Ich atmete noch mal tief durch, um mich zu beruhigen, aber es half nicht wirklich. Meine Augen wanderten zum Fenster und ich stellte fest, dass der Regen aufgehört hatte. Und das, obwohl es eben noch so wolkenverhangen gewesen war, dass ich angenommen hatte, es würde den kompletten Tag durchregnen. Wahrscheinlich war `er´ das, dachte ich missmutig. Damit du zurückkommst. Naja, wie es aussah, hatte er seinen Willen durchgesetzt. Ich war ja wieder hier. Wo auch immer hier war.
Das morgendliche Sonnenlicht brach sich in den Regentropfen, die noch in den Ästen der Tannen hingen und es entstanden Mini-Regenbögen. Es war echt ganz schön anzusehen und ich fragte mich, was, bitte schön, mir da draußen schon groß hätte passieren sollen. Er hatte gesagt, es wäre gefährlich, aber mir war rein gar nichts begegnet, vor dem ich hätte Angst haben müssen. Das einzige, vor dem ich Angst hatte, das war er! Vielleicht hatte er es aber auch nur gesagt, um mich im Haus zu behalten. Damit ich nicht abhaute.
Ich riss meinen Blick von den Mini-Regenbögen weg, hin zum Feuer. Ich sah zwar die Flammen, aber wie eben auch triggerten sie rein gar nichts und ich konnte ihrem Spiel zusehen, ohne, dass die Bilder kamen. Nein, das war genau genommen falsch. Die Bilder kamen schon. Genauso wie Isabels Schreie. Aber ich fühlte einfach nichts. Und ich brach auch nicht schon wieder in Tränen aus.
***
Ich weiß nicht, wie lange ich so da saß, in die Flammen starrend und vor meinem inneren Auge die Bilder sehend, Isabel beim Verbrennen zusehend, aber irgendwann drang seine Stimme an mein Ohr und ich zuckte zusammen und fuhr zu ihm herum.
„Ich dachte, ich hatte gesagt, du sollst ein Bisschen schlafen.“
Ein seichtes Lächeln zupfte aber, Gott sei Dank, an seinen Mundwinkeln und seine Augen funkelten schalkhaft. Er schien die Zurechtweisung nicht wirklich ernst zu meinen und die plötzliche Anspannung fiel wieder von mir ab. Mit seinen Händen in den Hosentaschen vergraben und jetzt wirklich mit einem winzigen Lächeln auf dem Gesicht, kam er auf mich zu. Sogar das kleine Grübchen war wieder da. Er schien wirklich nicht mehr sauer zu sein. Okay, mal sehen, wie er das hier nimmt?
„Ich bin gar nicht müde“, informierte ich ihn keck. „Ich bin… besser“, grinste ich.
Ein kurzes, gutturales Lachen entrann seiner Kehle und er fuhr sich mit der einen Hand übers Kinn. Dann ließ er sich wieder auf dem Couchtisch nieder und sein Röntgenblick flog innerhalb weniger Sekunden über mich. Aber nicht so kalt wie vorhin, eher belustigt und besorgt.
„Besser, mh?“
„Jap.“
„Mh“, brummte er nur wieder und nickte abweisend mit dem Kopf. „Warte hier“, kam es dann plötzlich von ihm, „ich bin gleich wieder da.“
Und damit war er dann auch schon verschwunden und ich dachte nur: Okay… Doch keine Minute später kam er dann mit der kleinen Schüssel – ich hatte nicht mitbekommen, wie er sie mitgenommen hatte – wieder zu mir. Er nahm wieder seinen Platz auf dem Tisch ein und wollte mir schon den ersten Löffel in den Mund schieben.
„Nein, lassen Sie mich. Ich kann das alleine.“
Seine eine Augenbraue flog in die Höhe, so als wollte er sagen Sicher ?, aber da hatte ich ihm den Löffel und die Schale auch schon aus der Hand genommen. Anfangs war er noch reichlich angespannt, so als würde er jeden Augenblick damit rechnen, dass wieder so etwas wie mit dem Glas passierte, oder aber ich aus Schwäche das Ding einfach fallen lassen könnte. Aber als dann auch der zweite Löffel Suppe ohne Zwischenfall in meinem Mund gelandet war, da relaxte er wieder. Allerdings hatte ich schon nach dem dritten Löffel genug und wagte es irgendwie nicht, ihm die Schale wieder zurückzugeben. Seine Laune war zwar gerade gut, jedenfalls nicht so, dass ich Angst vor ihm hatte. Keine richtige. Ich meine, er hatte sogar nichts gesagt, als ich eben so unverschämt und angriffslustig gewesen war. Im Gegenteil: es hatte ihn amüsiert. Aber was würde passieren, wenn ich jetzt schon mit dem Essen wieder aufhören würde? Aber ich bekam einfach nichts mehr runter. Ehrlich nicht. Ich wagte nicht, ihn anzusehen, während ich in der Schale herumrührte und so tat, als würde ich die verschiedenen Zutaten begutachten. Ich sah Möhren, Kartoffeln und irgendwas Grünes, von dem ich annahm, dass es Paprika war.
