Gregor hatte ein verlegenes Grinsen aufgesetzt.
Olgas Blicke tanzten zwischen seinen kalten Augen und fahrigen Händen hin und her. Der Hausherr, gut gelaunt, begrüßte die Gäste, der Aperitif wurde gereicht, man setzte sich an den Tisch und plauderte.
„Olga, Liebchen, wir sind am Verhungern und über die Weltlage haben wir lange genug geredet.“
Mit piepsiger Stimme fragte die Puppenfrau ob sie denn nicht helfen könne.
„Nur das nicht, bleiben sie hübsch sitzen, Kindchen, meine Frau mag es gar nicht, wenn man ihr hilft.“
Olga verschwand in der Küche und entleerte über drei der dampfenden Teller blitzschnell viele Tropfen aus einem kleinen braunen Fläschchen, der Totenkopf auf dem Etikett grinste sie freundlich dazu an. Unter der Spüle ließ sie es dann zwischen den Reinigungsmitteln verschwinden und schob den Servierwagen mit der nach Meer und Knoblauch duftenden Bouillabaisse herein. Sie zitterte, das tödliche Spiel begann.
“Oh, ich habe noch etwas in der Küche vergessen“, rief sie und bat ihren Mann die Suppenteller zu verteilen. Olga kam mit einer Menage zurück, wünschte guten Appetit und schenkte ihren Gästen ein freundliches Lächeln.
Über den Rand seiner beschlagenen Brille sah Gregor Olga an.
„Köstlich, wie damals, und doch ein völlig neues Geschmackserlebnis. Ich bin hier schon immer verwöhnt worden.“
Mit diesem Satz neigte er sich zu seiner kichernden Ehefrau. In deren Augen lagen wieder Fragen und Verwunderung. Der Gastgeber war in bester Laune, erhob sich, klopfte an sein Glas:
„Man sagt uns Männern ja nach, dass wir mit mehr Phantasie kochen, doch das ist eine Mär. Mit schneiden, schnibbeln und putzen sind wir schon absolut überfordert, nicht wahr, Gregor? Meine Frau schafft es aber in ein paar Stunden ein Menü auf den Tisch zu zaubern, und jede Mahlzeit wird zu einem Fest. Ich habe einen Blick in die Küche werfen dürfen, freuen wir uns nach dieser köstlichen Suppe auf Coq au Vin, den Hahn im Rebenblut. Etwas Süßes für die Leckermäuler, eine Crème Brulée, wird zum Abschluss nicht fehlen. Den Wein habe ich ausgesucht, zu dieser Suppe musste es natürlich ein Franzose sein, ein 98ziger Mâcon clesse´ aus dem Burgund, weich und trocken wie die Wüste Gobi, doch wer jetzt Rotwein mag muss sich gedulden, ich habe da etwas ganz Besonderes, einen Rossese Dolce Aqua, er atmet noch bei leichter Mozartmusik in meinem Arbeitszimmer. Es war übrigens Napoleons Lieblingswein und ist an seinem leicht pfeffrigen Nachgeschmack zu erkennen, doch das nur nebenbei. Also, geliebtes Weib, der Schmaus kann endlich beginnen, wir haben hoffentlich alle Hunger.“
Olga lächelte und beeilte sich die nachfolgenden Köstlichkeiten auf den Tisch zu bringen. Die Frauen hatten sich wenig zu sagen, sie hörten den Gesprächen über Börsenkurse und Versicherungssummen gelangweilt zu. Gregor verdrehte des Öfteren die Augen, öffnete den obersten Hemdknopf und sog die Luft durch die Zähne ein. Seine Nasenflügel blähten sich. Auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen, die er mit der Serviette abtupfte.
Olga grinste, sie starrte auf ihren Teller, dann wanderte ihr Blick zu ihrem Mann und der Puppenfrau. Wer würde lebend ihr Kochgefängnis verlassen? Gregor stand plötzlich auf.
„Es tut mir furchtbar leid. Wir müssen aufbrechen. Ich hätte wissen müssen, dass mein Magengeschwür bei einem so köstlichen Essen rebelliert. Leider habe ich meine Medikamente zu Hause vergessen. Seien sie mir, seien sie uns bitte nicht böse.“
Auch der Hausherr erhob sich, sein Gesicht war schmerzverzerrt und leichenblass.
„Meine Liebe, ich bin bestürzt, die Suppe war wohl etwas zu scharf, auch mein Magen hat sie nicht vertragen, du solltest dich mal wieder auf die deutsche Küche besinnen.“
Die Puppenfrau, leicht grün im Gesicht, machte große Augen und grinste ängstlich. Olga begleitete die Gäste zum herbeigerufenen Taxi. Ihre Genesungswünsche verhallten in der Nacht. Es war spät geworden, fast Mitternacht. Nach dem stürmischen Aufbruch hatte die Ruhe für Olga jetzt etwas Tröstliches. Ihre Augen blickten in die Ferne, endlich hatte ihre Seele Ruhe gefunden.
