.
Etwas zittrig holte sie Luft und bedachte Kiral mit einem dankbaren Blick. »Nun, für dich vielleicht nicht, aber für euch andere muss die ganze Geschichte sehr unangenehm sein und ich..« Sie schrak zusammen. Die Kameraden waren aufgefahren. Nur Curranns warnendes Kopfschütteln hielt sie davon ab, lauthals zu protestieren. Er selbst hätte es am liebsten auch getan, doch er konnte sehen, wie viel Mühe es sie kostete, offen zu sprechen.
Sinan fasste sich schließlich ein Herz und sprach den Gedanken laut aus, der ihm sofort durch den Kopf gegangen war. »Siri, warum sollte das so sein? Du bist bei uns mehr als willkommen. Du bist hier in Sicherheit.«
»Wir sind froh, dass es dir wieder gut geht..«
»..wie du Kedar die Stirn geboten hast! Das war sehr mutig..«
Ihr Blick flog schon fast gehetzt zwischen ihnen hin und her, so ungläubig war sie über das, was sie da von allen Seiten hörte, und schließlich blieb sie an Kiral hängen.
Dessen Mundwinkel bogen sich nach oben. »Ich hab’s dir doch gesagt. Wovor hast du Angst?«
In ihrer Kehle bildete sich ein hartnäckiger Kloß. Sie schluckte. »Ist das wirklich wahr?«
»Aber ja!«, rief Tamas derart ausgelassen aus, dass sie alle in Gelächter ausbrachen, auch Siri, doch bei ihr mischte sich das mit Tränen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und lehnte sich Halt suchend an die einzige Person, bei der sie das gefahrlos tun konnte.
Kiral wusste mit ihr sichtlich nichts anzufangen. »He, was ist denn?« Vorsichtig legte er ihr den Arm um die Schultern und tauschte über ihren Kopf hinweg einen ratlosen Blick mit Currann, der es regungslos beobachtete.
»Oh, was müsst ihr von mir halten? Ich war so dumm!« Sie lehnte immer noch mit geschlossenen Augen an Kirals Schulter.
»Was wir von dir halten? Willst du eine ehrliche Antwort?«, fragte Sinan. Sie wandte den Kopf in seine Richtung und nickte. »Du hast Schlimmes erlebt, warst verletzt und krank. Wir wollten dich nicht bedrängen und es noch schlimmer machen. Deswegen haben wir geschwiegen, und natürlich haben wir dich beobachtet. Du bist jetzt eine von uns. Wir sind stolz darauf, dich hier zu haben.« Siri errötete, und Sinan lächelte ihr zu. »Aber wir müssen uns erst einmal daran gewöhnen, dass wir jetzt ein Mäd.. eine Frau bei uns haben. Genauso wie du dich an uns gewöhnen musst, an einen Haufen Männer.« Sie lachten.
»Nicht wirklich.« Siri richtete sich auf und wischte sich mit dem Ärmel ihres Kleides die Tränen ab. »Ich lebe schließlich schon mein ganzes Leben in einem reinen Männerhaushalt, und schlimmer als die Jungen könnt ihr gar nicht sein.« Sie lächelte bei dem Gedanken, und die Kameraden erwiderten es voller Freude. Nur einer nicht:
»Du wolltest etwas mit uns bereden«, sagte Currann unvermittelt neben ihr.
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