Der Tanz um das Gute und das Böse ist in vollem Gange. Natürlich nun auch im Gesundheitswesen, einem wirtschaftlichen Markt, der unermessliche Gewinne auf alle Zeiten, solange Menschen leben werden, garantieren soll. Das Gute im beruflichen Bereich, der mit menschlicher Gesundheit und Krankheit zu tun hat, wäre ein Handeln, das den Menschen unter zur Hilfenahme aller Möglichkeiten, gesund erhalten und kurieren möchte. Das Böse wäre, ihn schlicht zu benutzen, um Gewinne zu erwirtschaften und ihn zu zerstören. Ein Gesundheitswesen müsste die Essenz einer hoch stehenden Kultur widerspiegeln, die über Heilungsmittel verfügt und die Kenntnis über Heilungsprozesse zweifelsfrei widerspiegelt und vervollständigt. Es müsste sozusagen die Krone der Kultur widerspiegeln – bei uns spiegelt das Gesundheitswesen das Bestreben wieder, medizinische und pharmazeutische Fließbandarbeit unter Absehung des einzelnen Menschen in der Masse möglichst billig und notdürftig herzustellen. Methoden und Technisierung nehmen einen höheren Stellenwert aufgrund des gleichzeitigen Bestrebens, das Gesundheitswesen gewinnträchtig zu gestalten, ein. Der einzelne, kranke Mensch hat keine Lobby und meist kein Geld, um sich andere Behandlungen leisten zu können. Diese gegenwärtige Trias von Kultur, Wirtschaft und Politik hat viele gute Möglichkeiten geschaffen, die nur wenigen zu Gute kommen. Das Ziel, Heilung und Mensch, wird jedoch dem Ziel Gewinn geopfert. Heilung und Mensch sind Nebensache. Sie haben zusätzlich zur minimierten Standardversorgung mit den Folgen der Ökonomisierung der Heilung zu kämpfen – ein Faktor, der das menschliche Wesen zusätzlich demütigt. Auf was kann der Mensch dann noch vertrauen? Auf die Zuverlässigkeit allgemeiner, menschlicher Blindheit, besser bestimmte Prozesse und Realitäten nicht zu benennen, in der Hoffnung, dass sich dann alles zum Guten entwickelt?
Die glanzlose Krone der Kultur: Wettbewerb.
Diese ökonomischen und kulturellen Folgen spiegeln sich auch in den Praxen von Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten wieder. Ökokulturelle Auswirkungen werden in Diagnosen objektiviert, rationalisiert und wissenschaftlich diskutiert, ohne systematisch Zusammenhänge zu den existenziellen Grundlagen der Menschen in Deutschland herzustellen. Medizin und Psychotherapie arbeiten wissenschaftlich theoretisch und praktisch auf das einzelne Individuum zentriert. Der Patient wird letztlich mit seiner Persönlichkeitsstruktur, seinen Symptomen und Krankheiten unabhängig von sozialpolitischen, psychoökologischen und psychoökonomischen Einflüssen gesehen, bewertet und behandelt. Sowohl hinsichtlich der Verursachung von Krankheit, als auch hinsichtlich Gesundwerdungsprozessen trägt er letztlich die Verantwortung selbst. Diese Sichtweise schlägt sich nieder in Appellen an die Eigenverantwortlichkeit von Patienten. Sie sollen sich kundig machen, wie sie gesund werden können. Verantwortungsnahme wird jedoch von einseitiger, irreleitender und/oder erschlagender Informationsflut und sachlichen Mitteilungen differierender Bezugnahme auf Fachgebiete und deren Darstellungssausschnitt hinsichtlich Vergleichbarkeit verunmöglicht. Auf gut Deutsch: Vorhandene Verantwortungsübernahme durch Patienten trifft auf durch ökonomische Interessen geleitete Darstellung diverser Klinikführer. Die fehlende ökonomiefreie Orientierung am Prinzip der Heilung lässt die Suche nach den richtigen Behandlern zum Desaster werden. Ergo: Verantwortungsnahme der Patienten trifft auf fehlende Verantwortungsnahme in der Gesundheitswirtschaft. Die Orientierung am Wettbewerbsprinzip macht’s möglich.
Wirtschaft und Gesundheitswirtschaft orientiert sich generell weiter gewinnträchtig und profitabel, konzentriert sich auf die Erwirtschaftung von Mehrwert. Während im Gegenzug der Lebens- und Selbstwert, mit dem Gesundheit, Freude, Förderung von Fähigkeiten, Sicherheit, Zuversicht und Zukunft gekoppelt sind, für Menschen Unten weltweit abgebaut werden. Die Marx’sche Lösung oder Vision , wie sich Wirtschaft nicht gegen die Bedürfnisse von Menschen wendet, sondern das Leben einerseits in ein Reich der Notwendigkeit durch Arbeit wandelt, und andererseits die freie Zeit als Grundlage und Ziel der Selbstverwirklichung des Menschen diente, löst sich nach vielen Jahren, in denen man in Deutschland in der Betrachtung der Oberfläche hätte sagen können, man peile kulturell eine entsprechende Entwicklung an, auf. Denn in der Tiefe, folgt man der Marxschen Analyse des Kapitals und der Theorie der Entfremdung des Menschen von seinem Selbst, müssen immer einzelne und/oder viele Menschen mit ihrem Leben, mit ihren Kräften, mit ihrer Psyche, mit ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit ausgleichen, was ihnen mittels kapitalistischer Wirtschaft und dem Streben, Profit zu erwirtschaften, genommen wird. Marx beschrieb das gemeinschaftliche kulturelle Leben von Menschen wie folgt:
„Das produktive Leben ist aber das Gattungsleben.
