Woher wusstest Du überhaupt, dass du `mich´ retten musstest? (Wir haben uns vorher noch nie gesehen – vielleicht hast Du auch die Falsche gerettet…) Was meintest Du mit `Order von ganz oben´? Und woher wusstest Du überhaupt, dass das Internat in Flammen stand – noch vor der Feuerwehr und der Polizei? (So ganz ohne Antworten Deinerseits muss ich davon ausgehen, dass Du damit etwas zu tun hattest…)
Fass mich bitte nicht mit Samthandschuhen an! Ich kann die Wahrheit ertragen und ich finde, die bist Du mir schuldig. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich Dir Rede und Antwort stehe, wenn Du im Gegenzug es nicht auch tust.
Emily
Ich überflog den Brief noch einmal, faltete ihn dann zusammen, atmete einmal tief durch und machte mich dann auf den Weg ins Wohnzimmer. Ich hörte schon von weitem, dass er dabei war das Feuer zu schüren – eine Tätigkeit, die er eigentlich gar nicht hätte machen müssen. Er hätte einfach, so wie vorhin, einfach nur dran denken müssen und das Feuer hätte ihm gehorcht. Aber wahrscheinlich brauchte er irgendeine Aktivität, um wieder runter zu kommen. Irgendetwas, an dem er seinen Frust abreagieren konnte.
Er hockte dann auch wirklich vor dem Kamin, den Rücken zu mir, und machte keinerlei Anstalten sich zu mir umzudrehen. Er ignorierte mich einfach komplett. Innerlich konnte ich mich nicht entscheiden, ob mich das noch fuchsiger machen oder aber ich lieber doch auf dem Absatz kehrtmachen sollte, weil ich so langsam aber sicher wieder Angst vor ihm bekam. Wenn er sich mir nicht widmen wollte, dann musste ich ihn echt ziemlich auf die Palme gebracht haben.
Aber er hatte es im Gegenzug auch getan und sein jetziges Verhalten spiegelte sein vorheriges nur all zu gut. Die Wut gewann die Oberhand, weil ich fand, dass er kein Recht dazu hatte, mich einfach so links liegen zu lassen. Also räusperte ich mich. Er drehte sich zwar nicht um, doch ich sah wie seine Schultern sich anspannten. Es schien fast so, als würden sie noch breiter werden als sie ohnehin schon waren. Ich hatte nicht das Bedürfnis mit seinem Rücken zu sprechen, also wartete ich. Irgendwann würde er sich schon zu mir umdrehen. Er konnte ja wohl nicht bis ans Ende aller Tage vor dem Kamin hocken bleiben.
Ich starrte ihn an, so als könnte ich Löcher in seinen Rücken brennen – hätte ich meine vollen Kräfte gehabt und wäre nicht so erledigt gewesen, dann hätte das sogar funktioniert. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah ich, wie sein Brustkorb sich aufblähte, als er tief einatmete. Dann legte er den Schürhaken langsam beiseite und fuhr sich mit der rechten Hand durch sein dunkles Haar und erhob sich.
„Was willst du?“ fragte er.
Jetzt
„Kommst du?“ durchbrach Chases Stimme die Erinnerung.
Sie waren jetzt anders als das erste Mal. Nicht mehr so transparent. Sie waren lebendig und richtig farbig und mein Magen befand sich wieder in meinen Kniekehlen. Genauso wie damals.
„Was? Ja, “ sagte ich zerstreut und erhob mich.
Chase lehnte sich nur ein wenig vor, um einen Blick in meine Tasse zu werfen und sein Mund wurde zu einer einzigen weißen Linie, als er sah, dass ich meinen Kaffee gar nicht angerührt hatte. Aber ich bekam gerade nichts runter. Ich zog mir nur schnell meine Jacke über und schnappte mir meinen Rucksack.
