Candy runzelte die Stirn. »Wieso erkaufen?«
Hank wirkte ungehalten. »Einer der Fettsäcke hat mich darauf angesprochen, ob ich für ihn den Bodyguard spielen könnte. Nein, Leute, wir sollten unter uns bleiben. Und auf ein nächstes Treffen kann ich auch verzichten. Keiner von denen kann rudern. Wenn die wieder alle mit ihren Bötchen übers Wasser kommen, können wir gleich ein Schild aufstellen: Hallo, ihr da draußen, hier sind wir! «
Keiner sagte etwas darauf.
Es war Edward Huntington, der wieder den Faden aufnahm. »Ich denke, Hank hat recht. Ich ging davon aus, dass sich auf den Inseln mehr jüngere Menschen aufhalten würden. Aber das ist es nicht alleine. Ich habe Mäuschen gespielt und mich umgehört. Die meisten der Inselbewohner haben sich ein Luxusleben aufgebaut. Sie hatten immer jemanden, der für sie die Kastanien aus dem Feuer geholt hat. Dieses Verhalten werden sie nicht so schnell ablegen, wenn überhaupt.« Huntingtons Wagenknochen traten hart hervor. »Diese Menschen bedeuten für uns eine zusätzliche Gefahr. Sie sind verweichlicht und egozentrisch. Sie würden uns bei der erstbesten Gelegenheit in den Rücken fallen.«
»Ganz meine Rede«, bestätigte Hank. Auch Candy nickte.
Mary-Ann sowie die Morrissons hatten sich zurück ins Wohnzimmer begeben. Die Unterhaltung war laut genug geführt worden. Sie hatten alles mithören können.
»Gut«, meinte Mary-Ann. »Ich denke, es macht auch keinen Sinn, die weiter entfernt gelegenen Inseln noch abzuklappern. Das kostet nur unnötig Zeit. Und die - denke ich - haben wir nicht mehr. Mittlerweile bin ich zu der Einsicht gekommen, dass es eine Schnapsidee war, sich auf den Inseln umzusehen. Irgendwie muss der Gutmensch mit mir durchgegangen sein ...« Sie lächelte giftig.
Joshua nickte zustimmend. Er musterte Huntington nachdenklich. Der Psychiater hatte sich in den letzten Wochen stark verändert. Begonnen hatte es, als damals Cybil in der Arena von Chesterville ums Leben gekommen war. Huntington hatte dieser Tage sehr viel mehr Biss, leider wirkte er stellenweise aber auch sehr viel kühler als der Mann, der ihn damals aus dem Gefängnis gerettet hatte. Joshua verdrängte die Gedanken. Sie alle hatten sich verändert, und keiner wusste, was noch werden würde. Wie sie sein würden, in Zukunft.
Tim Morrisson meldete sich zu Wort. »Wir bleiben für uns. Ich denke, dass es das Beste ist. Und auch keine neuen Versammlungen. Wenn einer von den anderen rüberkommen will, soll er es tun, wir werden sie kaum davon abhalten können. Ich für meinen Teil hoffe nur, dass keiner der Bonzen so blöd ist, den Außenbordmotor zu starten, ohne vorher zu kontrollieren, ob sich jemand am Ufer aufhält.«
Mary-Ann sah sich in der Runde um. Wohin sollten sie gehen, wenn es zu einem Angriff kommen sollte?
Francine Morrisson schien einen ähnlichen Gedanken zu haben. »Ich will nicht unken, aber wenn es zum Fall der Fälle kommt, können wir dann alle mit dem Hubschrauber mitfliegen?« Francine, eine Mittdreißigerin, die wie Mitte zwanzig aussah, wirkte äußerst beunruhigt.
»Grundsätzlich kein Problem«, erwiderte Candy mit verkniffener Miene. »Im Notfall kann die Bell 14 Passagiere mitnehmen. Das Problem ist, dass wir dann keinerlei oder nur wenig Lebensmittel und Ausrüstung mitnehmen könnten. Im Falle des Falles: Ja, wir kommen hier weg. Die Frage ist nur: Wohin soll es gehen ...?«
»Darüber können wir später nachdenken«, mischte sich Joshua ein. »Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir herausbekommen, wer die Malls geplündert hat. Bis jetzt ist es der große Unbekannte im Dunkeln. Wer sind sie? Wie sind sie? Danach sehen wir weiter. Wenn es eine Gang ist, werden wir abwarten müssen, wie viele es sind.« Er schwieg für einen Moment. »Gut, Candy, du und Hank geht morgen also auf Erkundung. Ich denke, wir sollten hier so viele Pfeile wie möglich für die Armbrüste und Bögen anfertigen. Schusswaffenmunition dürften wir im Jachthafen keine mehr finden, da haben wir ja schon fast alles abgegrast. Wir verhalten uns ruhig, beobachten das Ufer.« Er wandte sich an die Kinder und bat sie herzukommen, doch Huntington winkte ab. »Ich habe schon mit ihnen geredet. Sie werden uns beim Besorgen der Äste helfen und abwechselnd mit den Feldstechern das Ufer kontrollieren. Macht ihr doch, Jungs, Mädels?« Er sah zu den Kindern, die begeistert nickten und möglicherweise das ganze für ein sehr spannendes Spiel hielten. Aber wer konnte schon in ein Kind hineinsehen? Was wusste man schon davon, wie Kinder eine solche Ausnahmesituation aufnehmen und verarbeiten konnten? The Kids in Zombieland ... Klang irgendwie trashig. Huntington sah kurz zum Fenster raus. Sie werden sich anpassen, wie wir alle - es geht nicht anders ...