„Genug?“
Überrascht schaute ich zu ihm auf. Es hatte freundlich geklungen und ein leichtes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, nicht so sehr, dass das Grübchen erschien, aber immerhin. Irgendwie hatte ich nicht damit gerechnet, dass er mich abbrechen ließ. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er mich dazu zwingen würde, die Schale komplett zu leeren. Ob jetzt aus eigenem Willen oder nicht.
„Ja“, nickte ich erleichtert und war trotzdem immer noch ein wenig perplex, als er mir ohne jeglichen Kommentar die Schale und den Löffel einfach so aus der Hand nahm.
„Alles okay?“ versicherte er sich, als er die Suppe auf den Tisch neben sich gestellt und sich wieder zu mir gewandt hatte. „Du sagst Bescheid, wenn du-“
„Nein“, meinte ich schnell und hob beschwichtigend die Hände, „alles okay.“
„Sicher?“
Ich presste die Lippen aufeinander und nickte einmal. Dann zog ich es vor, wieder in die Flammen des Kamins zu starren und mich zu fragen, ob noch jemand anderer lebend da raus gekommen war. Ich spürte seinen Blick zwar auf mir, versuchte es aber zu ignorieren. Doch irgendwann wurde die Stille dann doch echt unerträglich und auch das Knistern des Feuers half irgendwie nicht mehr.
„Wissen Sie, ob da…“
„Du. Und Matt.“
Ich nickte und riss meinen Blick vom Feuer los, so dass ich ihn anschauen konnte. Er wirkte entspannt. Offen.
„Ist noch jemand anders da rausgekommen? Da… aus dem…“
Er seufzte und seine Schultern verspannten sich etwas. Er hatte verstanden, auch ohne, dass ich es ausgesprochen hatte. Und ich würde es wahrscheinlich auch nie ganz aussprechen können. Also wartete ich. Irgendwann würde er mir schon antworten. Es dauerte dann auch nur noch einen Moment, bis er langsam den Kopf schüttelte.
„Waren Sie- Warst du noch mal da?“ Er konnte mit der Frage nichts anfangen, schüttelte aber den Kopf. „Dann kannst du es doch gar nicht so genau wissen“, warf ich ihm vor – mein letzter Strohhalm, an dem ich mich festklammerte.
„Emily, es gab keine Überlebenden“, redete er auf mich ein und plötzlich war er wieder ganz der Sentinel und dieser Knoten in meinem Bauch war auch wieder da und ich wagte es nicht ihn anzusehen. „Nicht bei den Seleiki. Da ist keiner mehr rausgekommen. Es war in allen Nachrichten. Zeitungen, Fernsehen, überall. Die wissen noch nicht einmal, dass du überlebt hast.“
Die wissen noch nicht mal, dass ich… Ja, und dass ich überlebt hatte, hatte ich nur ihm zu verdanken. Ich wagte nun doch wieder einen Blick in sein Gesicht hoch und es kostete mich einiges an Überwindung seinem Blick standzuhalten.
„Wieso hast du mich da raus geholt? Wieso hast du mich gerettet?“
Er unterbrach augenblicklich den Blickkontakt, räusperte sich und setzte sich umständlich um. Er wirkte fast nervös. So gar nicht wie sonst. Das sah ihm gar nicht ähnlich.
„Matt?“
„Das kann ich dir nicht sagen“, meinte er dann ausweichend und mit einem falschen Lächeln auf dem Gesicht.
„Aber-“
„Order von ganz oben“, unterbrach er mich und erhob sich.
„Aber Matt-“
„Es ist schon spät“, gab er von sich, drückte mich an der Schulter in eine liegende Position runter und zog mir die Decke bis unters Kinn, „du solltest echt ein Bisschen schlafen.“
„Es ist schon spät?“ echote ich und setzte mich augenblicklich wieder auf. „Matt, es ist noch nicht mal zwölf Uhr mittags!“
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