„Das nächste Mal zahle ich.“
„Ts“, machte er nur, während er sich seiner Jacke widmete, „womit denn bitte schön? Du hast kein Geld dabei.“ Ich deutete nur mit meinem Zeige- und Mittelfinger auf meine Augen und er verstand auch so. „Was, wenn dich jemand sieht?“ meinte er und fasste mich am Arm, als ich an ihm vorbeiging. Sein Griff war fest und er lehnte sich etwas zu mir herunter und senkte seine Stimme, so dass die restlichen Gäste des Cafés es nicht hörten: „Untertauchen heißt unsichtbar werden. Wir dürfen nicht auffallen, Emily. Besonders nicht als das, was wir eigentlich sind.“
Und damit führte er mich dann auf die Straße hinaus, die mittlerweile schon grau-blau war. Es würde nicht mehr lange dauern und die ersten Sonnenstrahlen würden am Himmel erscheinen. Also, nicht, dass man sie sehen würde. Es war wolkenverhangen und grau und während wir in dem Café gesessen hatten, hatte es zu nieseln angefangen und die Scheinwerfer der Autos – die jetzt zahlreich auf der Straße fuhren – spiegelten sich blendend auf der nassen Fahrbahn wieder. Am liebsten hätte ich kehrt gemacht und wäre schnurstracks ins Café zurückmarschiert. Aber Chase hatte Recht. Wir mussten weg. Mussten Distanz zwischen uns und das St. Michaels bringen. Je näher wir waren, desto eher würden die Gardisten uns finden. Außerdem war es nur eine Frage der Zeit, bis die Seleiki herausfanden, dass ich mich dort aufhalten sollte – deswegen ja meine zwei Kletten, Clemens und Anna. Je mehr Abstand wir also zwischen uns und Chases Zuhause brachten, desto sicherer waren wir vor den Gardisten und den Seleiki. Andererseits: Rannten wir nicht gerade schnurstracks in die Arme der Seleiki? Wer wusste schon, aus welcher Richtung sie kommen würden?
Gott, wie einfach doch meine Probleme noch vor ein paar Tagen waren, dachte ich und schnaufte lachend durch die Nase.
„Was?“ hakte Chase irritiert nach und hielt in der Bewegung inne.
Er war gerade dabei, seine Kapuze gegen die Nässe und die Kälte hochzuziehen.
„Nichts“, winkte ich ab und er schüttelte nur den Kopf.
Es schien fast Jahre her zu sein, dass ich so simple Probleme wie das mit dem Brief und mit Matt und dem Internat gehabt hatte. Und nur, um mich nicht der jetzigen Situation und all ihren Gefahren zu stellen, hing ich der Erinnerung an den Brief und Matt nach.
Damals
„Was willst du?“ fragte Matt wütend.
Ich hätte seinen Zorn echt mit bloßen Händen anfassen können und das ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Es kostete mich einiges an Überwindung standhaft zu bleiben, als er sich umdrehte und seine blauen Augen mich förmlich erdolchten. Ich war irgendwie froh, das alles aufgeschrieben zu haben – ich hätte jetzt gerade garantiert kein einziges Wort über die Lippen bringen können. Und so streckte ich ihm einfach nur wortlos meine Hand entgegen. Der Brief zitterte leicht in meinen Fingern, aber daran konnte ich jetzt auch nichts ändern. Er ignorierte ihn einfach, komplett, und starrte mich nur weiterhin an. Jetzt nimm endlich den bescheuerten Brief, flehte ich ihn an.
Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis er endlich einmal die Augen von meinem Gesicht nahm und einen Blick auf das Papier in meiner zitternden Hand warf. Sein Blick flog wieder zu meinem Gesicht zurück, so als würde er fragen wollen Was soll ich damit?. Ich hielt nur weiter den Arm ausgestreckt, der so langsam aber sicher schwer wurde. Doch ich blieb standhaft und dann setzte er sich endlich in Bewegung und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht vor ihm zurückzuweichen. Er blieb etwa einen Meter vor mir stehen und blickte auf mich herab – momentan schien ich ihn nicht im Mindesten zu amüsieren. Eher genau das Gegenteil. Und als er dann endlich nach meinem Brief griff, da war es zackig und schnell, so als würde es ihn ärgern, dass er es tat.
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