»Dann ist ja gut..«, seufzte der Kleine an seiner Schulter.
»Komm, ich bringe dich nach Hause.«
Strahan sah ihnen mit unbewegtem Gesicht hinterher. Sinan verabschiedete sich mit Handschlag von Yorran und ging leise in sich hineinlächelnd seiner Wege. Er glaubte, dass Strahans Entschlossenheit, in Currann den bösen Räuber seiner Tochter zu sehen, heute tiefe Risse bekommen hatte. Wenn jetzt alles gut ging, war binnen des Abends in der ganzen Siedlung bekannt, was in der Schmiede vor sich ging, und damit endgültig das Misstrauen ihnen gegenüber ausgeräumt. Kedar würde dann hoffentlich auf verlorenem Posten stehen.
Ganz im Gegensatz zu ihm war Currann überhaupt nicht mit sich zufrieden. Über ihn brach das Donnerwetter Nurias herein, sobald sie den Gesichtsausdruck ihres Sohnes sah und erfuhr, was die Jungen heute gelernt hatten. Evan war zum Glück nicht anwesend, sodass ihm weitere Vorhaltungen erspart blieben. Er hoffte nur, dass Belan deswegen keine Albträume bekommen und Nuria eine ruhige Nacht haben würde.
Im Fort angekommen, ließ er sich durch die gute Laune seiner Kameraden nicht anstecken, sondern er brütete vor sich hin, während er lustlos in seinem Essen herumstocherte.
»Wenn es dir nicht schmeckt, ich esse es gerne!« Tamas langte ordentlich zu. Currann antwortete nicht, sondern bedachte ihn nur mit einem finsteren Seitenblick. »Also, das war wirklich geschickt, wie Sinan das angestellt hat«, fuhr Tamas unverdrossen fort, die Unterhaltung in Gang zu halten. Er berichtete, was sie den Tag über getrieben hatten.
Currann hörte gar nicht mehr hin. Er war in Gedanken immer noch bei Belan und ob er ihm und den anderen jüngeren Kindern nicht zu viel zugemutet hatte.
Jemand anderes hörte dafür umso genauer hin. Siri war, beunruhigt über das Ausbleiben ihres Vaters, bis an die Tür getreten, um ja kein Wort zu verpassen. Im Stillen schalt sie ihren Vater. Er behandelte Currann nicht gerecht, und sie war Sinan sehr dankbar, dass er den Anstoß zu einer Annäherung gegeben hatte.
In der Diele wurde die Unterhaltung stetig fröhlicher, als Sinan und Tamas zum Besten gaben, was die Jungen von sich gegeben hatten.
Abschließend sagte Tamas jedoch mit einem traurigen Unterton in der Stimme, der sie alle verstummen ließ: »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Yassin meinem Bruder in Nador begegnet ist. Ihm muss schrecklich langweilig gewesen sein, nachdem ich fort war.«
»Wie alt ist denn dein Bruder?«, fragte Sinan mitfühlend.
Tamas musste tatsächlich rechnen. Er überlegte. »Er wird vierzehn, er ist etwa im selben Alter wie dein Bruder, Currann, vielleicht ein wenig jünger. Sie wären wohl zusammen zur Heerschule gekommen.« Es folgte gedrücktes Schweigen. Sie sprachen nicht gerne über ihre Familien. Tamas hatte seinen Bruder bisher so gut wie nie erwähnt.
Schließlich stand Yemon schweigend auf und begann, die überzählige Schale auf ihrem Tisch zu füllen. »Ich bringe ihr schnell etwas.«
Erschrocken floh Siri in die angrenzende Kammer. Es blieb ihr keine Zeit, sich richtig hinzulegen, sie konnte sich nur mit dem Rücken an die angrenzende Wand pressen. Keinen Moment später klopfte es schon und die Tür ging auf.
Siris Herzschlag dröhnte in ihren Ohren. Als sie sich halbwegs wieder beruhigt hatte, war es nebenan still. Sie glitt an der Wand nach unten. So konnte es nicht weitergehen! Wollte sie sich jedes Mal verkriechen wie ein verängstigtes Tier? Sie glaubte zu wissen, dass es auch dies war, was ihr Vater Currann zum Vorwurf machte. Nein, das durfte nicht sein! Es war ihre eigene Schuld, nicht Curranns. Sie musste etwas tun, sie musste Currann vor den Vorwürfen ihres Vaters schützen, so, wie er sie beschützt hatte. Das war sie ihm schuldig, selbst wenn es bedeutete, dass sie sich der Blicke der Kameraden aussetzen musste. Und Curranns. Das war es, was sie am meisten fürchtete.
»Was willst du, Siri?«, fragte ihre Tante Karya eine Weile später.
