Aber er hatte sich schon von mir abgewandt und winkte mir hinter seinem Rücken nur noch halbherzig zu. Na, wenn das mal nicht ausweichend war, dann weiß ich auch nicht. Mir war nicht nach schlafen. Ganz und gar nicht. Ich hatte fast fünf Tage lang durchgeschlafen. Ich starrte wieder in die Flammen und fragte mich, warum er ausgerechnet mich da rausgeholt hatte. Warum nicht irgendjemand anderen? Warum nicht Isabel?
Es kamen immer noch keine Tränen. Und so dankbar ich ihm dafür auch war, dass er die Emotionen zu den Bildern gekappt hatte, so gefrustet war ich darüber, dass er mir auswich. Dass er mir meine Fragen einfach nicht beantwortete. Es musste ja wohl einen triftigen Grund dafür gegeben haben, weshalb er ausgerechnet mich da raus geholt und alle anderen bei lebendigem Leibe verbrennen lassen hatte! Woher hatte er überhaupt gewusst, dass er mich retten musste? Woher hatte er gewusst, dass das Internat in Flammen gestanden hatte? Woher hatte er überhaupt gewusst, wo er nach mir suchen musste? Woher hatte er gewusst, dass ich diejenige war, die er retten sollte? Ich hatte Matt noch nie zuvor gesehen. Er mich also auch nicht. Und wieso war ein Gardist allein unterwegs gewesen? Die gab es sonst nur im Rudel. Wo waren die anderen gewesen?
Ehe ich mich versah, hatte ich mich erhoben, um ihn zur Rede zu stellen, aber sobald ich stand, überkamen mich Zweifel. Er hatte eben schon so komisch reagiert. Warum sollte er mir jetzt Rede und Antwort stehen? Er würde garantiert wieder sauer werden, wenn ich versuchte ihn dazu zu zwingen. Ts, `ihn´ dazu zwingen? Er ist ein verdammter Sentinel, Em! Sentinel kann man zu nichts zwingen! Und außerdem, gestand ich mir ein, hat er noch nichts gemacht wegen all dem Scheiß, den du angestellt hast. Und dass ihn das echt ziemlich angekotzt hatte, das hatte er mehr als offensichtlich gemacht. Ich konnte von Glück reden, dass er nichts gemacht hatte. Er hatte mich bis jetzt nur verbal zurechtgewiesen, sonst nichts. Ich beschloss, dass es das Beste war, ihn so schnell nicht wieder sauer zu machen. Er war über die ganze Sache garantiert noch nicht hinweg.
Ich atmete einmal frustriert durch und weil ich jetzt schon einmal stand, konnte ich mich auch gleich um das Feuer kümmern. Der Holzscheit, den er vorhin nur mithilfe seiner Gedanken dazu gebracht hatte, in den Kamin zu springen und in Flammen aufzugehen, war jetzt schon fast komplett runtergebrannt. Er glühte nur noch. Ich zog die Decke enger um meinen Körper und hockte mich vor die gestapelten Holzscheite. Ich konzentrierte mich auf den obersten, aber das Ding wackelte nur ganz leicht und machte keinerlei Anstalten von allein ins Feuer zu springen. Nach wenigen Augenblicken perlte mir schon Schweiß auf der Stirn und ich hatte zu zittern angefangen. Ich musste wirklich noch ziemlich erledigt sein. Mehr, als ich es mir hatte eingestehen wollen. Es war Jahre her, dass ich nicht dazu in der Lage gewesen bin, meine Kräfte richtig einzusetzen. Ich war 15, um Himmelswillen! Da hätte mir so was nicht mehr passieren dürfen! Eigentlich hätte der Holzklotz sich ohne große Anstrengungen einfach so in die Luft erheben und dann zum Kamin hinüber schweben müssen. Aber nein. Den hier bekam ich einfach nicht dazu. Es war echt schon peinlich! Ich fühlte mich wie damals, als ich sieben Jahre alt gewesen war und alle den Baum aus dem Samenkorn hatten wachsen lassen können, nur ich nicht. Damals hatte ich sogar für ganze drei Tage lang befürchtet, dass ich nicht ausreichen würde. Also, meine Fähigkeiten. Wer nicht alle vier Elemente aufweist, ist in den Augen der Garde minderwertig. Was sollen die mit einem Unter-Niveau-Gardisten? So einer kann gleich seine Sachen packen! Weil, dann ist man es nicht wert, dass die Garde sich einem zuwendet, für die Ausbildung aufkommt, für ein Dach über dem Kopf. Also, doch. Schon. Letzteres hat man schon. Aber man wird abgeschoben. Man lebt dann in einer von diesen Kolonien und wir wissen ja alle, was das heißt. Man hört ja die Gerüchte. Offiziell heißt es natürlich, dass alles super wäre und-
Egal, lassen wir das. Einmal, ich kann mich noch genau daran erinnern, vor noch nicht allzu langer Zeit – lass es vor ein, zwei Jahren gewesen sein – da war ein Junge im Internat gewesen. So ein süßer, kleiner, unschuldiger Junge mit massig viel schwarzem, unbändigem Haar und riesigen blauen Augen. Er muss so acht gewesen sein. Und nur, weil er nicht auf Anhieb das zweite Element hatte hervorrufen können, hatte man ihn verbannt. Man hatte ihm noch eine Galgenfrist von einer Woche gegeben und als dann aber immer noch nichts passiert war, da hat man ihn abgeschoben. Danach hat ihn niemand mehr gesehen. Ich weiß noch nicht einmal, wie er hieß.