Francine Morrisson und Sadie Miller sahen sich kurz an. Es war Sadie, die kurz darauf sagte: »Mary-Ann, wenn es dich nicht stört, werden Francine und ich einige Pakete mit Notrationen vorbereiten. Vielleicht müssen wir schneller von hier weg, als wir denken ...«
Mary-Ann lächelte. »Bewegt euch in meiner bescheidenen Hütte als wärt ihr Zuhause.« Sie mochte die beiden. Was schlimmer war, sie mochte auch Hank, etwas zu sehr vielleicht. Sie hielt besser Abstand zu ihm. Zum einen war da Joshua, zum anderen war Hank verheiratet, solcherlei Komplikationen hätten gerade noch gefehlt. Auch Candy hatte Hank ganz komisch angesehen, das war Mary-Ann nicht entgangen. Schnell verdrängte sie die Gedanken.
Joshua warf ihr einen sehr nachdenklichen Blick zu. Offensichtlich war es nicht unbemerkt geblieben, dass sie Hank einmal zu oft zu gründlich gemustert hatte. Sollte sie Joshua darauf ansprechen? Nein. Mary-Ann entschied sich dagegen. Schlafende Hunde sollte man nicht wecken. Es war ja gar nichts passiert. Und es würde auch nichts passieren, das war sie sich selber schuldig, ihrer Integrität.
»Lässt du auch Fremde ans Steuer deiner Bell?«, riss sie die Stimme von Hank aus den Gedanken. Die Frage war an Candy gerichtet.
»Du kannst einen Hubschrauber fliegen?«
»Ja. Ist zwar lange her, aber ich denke, es schadet nichts, wenn du mir eine Einweisung gibst. Ich denke, ich bin noch nicht ganz eingerostet, aber besser ist besser.«
Candy nickte. »Aber natürlich. Hast du Einsätze bei der Army geflogen?«
Ein Schatten schien über Hanks Gesicht zu huschen. »Nein. Ich habe aus Lust und Laune privat den Schein gemacht. Früher bin ich öfters geflogen, aber irgendwann war dann keine Zeit mehr dafür.«
»Okay. Wenn wir zurück sind, gehen wir die Kontrollen durch.«
Hank nickte nur.
»Er gefällt dir«, raunte Joshua, der neben Mary-Ann getreten war, ihr ins Ohr.
Mary-Anns Wangen röteten sich wie bei einem Schulmädchen, das man bei einem verbotenen Kuss ertappt hatte.
Joshua legte ihr die Hand auf den Arm. »Ist okay. Machen wir keine große Sache daraus. Ich finde ja auch Candy ziemlich cool. Anschauen, Appetit holen - aber nicht anfassen - oder?«
Mary-Ann erwiderte sein Lächeln. Sie kam sich albern vor, daher sagte sie nichts.
Candy wiederum entging nicht, dass Sadie Miller ihr einen skeptischen Blick zuwarf. Candy wusste, dass sie eine sehr attraktive Frau war. Tough, selbstsicher, unabhängig. Hank war nicht ihr Typ, vielleicht weil er selbst zu dominant war. Trotzdem hatte er was. Möglicherweise, weil er so ganz anders als ihr ermordeter Mann war. Du belügst dich selbst , sagte sie sich. Hank war sehr wohl ihr Typ - vielleicht versuchte sie sich gerade deshalb einzureden, dass sie nicht zusammenpassten.
Edward Huntington betrachtete sehr nachdenklich die Anwesenden. Es würde zu Spannungen kommen. Zu viele attraktive Männer und Frauen in einer sterbenden Welt. Menschen, die Schutz suchten, Nähe, vielleicht Zärtlichkeit. Oder profanen Sex.
Man war sich sympathisch, man war sich sehr schnell nähergekommen. Vielleicht zu schnell. Die Zukunft würde es zeigen. Huntington drängte die Gedanken zurück. Zuerst mussten sie herausfinden, was im Umfeld vor sich ging. Die latente Bedrohung dort draußen war wohl doch nicht das Schlechteste, sie lenkte ab, machte fokussiert auf das Morgen, den möglichen Angriff.
Читать дальше