„Na komm.“
Er weiß wohl, dass ich ihm eine Antwort schuldig bleiben werde und rappelt sich stattdessen wieder auf, mich immer noch am linken Oberarm haltend, so dass er mich mit sich hoch zieht. Das Kreischen von oben ist verhallt, dafür sind die Hilfeschreie jetzt aus einem anderen Teil des brennenden Gebäudes zu hören. Ich versuche noch ein letztes Mal mich von ihm loszumachen, stehen zu bleiben, umzukehren, meinen Freunden und Mitschülern zu Hilfe zu eilen, aber er lässt es nicht zu. Er prescht in die Empfangshalle und hält unmittelbar auf die große Flügeltür zu. Von draußen in der Ferne drängt das Plärren von Feuerwehrsirenen an mein Ohr. Aber die werden zu spät kommen. Viel zu spät. Die sind noch viel zu weit weg. Es ist keiner außer uns in den Gängen gewesen. Das Feuer hat uns alle im Schlaf überrascht. Und wenn der schwarzhaarige Fremde Zeus-Typ nicht aufgetaucht wär und mich aus dem Schlaf gerissen hätte, dann wäre ich jetzt auch noch da oben.
Er wirft sich mit der Schulter gegen das riesige Eingangstor, das nachts immer verschlossen ist, und im nächsten Augenblick sind wir auch schon draußen. Ich nehme einen tiefen Atemzug und die kalte, frische Luft brennt höllisch in meiner vom Qualm gereizten Lunge. Die umliegenden Bäume und Sträucher werfen verzerrte Schatten und das Feuer taucht ihre Äste in ein warmes, tanzendes Licht. Über das verzehrende Geräusch des Feuers und in das Geheul der Sirenen mischt sich jetzt auch das Rattern von Helikopter-Rotorblättern, aber weder die Löschfahrzeuge, noch die Hubschrauber sind zu sehen. Auf dem Boden verstreut liegen immer noch die ganzen zerbrochenen Ziegel von dem Sturm gestern. Die Bäume haben sie schon wieder hergerichtet, so dass keine mehr umgestürzt oder abgeknickt sind. Nur hier und da liegen noch ein paar abgerissene Äste. Doch um die Ziegelsteine hat sich wohl keiner gekümmert. Ich werfe einen Blick zurück auf das brennende Gebäude und als ich dieses Mal stehenbleibe, lässt mein Begleiter es kurz zu.
Oh mein Gott, denke ich noch, während meine Knie anfangen zu zittern. Es ist schlimmer als ich erwartet habe. Viel schlimmer! Das gesamte Internat brennt lichterloh. Selbst der kleine Anbau. Rauch und Flammen steigen in den dunklen Nachthimmel empor und hier und da hört man noch das Schreien der Brandopfer. In ihrer Panik springen manche aus den Fenstern. Aus dem fünften Stock! Unsere Schlafräume liegen allesamt im fünften Stock, so dass man sich nachts nicht aus den Fenstern davonschleichen kann. Sie können den Sturz nicht überleben. Unmöglich.
Zeus zieht mich weiter fort, während ich die vom Feuer hell erleuchtete Häuserfront absuche. Bald sind wir so weit weg, dass ich in die oberen Fenster gucken kann. Und meine Augen nehmen plötzlich eine Gestalt wahr, die-
Oh mein Gott!, durchfährt es mich. Isabel !
Der Gedanke ist noch nicht ganz zu Ende gedacht, da setzt sich mein Körper auch schon von allein in Bewegung. Und prompt schließt sich die Hand des Fremden schmerzhaft um mein Handgelenk. Er schleudert mich zu sich herum, so dass ich in ihn hinein pralle. Das Garde-Buch! Shit! Die denken, sie hat… Mir wird ganz übel bei dem Gedanken. Zeus Hand hat mein Handgelenk losgelassen, liegt jetzt stattdessen auf meinem Rücken und als ich meine Hände gegen seine Brust stemme und versuche, von ihm wegzukommen, da lässt er es nicht zu. Aber sie weiß doch gar nichts! Ich hab ihr nichts von uns erzählt! Sie denkt doch nur, das ist ein Märchen! Ich hab ihr das Buch nicht gegeben, ehrlich!