Vor ihr, der Siegerin, lagen stille, einsame Tage.
Lola rennt nicht, Lola surft. Sie ist eine stark übergewichtige Frau und leidet seit Jahren sehr unter ihrer Fülle. An ihrem zweiundvierzigsten Geburtstag, blättert sie in den Internetseiten und bleibt bei dem Stichwort: www.uebergewicht.de hängen. Was sie dort liest macht sie neugierig und erregt sie.
"Überzeugen Sie sich von der unglaublichen Wirkung seltener Teeblätter. Ihr Geheimnis hat man auf einer Andenexpedition entdeckt. Mit einmaliger Einnahme einer Tasse Tee verlieren sie schon nach drei Wochen 5 kg und nach einem halben Jahr werden Sie um 20 kg leichter sein. Sie werden ein Wunder erleben. Das ist ein Geschenk für Sie und kostet nur 30 Euro.
Achtung! Verwenden Sie nie kochendes Wasser! Schütten Sie das Pulver in einen Becher, gießen sie handwarmes Wasser dazu, dann warten Sie eine halbe Stunde und trinken den Aufguss ganz langsam aus."
Es folgen Firmenname, Bestellnummer und eine Bankverbindung. Lola hat schon viele Diäten mit hart gekochten Eiern, Krautsuppen, frischen Ananasstücken und Kuren mit den verschiedensten Körnern hinter sich gebracht, aber immer ohne den gewünschten Erfolg! Die Angebote in den Apothekenzeitungen mit Formoline L 112, Fastenwandern im Elsass und die vielen Fitness Studios in der Stadt erinnerten sie zu sehr an ihren aus den Fugen geratenen Körper. Sie hatte den Eindruck gewonnen, dass niemand ihr helfen kann, und dann dies. Etwas Neues. Sie träumt sich in die Anzeige hinein, 20 kg weniger, vielleicht auch mehr, dann könnte sie wieder Kleidergröße 44 oder gar 42 tragen. In einer Ecke ihres Kleiderschrankes hingen noch ihre Lieblingsklamotten, das Violette mit dem schwingenden Glockenrock, das teuerste beigefarbene Kostüm ihres Lebens und das kleine Schwarze mit dem Goldbolero, die könnte sie dann wieder anziehen, sich wohl fühlen, und mit Freude ihre übergroßen Klamotten entsorgen. Über ihren Bauch hinweg könnte sie wieder ihre Füße sehen, und ihre schweren Brüste wären wieder kleiner und fester auch der Po würde knackiger werden. Ob sie sich den Nabel piercen lassen sollte? Na ja, in ihrem Alter wäre ein Hirschgeweihtattoo sicher besser. Ob ihr das Coco Chanel-Kostüm dann auch wieder passen wird? Vor lauter Begeisterung zu Ehren ihres neuen Lebens, ihres schlank werdenden Körpers, wird sie ihn mit feiner Seidenwäsche verwöhnen, und sie wird sich nie mehr vor abschätzigen Männerblicken verstecken müssen. Per Mausklick ins Glück, Lola bestellt voller Vorfreude und überweist den geforderten Betrag. Einige Tage vergehen in freudiger Erwartung, dann kommt er endlich, der Brief, in ihm ein weißer Beutel mit der Gebrauchsanleitung. Vorsichtig erwärmt sie etwas Wasser, schüttet das Pulver in eine Tasse und wartet die angegebene halbe Stunde. Etwas angewidert aber voller Hoffnung trinkt sie die bräunliche Brühe.
Drei Wochen geschieht gar nichts. Gelegentlich wird ihr schlecht, sie muss erbrechen, dann aber vollzieht sich das Wunder. Sie nimmt ab, jede Woche ein Kilo und kann es kaum fassen, es funktioniert, wirklich, ein Wundertee. Sie hatte kurz befürchtet einem Betrüger aufgesessen zu sein. Immer wieder betrachtet und dreht sie sich wie ein Brummkreisel vor ihrem großen Spiegel.
Ihre ebenfalls pummelige Kollegin und Freundin Cora bemerkt Lolas körperliche Veränderung, freut sich mit ihr über die Gewichtsabnahme, und bestellt ebenfalls die Wunderteemischung. Beide Frauen treffen sich nun regelmäßig zum Kaffee und kontrollieren ihr Gewicht auf der Personenwaage. Auch bei Cora scheint der Tee anzuschlagen. Die Begeisterung wächst und Modekataloge werden zu ihrer Lieblingslektüre. Sie verlieren sich in deren bunten Seiten und beschließen sich von Kopf bis Fuß neu einzukleiden.
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