Es ist das Leben erzeugende Leben.“
(MEW, Bd. 40, Seite 666ff.)
Das produktive Leben, das Gattungsleben, driftet in der Oben-Unten-Gesellschaft auseinander: Die Werte und Ziele dieser beiden künstlich durch wirtschaftliche Interessen erzeugten Gruppen stimmen nicht überein, sind völlig gegensätzlich. Das einzig gemeinsame ist, leben zu wollen. Die eine Gruppe muss sich mit Haut und Haaren selbst verkaufen, um das monatlich notwendige zum Leben zu haben. Die andere hat in jeder Hinsicht alle Hände voll damit zu tun, ihre wahren Ziele in der immer wieder neuen Schaffung von Abhängigkeiten zum Zwecke der Kapitalvermehrung so zu entstellen, dass sie noch irgendwie glaubhaft Unten ankommen. Sprich, sich selbst (persönlich) wie die Ziele ihrer Ökonomie (Rolle im Rahmen der Ökonomie) als edel und unabdingbar notwendig für den Bestand der Gesellschaft und damit letztlich Leben, erscheinen zu lassen. Nebenbei bemerkt, vermischt sich auf dieser Ebene der Diskussion immer wieder persönliche Verantwort und Haltung, mit den vom Kapitalismus geforderten Rollen zur Verwirklichung und Erhalt des Systems. Denn auch Oben ist man entfremdet und auch dort spiegelt man nur die halbe Wahrheit des Mensch- und Personsein wieder. Beliebig wird dafür schon mal ohne Ankündigung die Rolle vertauscht und derjenige, der die kapitalistische Rolle eines in der Wirtschaft Tätigen anspricht, steht plötzlich als die Person non grata da, weil sie den Menschen vernachlässigte! Für das Funktionieren dieses Oben-Unten-Systems in der Gesellschaft werden viele gutgläubige von Unten, die diese Arbeit wiederum für ein relativ geringes Endgeld, verglichen mit dem, was es Oben einbringt, zu verrichten. Unten hat man immer die Entschuldigung, man habe keine andere Wahl. Die fehlende Wahlmöglichkeit ist die entscheidende Stelle und Wunde, die dieses System so erhält, wie es immer funktioniert hat. Ungeniert wird diese psychoökonomische Abhängigkeitsstelle und -wunde in der Seele immer wieder bei Millionen von Menschen getroffen und die Psyche bemüht sich in jedem einzelnen Menschen um Ausgleich. Argumentiert wird von allen Seiten mit Notwendigkeit , um dem Untergang dieses kapitalistischen Systems im großen oder kleinen Stil entgehen zu können. Immer weitere und größere Opfer zu bringen, ist universale Notwendigkeit. Oben hat man freilich mehr davon. Aber dies auch nur bis zu dem Punkt, bis man alles dem Ziel des Profites geopfert hat und Kapital lange genug hin- und her geschoben, Umwelt und Welt vollends zerstört hat. Wie man liest, muss das kapitalistische System in sein eigenes System zum Selbsterhalt Kapital hineinpumpen. Abhängigkeitswille, Opferung des eigenen Lebens, Anpassung um jeden Preis.
Dieses Gattungsleben erzeugt nur bedingt und entfremdet Leben; bestenfalls Überleben. Es erzeugt in zunehmenden Maßen Zerstörung, Konflikt und Krankheit. In den letzten Monaten war in den Nachrichten zu hören, wie verheerend sich die kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen auswirken. Aktuell ist zu lesen: „Banken-Crash, Rettungsaktionen – rund ein Jahr nach dem Ausbruch der Kreditkrise in den USA schrillen die Alarmglocken lauter denn je. Mit Hochdruck sucht die US-Regierung nach milliardenschweren Beruhigungspillen für die Finanzmärkte.“ („Milliardenschwere Stütze.“ Neuer Höhepunkt der Kreditkrise/ US-Regierung mit Rettungsplan für zwei Banken. In: Ruhr Nachrichten, 15. Juli 2008). Der Euro überflügelt den Dollar und Deutsche fliegen zum Einkauf gen New York! Internationale Mobilität der Schnäppchenjäger ist gefragt, auch wenn das Leid des einen Landes die Billig-Freude der anderen besiegelt. Das Gattungsleben in unserer Kultur scheint sich demgemäß, so oder so, in eine chronische Konfliktkultur entwickeln zu müssen, um Lösungen aus diesem Käfig zu finden. Vor allen Dingen ohne Konsequenzen lediglich zu dokumentieren, zu diskutieren und Löcher notdürftig zu stopfen, um alles so belassen zu können, wie es ist, scheint nicht die versprochenen Lösungen zu bringen. Neue Verordnungen und Gesetze zur Kontrolle aller von Unten werden wild verabschiedet, um der Lage im Lande Herr zu werden.
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