Siri ließ sich von ihrem Instinkt leiten, wie immer, wenn sie sich vollkommen entspannte. »Ich will einen Raum für mich, wo ich nicht gestört werde.« Was so einfach klang, war in Wahrheit unendlich schwierig.
Karya verstand es denn auch nicht. »Aber den hast du doch hier?« Sie wusch ihr mit kräftigen Bewegungen den Rücken. Es hatte etwas Tröstliches.
»Ich weiß nicht. Nein, eigentlich nicht. Ständig besteht die Gefahr, dass jemand hier hereinkommt und..« Sie hob die Schultern.
»Natürlich. Sie machen sich Sorgen um dich, Kleines, und schließlich wurde dieser Raum vorher von ihnen allen benutzt.« Karya klopfte an den Zuber.
Siri seufzte. »Ich werde morgen früh mit ihnen reden. Kein Verstecken mehr.«
»Tapferes Mädchen.« Sie erhielt einen Kuss auf die Stirn.
»Hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln«, wehrte Siri ab, aber sie lachte dabei.
Karya nahm es ihr nicht übel. Sie sah noch kurz nach dem Kleinen und machte sich dann auf den Weg zurück in die Siedlung.
Weit kam sie nicht. Kaum hatte sie das Tor durchschritten, wurde sie auch schon angerufen. »Karya!«
Erschrocken fuhr sie herum. »Bei allen Heiligen.. Tajaeh! Müsst Ihr mich so erschrecken!?«
»Tut mir leid.« Tamas lehnte im Schatten der Mauer. Nur seine Silhouette war zu erahnen. »Habt Ihr.. habt Ihr etwas von Mari gehört? Wie geht es ihr?«
›Was geht Euch das an?‹, hätte Karya fast gefragt, doch sie beherrschte sich. Aus den Berichten der anderen wusste sie, dass Tajaeh sich schützend vor Mari gestellt hatte. »Das fragen wir uns alle«, seufzte sie, und als Tamas sich nicht rührte, fügte sie hinzu: »Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen.«
»Wie konntet Ihr sie nur zu ihm zurückgehen lassen?« Es war heraus, bevor Tamas es verhindern konnte. Es war ein Fehler, er merkte es sofort.
Karya verschränkte die Arme. »Und was geht Euch das Wohl meiner Tochter an? Und was fällt Euch eigentlich ein, mir Vorhaltungen zu machen?«
Tamas presste die Lippen zusammen. Für Karya war es nicht zu sehen. Sie hörte nur, wie er scharf einatmete. »Nichts. Ich mache mir nur Sorgen. Verzeiht.« Er stieß sich von der Mauer ab und war gleich darauf im Tor verschwunden.
»Tajaeh, wartet!«, rief Karya, bevor er das Tor zustemmen konnte. »Meine Tochter ist in vielerlei Hinsicht noch ein kleines Kind. Haltet das, was im Sommer geschehen ist, nicht für echte Zuneigung. Sie hat sich sehr verändert seitdem.«
»Das weiß ich, aber schützt sie das vor ihrem Vater?« Tamas lehnte das Gesicht an die Toreinfassung.
»Goran hat mir versprochen, auf sie aufzupassen.«
Tamas konnte ein Schnauben nicht unterdrücken. »Er hat doch noch nie etwas getan. Ihr seid töricht, wenn..« Er verstummte beschämt, als er erkannte, dass er drauf und dran war, Karya zu beleidigen.
»Die Dinge sind niemals so einfach, wie sie scheinen«, erwiderte sie schneidend. »Maßt Euch nicht an, beurteilen zu können, was in meiner Familie vorgeht!«
Mit dieser rätselhaften Bemerkung ließ sie ihn einfach stehen. Tamas sah ihr ratlos hinterher. Erst, als er nach langer Zeit das Tor schloss, bemerkte er, dass er nicht allein war. Ouray saß trotz der Kälte auf den Treppenstufen zum Wehrgang und beobachtete ihn. Tamas wusste nicht, was er sagen sollte. Er wusste überhaupt nicht mehr, was er von alldem halten sollte. Und so verharrte er stumm, bis Ouray schließlich ein Einsehen hatte. »Er hat sie mit irgendetwas in der Hand. Auf dem Tempelplatz hat er ihr mit etwas gedroht.«
»Gedroht?« Tamas fand seine Sprache wieder.
»Oh, nicht mit Worten«, Ouray stand auf und streckte seine steifen Glieder, »es war mehr der Hauch einer Andeutung. Die meisten haben es gar nicht mitbekommen, so sehr waren sie mit Mari beschäftigt, aber Karya hat sofort nachgegeben. Glaube mir, in dieser Familie stimmt etwas nicht, und du tätest gut daran, dich rauszuhalten.«
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