Ich fluchte kurz leise, schloss die Augen und versuchte das Bild des kleinen, unschuldigen, schwarzhaarigen Jungen aus dem Kopf zu kriegen. Um etwas zu tun zu haben, widmete ich mich wieder dem Holzklotz vor mir und machte es so wie die Profanen: Ich nahm den Holzscheit in die Hand und legte ihn in die Glut. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich jemals so schämen würde! Ich konnte nur von Glück reden, dass Matt das nicht gesehen hatte. Der Gedanke daran wie er mich angesehen hätte, was er gesagt hätte, ließ mein Gesicht nur noch mehr glühen. Obwohl… Wenn er gerade mal gut drauf war, dann hätte er vielleicht gesagt, dass es nicht so schlimm gewesen wäre, immerhin sei ich doch noch arg entkräftet.
Ich seufzte und ließ mich im Schneidersitz vor dem Kamin nieder. Die Hitze tat gut und bald war mir wieder warm und mein Gesicht fühlte sich an, als wäre es am Schmelzen. Ich erhob mich und stellte mich ans Fenster. Ich starrte in die Bäume hinaus und versuchte etwas zu sehen. Irgendetwas. Aber es war nach wie vor nur ein ganz normaler Wald.
„Hey.“
Ich hatte ihn schon wieder nicht kommen gehört. Der Kerl musste echt auf leisen Sohlen unterwegs sein.
„Du hast gesagt“, fuhr ich zu ihm herum, „es sei gefährlich da draußen. Warum?“
„Ich hab hier ein paar Sachen für dich“, kam es von ihm, noch ehe ich komplett ausgesprochen hatte. „Ich dachte, du würdest vielleicht duschen gehen wollen.“
Oh, yeah, duschen!
„Cool, danke“, sagte ich freudig und vergessen war meine Frage von eben.
Der Raum wankte nur noch ein ganz klein wenig, als ich mich schnell in Bewegung setzte, um ihm die Sachen abzunehmen und er guckte mich noch nicht mal komisch an. Es musste echt so minimal gewesen sein, dass es ihm noch nicht mal aufgefallen war.
„Den Flur entlang und dann links.“
„Okay. Danke“, meinte ich und dann war ich auch schon verschwunden.
***
Ich hätte nie gedacht, dass sich eine Dusche so himmlisch anfühlen konnte, aber ich fühlte mich wirklich wie neu geboren danach. Die Sachen waren mir ein Bisschen groß – es waren Trainings-Sachen und deswegen mit Gummiband und zum Schnüren – aber immerhin besser als nichts. Vor allem rochen sie nicht nach Rauch. Mit einem Handtuch bewaffnet, mit dem ich versuchte mein Haar einigermaßen trocken zu rubbeln, kam ich aus dem Bad wieder heraus.
„Alles okay?“
Ich schaute ungläubig zu ihm auf, den Knauf der Badezimmertür in der einen, das Handtuch in der anderen Hand.
Ich : Hat der da etwa die ganze Zeit gestanden?
Anderes Ich: Nein, natürlich nicht! Der steht garantiert keine 20 Minuten lang neben der Tür und hört dir beim Duschen zu, Em.
„Mh-mh“, machte ich und wollte an ihm vorbei ins Wohnzimmer gehen.
Aber kurz bevor ich bei ihm ankam, nahm er seine Hände aus den Hosentaschen und stellte sich mitten in den Türrahmen. Seine blauen Augen sahen mich durchdringend an, während er die Arme vor der Brust kreuzte. Ich hörte auf mir die Haare trocken zu rubbeln und fror ein. Super… Und was hab ich jetzt schon wieder falsch gemacht?
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