„Aber Isabel!“ Über mein eigenes Geschrei und den Höllenlärm des Feuers meine ich ihre Schreie zu hören. Aber vielleicht ist es auch nur Einbildung. „Wir müssen zurück! Wir müssen-“
„Bist du wahnsinnig?“ fährt Zeus mich leise an und dreht mich um, so dass meine Rückseite an seine Vorderseite gepresst ist und ich wieder das brennende Internat vor mir sehe. Meine Augen finden Isabels Zimmerfenster sofort wieder. Das Zimmer, in dem ich eben noch geschlafen habe. Warum, um Himmelswillen, haben Sie nur `mich´ geweckt?, fahre ich Zeus in Gedanken an, kann mich aber von dem Anblick vor mir nicht lösen. „Wir können da nicht wieder rein!“
Zu dem Rauch in dem Zimmer – wahrscheinlich ist er unter der geschlossenen Tür durchgekrochen – haben sich die ersten Flammen gesellt. Sie tritt zurück, unmittelbar auf das Fenster zu, mit dem Rücken zu uns. Sie weiß nichts! Ehrlich!, beteure ich in meinem Kopf. Bis jetzt habe ich immer angenommen, die Garde zitiert Profane, die verbotener Weise über unsere Existenz und unsere Fähigkeiten Bescheid wissen, zur Garde-Hochburg, dem St. Michaels. Dort entscheidet dann der Großmeister, was mit ihnen passiert. In welche Kolonie sie gesteckt werden. Dass sie nicht in die Profane Welt zurück dürfen, ist mir klar. Aber die können doch nicht gleich das ganze Internat abfackeln! Die können Isabel doch nicht-
„Da kommt jetzt keiner mehr lebend raus“, spricht Zeus weiter, mir unmittelbar ins Ohr, während seine Hände meine Arme festhalten und mich an seinen Körper drücken.
Die Flammen lecken nach meiner besten Freundin. Sie fährt herum. Ihre Hand am Fenstergriff. Doch es lässt sich nicht öffnen. Warum, zum Teufel, lässt sich das verdammte Ding nicht öffnen? Doch selbst wenn… Einen Sturz aus dem fünften Stock würde sie eh nicht überleben. Genauso wenig wie alle anderen, die es vor ihr versucht haben.
„Lass das!“ fährt Zeus mich an und seine Arme pressen mich noch fester an ihn. Ich habe nicht mal mitbekommen, dass ich versucht habe, mich von ihm loszumachen.
Meine komplette Aufmerksamkeit gilt nur Isabel. Die Flammen haben nach ihr gegriffen und sie schlägt mit der Hand auf ihrem Körper herum. Aber das hilft nicht.
„Emily, du kannst da nicht wieder rein!“ Sie fängt an zu husten. Ihre Hände schlagen vergebens. Sie ist am Keuchen. Taumelt zurück. Vergeblich. Ihr ganzer Körper geht plötzlich in Flammen auf. „Emily!“
Seine Stimme brüllt mir ins Ohr und seine Arme sind wie Schraubzwingen. Er hat sie um mich gelegt, um mich unter Kontrolle zu halten. Ich bekomme keine Luft mehr. Ich muss ihr doch helfen. Ich bin Gardist – wenn auch nur einer in Ausbildung. Sie ist eine Profane. Ich muss zu ihr. Wer sonst soll ihr denn helfen? Sie schreit wie am Spieß. Es ist grauenvoll – auch wenn mein Gehirn mir wahrscheinlich nur vorgaukelt, dass ich ihre Schreie höre. Es ist eigentlich unmöglich auch nur irgendetwas über das Getöse des Feuers hinweg zu hören. Aber ich sehe es. Sehe, wie sie kämpft. Wie sie sich vor Schmerzen krümmt und vergeblich gegen die Flammen ankämpft.
Du bist Gardist, um Himmelswillen!, schreit es in meinem Kopf. Es ist deine Aufgabe ihr das Leben zu retten! Also stemme ich mich mit aller Macht gegen die Hände, die mich festhalten. Gegen die Arme, die er um mich gelegt hat. Ich höre den keuchenden Atem des schwarzhaarigen Fremden hinter, beziehungsweise über mir. Schlage nach ihm, als ich meine Arme wieder frei habe. Versuche mich von ihm loszureißen. Aber es bringt alles nichts. Ich schaffe es keinen ganzen Meter vorwärts. Isabels Schreie sind verklungen und ich kann sie nicht mehr sehen. Adrenalin und die Angst um meine Freundin verleihen mir jedoch so viel Kraft, dass mein Aufbäumen seinen eisernen Griff etwas lockert. Damit hat er wohl nicht gerechnet. Ich nutze den Überraschungsmoment und mit einem weiteren Ruck durchbreche ich die Mauer, die seine Arme um mich gebaut haben. Doch anscheinend hat er seine Arme nur gelockert, um mich anderswo festzuhalten, denn sofort werde ich von hinten gegriffen, herumgewirbelt und stehe unmittelbar vor ihm. Er sagt was. Schreit es regelrecht. Sein Gesicht ist verzerrt, seine Augen sind zu Schlitzen geworden, aber ich höre ihn nicht. In meinen Ohren gellt nur immer und immer wieder Isabels Schreien.
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